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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Die Curie pflegt auf die erste Frage zu erwiedern: Sonderbar, gutwillig
haben wir niemals den Staaten die Rechte zugestanden, die wir jetzt Italien
verweigern; wir gestanden sie zu, wenn wir mußten, wir fordern sie zurück,
wenn wir können. Allein dies heißt nur verschweigen, welchen specifischen
Werth für das Papstthum die völlige Freiheit der Bewegung grade in Italien
und grade bei den neuen politischen Verhältnissen hat. Der heilige Stuhl
hatte eine ganz andere Stellung den früheren italienischen Staaten, eine andere
gegenüber dem Königreich Italien. Was das Papstthum seit vier Jahrhun¬
derten zu verhindern suchte, die Bildung eines italienischen Nationalstaats, ist
nun Wirklichkeit geworden, trotz ihm und außerhalb seiner Sphäre. Diese
Lage enthält aber eine unmittelbare Bedrohung für die bisherige Position des
Papstthums, sowohl als weltlichen Fürstenthums wie als geistlicher Universal¬
macht. Es liegt die doppelte Gefahr nahe, daß der Papst seiner weltlichen
Herrschaft verlustig gehe und daß im Nationalstaat ihm nur noch die Stelle
eines italienischen Bischofs bleibe. Von diesen beiden Gefahren stellte sich aber
die erstere als unabwendbar, unvermeidlich dar; um so mehr galt es, sich gegen
die andere sicherzustellen. War das weltliche Fürstenthum nicht aufrecht zu
halten, so sollte dafür die geistliche Universalität des Papstthums gerettet, ja
womöglich in einer Erhöhung seiner geistigen Macht der Ersatz und mehr als
Ersatz für jenen Verlust gefunden werden. Der Erniedrigung in die Reihen
des Episcopats entging aber das Papstthum nur dadurch, daß der Kreis seiner
Action gegen jede Vermischung, gegen jede Berührung mit der staatlichen Sphäre
sichergestellt wurde. Der römische Bischof durfte in keinem Stück dem Könige
von Italien untergeben sein: nur so blieb er mehr als römischer Bischof. In
der vollständigen Unabhängigkeit vom König von Italien wahrte er sich seine
universale Stellung, ja die Möglichkeit eines neuen Aufschwungs. Um den
Verlust der weltlichen Herrschaft tragen zu tonnen und womöglich den Verlust
in Gewinn zu verwandeln, forderte die Kirche Freiheit vom Staat.

Und genau dasselbe letzte Motiv war es, wenn dieselbe Forderung von
Seite des Staats auftrat, und zwar liefen hier verschiedene Gesichtspunkte zu¬
sammen, welche diese Forderung unterstützten. Vor allem das Interesse der
freien Bewegung des Staats, das Interesse des bürgerlichen Fortschritts, aber
zugleich auch das Interesse einer inneren Erneuerung der Kirche, welche dann
für die Civilisation und die Aufgaben des Staats nicht mehr ein Hinderniß
sein würde; und auch der Gedanke schreckte nicht, daß eine solche Umwandlung
dem Institut des Papstthums neue Lebenskraft zuführen und neuen Glanz
verleihen würde. Denn vorwiegend sah man im Papstthum selbst ein wesent¬
lich italienisches Institut, das der Nation erhalten werden und dessen Glanz
auf die Nation selbst zurückfallen müßte. Das Papstthum in seiner jetzigen
Gestalt, dies stand freilich allen fest, war das eigentliche Grundübel Italiens.


Die Curie pflegt auf die erste Frage zu erwiedern: Sonderbar, gutwillig
haben wir niemals den Staaten die Rechte zugestanden, die wir jetzt Italien
verweigern; wir gestanden sie zu, wenn wir mußten, wir fordern sie zurück,
wenn wir können. Allein dies heißt nur verschweigen, welchen specifischen
Werth für das Papstthum die völlige Freiheit der Bewegung grade in Italien
und grade bei den neuen politischen Verhältnissen hat. Der heilige Stuhl
hatte eine ganz andere Stellung den früheren italienischen Staaten, eine andere
gegenüber dem Königreich Italien. Was das Papstthum seit vier Jahrhun¬
derten zu verhindern suchte, die Bildung eines italienischen Nationalstaats, ist
nun Wirklichkeit geworden, trotz ihm und außerhalb seiner Sphäre. Diese
Lage enthält aber eine unmittelbare Bedrohung für die bisherige Position des
Papstthums, sowohl als weltlichen Fürstenthums wie als geistlicher Universal¬
macht. Es liegt die doppelte Gefahr nahe, daß der Papst seiner weltlichen
Herrschaft verlustig gehe und daß im Nationalstaat ihm nur noch die Stelle
eines italienischen Bischofs bleibe. Von diesen beiden Gefahren stellte sich aber
die erstere als unabwendbar, unvermeidlich dar; um so mehr galt es, sich gegen
die andere sicherzustellen. War das weltliche Fürstenthum nicht aufrecht zu
halten, so sollte dafür die geistliche Universalität des Papstthums gerettet, ja
womöglich in einer Erhöhung seiner geistigen Macht der Ersatz und mehr als
Ersatz für jenen Verlust gefunden werden. Der Erniedrigung in die Reihen
des Episcopats entging aber das Papstthum nur dadurch, daß der Kreis seiner
Action gegen jede Vermischung, gegen jede Berührung mit der staatlichen Sphäre
sichergestellt wurde. Der römische Bischof durfte in keinem Stück dem Könige
von Italien untergeben sein: nur so blieb er mehr als römischer Bischof. In
der vollständigen Unabhängigkeit vom König von Italien wahrte er sich seine
universale Stellung, ja die Möglichkeit eines neuen Aufschwungs. Um den
Verlust der weltlichen Herrschaft tragen zu tonnen und womöglich den Verlust
in Gewinn zu verwandeln, forderte die Kirche Freiheit vom Staat.

