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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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liebe Stupidität und servile Wiederholung der Grundzüge der Revolution, und
bekanntlich war das Scheitern dieses Versuchs eines der Momente, welche das
erste Ministerium Nicasoli zu Fall brachten.

Auch das neue Ministerium bewegte sich indeß in seinen Aeußerungen über
die römische Frage ganz in demselben Jdeenkreis, und die französische Negie¬
rung machte im Interesse ihres Schützlings Rattazzi im Frühjahr 1862 wieder¬
holte Versuche in Rom, um dort wenigstens eine versöhnlichere Haltung gegen¬
über Italien herbeizuführen. Natürlich vergebens. Als aber der garibaldische
Aufstand die inneren Gefahren bloßlegte. welche für das Königreich aus der
Verzögerung der römischen Frage entsprangen, entschloß sich das Ministerium
zu einem verzweifelten Schritt: der General Durando, als Minister des Aus¬
wärtigen, erklärte nach Aspromonte in einem Rundschreiben, daß die italienische
Nation dringlicher als je ihre Hauptstadt Rom verlange, und im Oktober stellte
er gradezu in Paris das Postulat der Räumung Roms; sobald die franzö¬
sische Occupation aufgehört habe, sei die Regierung bereit, die Vorschläge zu
prüfe", die man ihr zum Zweck der Sicherung der Unabhängigkeit des heiligen
Stuhls machen werde. Das hieß mit der Thüre ins Haus fallen. Es war
sehr bequem. sich Vorschläge machen zu lassen anstatt selbst damit sich abzu¬
quälen, und es war eine starke Zumuthung an Napoleon, seine Truppen zurück¬
zuziehen, ohne irgendwelche Garantie, ohne daß über eine Basis der Verständi¬
gung auch nur verhandelt War. Die Folgen sind bekannt. Nicht blos das
Ministerium Rattazzi fiel, sondern in Paris selbst trat eine für Italien empfind¬
liche Wendung der Politik ein. die durch den Namen Drouyn de Lhuys be¬
zeichnet war. Pasolini, der neue Minister des Auswärtigen in Turin, erklärte
sofort nach Paris, daß es unter den vorliegenden Umständen zweckmäßig sei, die
römische Frage ganz ruhen zu lassen.

Damit hatten die Versuche einer directen Lösung der römischen Frage ein
Ende. Ofsiciell hielt, wie gesagt, die Negierung an dem cavourschcn Programm
der Freiheit der Kirche fest, aber es blieb ein theoretischer Grundsatz, mit dem
man es in der Praxis nicht allzu genau nahm, wie denn z. B. Rattazzi kurz
vor der garibaldischcn Erhebung dem Parlament einen detaillirten, sehr strengen
Gesetzentwurf gegen die Uebergriffe der Geistlichkeit vorgelegt hatte, der ent¬
schieden in die inneren Verhältnisse der Kirche eingriff. Auch später behauptete
der Staat seine Souveränetätsrechte durch Anordnungen über die Diöccsan-
einthcilung und durch Regelung und Verschärfung des Placcts. Daß er noch
in den Instruktionen an Vegezzi an den Kronrechten festhielt, ist schon erwähnt.
Und als Vegezzis Mission gescheitert war, beschränkte sich die Regierung, welche
die Schuld auf den üblen Willen der Curie warf, auf die Erklärung, daß, wenn
gewisse Einflüsse aufgehört haben würden, auf die Beschlüsse des heiligen Stuhls
in einem der Religion fremden Interesse einzuwirken, die italienische Regierung


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liebe Stupidität und servile Wiederholung der Grundzüge der Revolution, und
bekanntlich war das Scheitern dieses Versuchs eines der Momente, welche das
erste Ministerium Nicasoli zu Fall brachten.

Auch das neue Ministerium bewegte sich indeß in seinen Aeußerungen über
die römische Frage ganz in demselben Jdeenkreis, und die französische Negie¬
rung machte im Interesse ihres Schützlings Rattazzi im Frühjahr 1862 wieder¬
holte Versuche in Rom, um dort wenigstens eine versöhnlichere Haltung gegen¬
über Italien herbeizuführen. Natürlich vergebens. Als aber der garibaldische
Aufstand die inneren Gefahren bloßlegte. welche für das Königreich aus der
Verzögerung der römischen Frage entsprangen, entschloß sich das Ministerium
zu einem verzweifelten Schritt: der General Durando, als Minister des Aus¬
wärtigen, erklärte nach Aspromonte in einem Rundschreiben, daß die italienische
Nation dringlicher als je ihre Hauptstadt Rom verlange, und im Oktober stellte
er gradezu in Paris das Postulat der Räumung Roms; sobald die franzö¬
sische Occupation aufgehört habe, sei die Regierung bereit, die Vorschläge zu
prüfe», die man ihr zum Zweck der Sicherung der Unabhängigkeit des heiligen
Stuhls machen werde. Das hieß mit der Thüre ins Haus fallen. Es war
sehr bequem. sich Vorschläge machen zu lassen anstatt selbst damit sich abzu¬
quälen, und es war eine starke Zumuthung an Napoleon, seine Truppen zurück¬
zuziehen, ohne irgendwelche Garantie, ohne daß über eine Basis der Verständi¬
gung auch nur verhandelt War. Die Folgen sind bekannt. Nicht blos das
Ministerium Rattazzi fiel, sondern in Paris selbst trat eine für Italien empfind¬
liche Wendung der Politik ein. die durch den Namen Drouyn de Lhuys be¬
zeichnet war. Pasolini, der neue Minister des Auswärtigen in Turin, erklärte
sofort nach Paris, daß es unter den vorliegenden Umständen zweckmäßig sei, die
römische Frage ganz ruhen zu lassen.

