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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Aber um das Uebel zu beseitigen, ohne doch die Interessen des Katholicismus
zu verletzen, schien kein anderes Mittel möglich, als das Papstthum auf seine
eigentliche Sphäre, auf seinen ursprünglichen Beruf zurückzudrängen, ihm aber
dafür auch diese Sphäre ganz zu eigen zu überlassen. Von dieser Seite also
bot sich die Freiheit der Kirche als das Mittel dar, der Vermengung des Welt¬
lichen und Geistlichen im Papstthum ein Ende zu machen und das bürgerliche
Rom für die italienische Nationalität zu erobern, während das kirchliche Rom
in seiner Souveränetät unangetastet blieb. Dies war wenigstens die Meinung
der politisch einflußreichen Parteien, während der Gedanke einer Vernichtung
des Papstthums immer nur Dogma eines kleinen Kreises war.

Es wäre grade im jetzigen Augenblick nicht ohne Interesse, geschichtlich zu
verfolgen, wie in den nationalen Bestrebungen Italiens von Anfang an das
kirchliche Element eine wesentliche Rolle gespielt hat, wie das eine nicht ohne
das andere hervorgetreten ist, und so der Jnstinct, wenn nicht das klare Be¬
wußtsein vorhanden war, daß das letzte entscheidende Problem doch immer das
römische sein werde. Man müßte zeigen, wie das Unterscheidende in den
politischen Parteien und selbst in den literarischen Richtungen von jeher wesent¬
lich eben das Verhältniß zu Rom war. Man müßte zurückgehen bis zu jenen
katholischen Kreisen in der Lombardei, die aus Opposition gegen den Josephi-
nismus der östreichischen Kirchenpolitik (benso die Sache des Papstthums führten,
wie dem Gefühl der Nationalität Antrieb und Nahrung gaben. Man müßte
an den noch bis in unsere Tage nachwirkender Einfluß Rosminis erinnern,
der lebhaft das "monströse System" der Nationalkirchen bekämpfte und die
völlige Befreiung des Papstthums von den Fürstcnbande" verlangte, aber frei¬
lich Freiheit nur der katholischen Kirche zugestand; an die Wandlungen Gio-
bertis, der anfing mit der Zurückforderung der mittelalterlichen Weltstellung
des Papstes und aufhörte mit dem Verlangen der Säcularisation des Kirchen¬
staates; an die ganze Bedeutung, welche die ncnguclsische Schule für die italie¬
nische Wiedergeburt hatte, an die kurze aber entscheidende Probe, welche das
Neuguclfcnthum auf dem heiligen Stuhle bestand, an die resultatlosen Verhand¬
lungen, welche dann während und nach der Revolution, zum Theil eben durch
Rosminis und Giobcrtis Vermittelung zwischen Piemont und dem Papstthum
geführt wurden, um die Forderungen des modernen Staats mit den Ansprüchen
Roms auseinanderzusetzen.

An diesem Punkt aber setzte nun die neue piemontesischc Politik ein, um
durch ein völlig neues System den Fortschritt, der ihr Lebensbedingung war,
zu erzwingen. Als alle Verhandlungen mit Rom fruchtlos waren, entschloß
sich der seiner Mission bewußte, keck aufstrebende Staat, auf dem Wege der
Gesetzgebung die Hindernisse hinwegzuräumen, welche die Kirche seiner Ent¬
wickelung entgegenstellte. Es war die glänzendste Zeit der piemontesischen Po-


Aber um das Uebel zu beseitigen, ohne doch die Interessen des Katholicismus
zu verletzen, schien kein anderes Mittel möglich, als das Papstthum auf seine
eigentliche Sphäre, auf seinen ursprünglichen Beruf zurückzudrängen, ihm aber
dafür auch diese Sphäre ganz zu eigen zu überlassen. Von dieser Seite also
bot sich die Freiheit der Kirche als das Mittel dar, der Vermengung des Welt¬
lichen und Geistlichen im Papstthum ein Ende zu machen und das bürgerliche
Rom für die italienische Nationalität zu erobern, während das kirchliche Rom
in seiner Souveränetät unangetastet blieb. Dies war wenigstens die Meinung
der politisch einflußreichen Parteien, während der Gedanke einer Vernichtung
des Papstthums immer nur Dogma eines kleinen Kreises war.

Es wäre grade im jetzigen Augenblick nicht ohne Interesse, geschichtlich zu
verfolgen, wie in den nationalen Bestrebungen Italiens von Anfang an das
kirchliche Element eine wesentliche Rolle gespielt hat, wie das eine nicht ohne
das andere hervorgetreten ist, und so der Jnstinct, wenn nicht das klare Be¬
wußtsein vorhanden war, daß das letzte entscheidende Problem doch immer das
römische sein werde. Man müßte zeigen, wie das Unterscheidende in den
politischen Parteien und selbst in den literarischen Richtungen von jeher wesent¬
lich eben das Verhältniß zu Rom war. Man müßte zurückgehen bis zu jenen
katholischen Kreisen in der Lombardei, die aus Opposition gegen den Josephi-
nismus der östreichischen Kirchenpolitik (benso die Sache des Papstthums führten,
wie dem Gefühl der Nationalität Antrieb und Nahrung gaben. Man müßte
an den noch bis in unsere Tage nachwirkender Einfluß Rosminis erinnern,
der lebhaft das „monströse System" der Nationalkirchen bekämpfte und die
völlige Befreiung des Papstthums von den Fürstcnbande» verlangte, aber frei¬
lich Freiheit nur der katholischen Kirche zugestand; an die Wandlungen Gio-
bertis, der anfing mit der Zurückforderung der mittelalterlichen Weltstellung
des Papstes und aufhörte mit dem Verlangen der Säcularisation des Kirchen¬
staates; an die ganze Bedeutung, welche die ncnguclsische Schule für die italie¬
nische Wiedergeburt hatte, an die kurze aber entscheidende Probe, welche das
Neuguclfcnthum auf dem heiligen Stuhle bestand, an die resultatlosen Verhand¬
lungen, welche dann während und nach der Revolution, zum Theil eben durch
Rosminis und Giobcrtis Vermittelung zwischen Piemont und dem Papstthum
geführt wurden, um die Forderungen des modernen Staats mit den Ansprüchen
Roms auseinanderzusetzen.

An diesem Punkt aber setzte nun die neue piemontesischc Politik ein, um
durch ein völlig neues System den Fortschritt, der ihr Lebensbedingung war,
zu erzwingen. Als alle Verhandlungen mit Rom fruchtlos waren, entschloß
sich der seiner Mission bewußte, keck aufstrebende Staat, auf dem Wege der
Gesetzgebung die Hindernisse hinwegzuräumen, welche die Kirche seiner Ent¬
wickelung entgegenstellte. Es war die glänzendste Zeit der piemontesischen Po-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/505>, abgerufen am 24.07.2024.