Und genau dasselbe letzte Motiv war es, wenn dieselbe Forderung von
Seite des Staats auftrat, und zwar liefen hier verschiedene Gesichtspunkte zu¬
sammen, welche diese Forderung unterstützten. Vor allem das Interesse der
freien Bewegung des Staats, das Interesse des bürgerlichen Fortschritts, aber
zugleich auch das Interesse einer inneren Erneuerung der Kirche, welche dann
für die Civilisation und die Aufgaben des Staats nicht mehr ein Hinderniß
sein würde; und auch der Gedanke schreckte nicht, daß eine solche Umwandlung
dem Institut des Papstthums neue Lebenskraft zuführen und neuen Glanz
verleihen würde. Denn vorwiegend sah man im Papstthum selbst ein wesent¬
lich italienisches Institut, das der Nation erhalten werden und dessen Glanz
auf die Nation selbst zurückfallen müßte. Das Papstthum in seiner jetzigen
Gestalt, dies stand freilich allen fest, war das eigentliche Grundübel Italiens.


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[0504] Die Curie pflegt auf die erste Frage zu erwiedern: Sonderbar, gutwillig haben wir niemals den Staaten die Rechte zugestanden, die wir jetzt Italien verweigern; wir gestanden sie zu, wenn wir mußten, wir fordern sie zurück, wenn wir können. Allein dies heißt nur verschweigen, welchen specifischen Werth für das Papstthum die völlige Freiheit der Bewegung grade in Italien und grade bei den neuen politischen Verhältnissen hat. Der heilige Stuhl hatte eine ganz andere Stellung den früheren italienischen Staaten, eine andere gegenüber dem Königreich Italien. Was das Papstthum seit vier Jahrhun¬ derten zu verhindern suchte, die Bildung eines italienischen Nationalstaats, ist nun Wirklichkeit geworden, trotz ihm und außerhalb seiner Sphäre. Diese Lage enthält aber eine unmittelbare Bedrohung für die bisherige Position des Papstthums, sowohl als weltlichen Fürstenthums wie als geistlicher Universal¬ macht. Es liegt die doppelte Gefahr nahe, daß der Papst seiner weltlichen Herrschaft verlustig gehe und daß im Nationalstaat ihm nur noch die Stelle eines italienischen Bischofs bleibe. Von diesen beiden Gefahren stellte sich aber die erstere als unabwendbar, unvermeidlich dar; um so mehr galt es, sich gegen die andere sicherzustellen. War das weltliche Fürstenthum nicht aufrecht zu halten, so sollte dafür die geistliche Universalität des Papstthums gerettet, ja womöglich in einer Erhöhung seiner geistigen Macht der Ersatz und mehr als Ersatz für jenen Verlust gefunden werden. Der Erniedrigung in die Reihen des Episcopats entging aber das Papstthum nur dadurch, daß der Kreis seiner Action gegen jede Vermischung, gegen jede Berührung mit der staatlichen Sphäre sichergestellt wurde. Der römische Bischof durfte in keinem Stück dem Könige von Italien untergeben sein: nur so blieb er mehr als römischer Bischof. In der vollständigen Unabhängigkeit vom König von Italien wahrte er sich seine universale Stellung, ja die Möglichkeit eines neuen Aufschwungs. Um den Verlust der weltlichen Herrschaft tragen zu tonnen und womöglich den Verlust in Gewinn zu verwandeln, forderte die Kirche Freiheit vom Staat. Und genau dasselbe letzte Motiv war es, wenn dieselbe Forderung von Seite des Staats auftrat, und zwar liefen hier verschiedene Gesichtspunkte zu¬ sammen, welche diese Forderung unterstützten. Vor allem das Interesse der freien Bewegung des Staats, das Interesse des bürgerlichen Fortschritts, aber zugleich auch das Interesse einer inneren Erneuerung der Kirche, welche dann für die Civilisation und die Aufgaben des Staats nicht mehr ein Hinderniß sein würde; und auch der Gedanke schreckte nicht, daß eine solche Umwandlung dem Institut des Papstthums neue Lebenskraft zuführen und neuen Glanz verleihen würde. Denn vorwiegend sah man im Papstthum selbst ein wesent¬ lich italienisches Institut, das der Nation erhalten werden und dessen Glanz auf die Nation selbst zurückfallen müßte. Das Papstthum in seiner jetzigen Gestalt, dies stand freilich allen fest, war das eigentliche Grundübel Italiens.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/504>, abgerufen am 24.07.2024.