Damit hatten die Versuche einer directen Lösung der römischen Frage ein
Ende. Ofsiciell hielt, wie gesagt, die Negierung an dem cavourschcn Programm
der Freiheit der Kirche fest, aber es blieb ein theoretischer Grundsatz, mit dem
man es in der Praxis nicht allzu genau nahm, wie denn z. B. Rattazzi kurz
vor der garibaldischcn Erhebung dem Parlament einen detaillirten, sehr strengen
Gesetzentwurf gegen die Uebergriffe der Geistlichkeit vorgelegt hatte, der ent¬
schieden in die inneren Verhältnisse der Kirche eingriff. Auch später behauptete
der Staat seine Souveränetätsrechte durch Anordnungen über die Diöccsan-
einthcilung und durch Regelung und Verschärfung des Placcts. Daß er noch
in den Instruktionen an Vegezzi an den Kronrechten festhielt, ist schon erwähnt.
Und als Vegezzis Mission gescheitert war, beschränkte sich die Regierung, welche
die Schuld auf den üblen Willen der Curie warf, auf die Erklärung, daß, wenn
gewisse Einflüsse aufgehört haben würden, auf die Beschlüsse des heiligen Stuhls
in einem der Religion fremden Interesse einzuwirken, die italienische Regierung


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[0509] liebe Stupidität und servile Wiederholung der Grundzüge der Revolution, und bekanntlich war das Scheitern dieses Versuchs eines der Momente, welche das erste Ministerium Nicasoli zu Fall brachten. Auch das neue Ministerium bewegte sich indeß in seinen Aeußerungen über die römische Frage ganz in demselben Jdeenkreis, und die französische Negie¬ rung machte im Interesse ihres Schützlings Rattazzi im Frühjahr 1862 wieder¬ holte Versuche in Rom, um dort wenigstens eine versöhnlichere Haltung gegen¬ über Italien herbeizuführen. Natürlich vergebens. Als aber der garibaldische Aufstand die inneren Gefahren bloßlegte. welche für das Königreich aus der Verzögerung der römischen Frage entsprangen, entschloß sich das Ministerium zu einem verzweifelten Schritt: der General Durando, als Minister des Aus¬ wärtigen, erklärte nach Aspromonte in einem Rundschreiben, daß die italienische Nation dringlicher als je ihre Hauptstadt Rom verlange, und im Oktober stellte er gradezu in Paris das Postulat der Räumung Roms; sobald die franzö¬ sische Occupation aufgehört habe, sei die Regierung bereit, die Vorschläge zu prüfe», die man ihr zum Zweck der Sicherung der Unabhängigkeit des heiligen Stuhls machen werde. Das hieß mit der Thüre ins Haus fallen. Es war sehr bequem. sich Vorschläge machen zu lassen anstatt selbst damit sich abzu¬ quälen, und es war eine starke Zumuthung an Napoleon, seine Truppen zurück¬ zuziehen, ohne irgendwelche Garantie, ohne daß über eine Basis der Verständi¬ gung auch nur verhandelt War. Die Folgen sind bekannt. Nicht blos das Ministerium Rattazzi fiel, sondern in Paris selbst trat eine für Italien empfind¬ liche Wendung der Politik ein. die durch den Namen Drouyn de Lhuys be¬ zeichnet war. Pasolini, der neue Minister des Auswärtigen in Turin, erklärte sofort nach Paris, daß es unter den vorliegenden Umständen zweckmäßig sei, die römische Frage ganz ruhen zu lassen. Damit hatten die Versuche einer directen Lösung der römischen Frage ein Ende. Ofsiciell hielt, wie gesagt, die Negierung an dem cavourschcn Programm der Freiheit der Kirche fest, aber es blieb ein theoretischer Grundsatz, mit dem man es in der Praxis nicht allzu genau nahm, wie denn z. B. Rattazzi kurz vor der garibaldischcn Erhebung dem Parlament einen detaillirten, sehr strengen Gesetzentwurf gegen die Uebergriffe der Geistlichkeit vorgelegt hatte, der ent¬ schieden in die inneren Verhältnisse der Kirche eingriff. Auch später behauptete der Staat seine Souveränetätsrechte durch Anordnungen über die Diöccsan- einthcilung und durch Regelung und Verschärfung des Placcts. Daß er noch in den Instruktionen an Vegezzi an den Kronrechten festhielt, ist schon erwähnt. Und als Vegezzis Mission gescheitert war, beschränkte sich die Regierung, welche die Schuld auf den üblen Willen der Curie warf, auf die Erklärung, daß, wenn gewisse Einflüsse aufgehört haben würden, auf die Beschlüsse des heiligen Stuhls in einem der Religion fremden Interesse einzuwirken, die italienische Regierung 6^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/509>, abgerufen am 24.08.2024.