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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Schüsse fallen gesehen. Dies war keine Augentäuschung, wofür Herr Dr. Noth
die Sache erklären will; eine solche kann wohl einem Einzelnen Passiren/ nicht
aber Hunderten von Menschen, die gewohnt sind mit scharfem Auge um sich
zu blicken. Oder glaubt Herr Dr. Noth, daß gebildete, unbefangene Männer,
deren es auch in den niederen Chargen des preußischen Militärs eine große
Anzahl giebt, sich plötzlich durch die Erfindung eines Einzelnen in solcher Weise
werden bethören lassen, daß daraus ein "großes Lügengewebe" entsteht? Also
weil er, der an jenem Tage, wie er selbst schildert, so vielfach in Anspruch ge"
nommer und beschäftigt war, diese Thatsache nicht selbst beobachtet und nie¬
manden unter der trautenauer Bevölkerung gefunden hat, der sie eingesteht,
deshalb macht er uns alle, die wir sie doch gesehen haben und mit unserm
Ehrenworte bezeugen können, zu Erfindern einer Lüge, zu Mitschuldigen an
einem "gräulichen Lügengewebe?" Herr Dr. Noth hätte besser gethan, Worte,
die er der Oeffentlichkeit übergiebt. mehr aus die Wagschale zu legen. Ebenso
gut wie die gleichfalls früher verbreitete Nachricht von dem Gießen mit sieden¬
dem Oel und Wasser, woran jetzt hier kaum ein gebildeter Mensch mehr glaubt,
nachdem viele von den Gebildeten unter uns. die wir die Affaire mitgemacht
haben, sich bemüht hatten, solchen falschen Nachrichten entgegenzutreten --
ebenso gut wie sie in der einfachen Von ihm (S. Is) dargelegten Thatsache ihren
Grund hat!, beruht auch jene Mittheilung auf Facken, nur daß beide durch die
Fama ins Unglaubliche vergrößert sind. Aber vollständig läugnen läßt sich die
Sache nun und nimmer. Und was schließt nun Herr Dr. Noth aus seiner
Annahme? "Das Ziel der halsstörrigen und boshaften Anschuldigungen," sagt
er, "von Seile einzelner Soldaten war offenbar die Erreichung eines Freibriefes
zur Plünderung"; serner "man wollte die Unstlchhalligkeit und Unwahrheit der
vorgeschützten Gründe nicht kennen, um die Schuld an dem augenfälligen un¬
glücklichen Ausgange der Schlacht den Trautcnauern aufzubürden." Der erste
Passus kann natürlich nur auf die unteren Chargen des preußischen Militärs
sich beziehen, der andere dagegen geht auf die höheren Offiziere. Ich habe dar¬
auf Folgendes zu erwiedern:

g.ä 1. Herr or. Roth muß uns für Kroaten halten. Er scheint gar nicht
zu wissen, daß in den niederen Stufen des preußischen Heeres die Zahl der
Berufssoldaten eine äußerst geringe ist im Verhältniß zu den übrigen, die zu
Hause eine bürgerliche Stellung einnehmen; er scheint serner nicht zu wissen,
daß unter den letzteren ein nicht unbedeutender Theil den gebildeten Ständen
angehört z. B. Referendarien, Lehrer, Studenten, Kaufleute :c,, und daß diese
auf die ungebildete Classe einen bedeutenden moralischen Einfluß ausüben.
Selbst den rohesten Leuten, deren es natürlich überall einige giebt, wäre ein
solcher Gedanke damals kaum gekommen; denn wen" der Krieg die Menschen
"und Verwildert, so waren wir am 27. Juni noch nicht 24 Stunden jenseits der


Schüsse fallen gesehen. Dies war keine Augentäuschung, wofür Herr Dr. Noth
die Sache erklären will; eine solche kann wohl einem Einzelnen Passiren/ nicht
aber Hunderten von Menschen, die gewohnt sind mit scharfem Auge um sich
zu blicken. Oder glaubt Herr Dr. Noth, daß gebildete, unbefangene Männer,
deren es auch in den niederen Chargen des preußischen Militärs eine große
Anzahl giebt, sich plötzlich durch die Erfindung eines Einzelnen in solcher Weise
werden bethören lassen, daß daraus ein „großes Lügengewebe" entsteht? Also
weil er, der an jenem Tage, wie er selbst schildert, so vielfach in Anspruch ge»
nommer und beschäftigt war, diese Thatsache nicht selbst beobachtet und nie¬
manden unter der trautenauer Bevölkerung gefunden hat, der sie eingesteht,
deshalb macht er uns alle, die wir sie doch gesehen haben und mit unserm
Ehrenworte bezeugen können, zu Erfindern einer Lüge, zu Mitschuldigen an
einem „gräulichen Lügengewebe?" Herr Dr. Noth hätte besser gethan, Worte,
die er der Oeffentlichkeit übergiebt. mehr aus die Wagschale zu legen. Ebenso
gut wie die gleichfalls früher verbreitete Nachricht von dem Gießen mit sieden¬
dem Oel und Wasser, woran jetzt hier kaum ein gebildeter Mensch mehr glaubt,
nachdem viele von den Gebildeten unter uns. die wir die Affaire mitgemacht
haben, sich bemüht hatten, solchen falschen Nachrichten entgegenzutreten —
ebenso gut wie sie in der einfachen Von ihm (S. Is) dargelegten Thatsache ihren
Grund hat!, beruht auch jene Mittheilung auf Facken, nur daß beide durch die
Fama ins Unglaubliche vergrößert sind. Aber vollständig läugnen läßt sich die
Sache nun und nimmer. Und was schließt nun Herr Dr. Noth aus seiner
Annahme? „Das Ziel der halsstörrigen und boshaften Anschuldigungen," sagt
er, „von Seile einzelner Soldaten war offenbar die Erreichung eines Freibriefes
zur Plünderung"; serner „man wollte die Unstlchhalligkeit und Unwahrheit der
vorgeschützten Gründe nicht kennen, um die Schuld an dem augenfälligen un¬
glücklichen Ausgange der Schlacht den Trautcnauern aufzubürden." Der erste
Passus kann natürlich nur auf die unteren Chargen des preußischen Militärs
sich beziehen, der andere dagegen geht auf die höheren Offiziere. Ich habe dar¬
auf Folgendes zu erwiedern:

g.ä 1. Herr or. Roth muß uns für Kroaten halten. Er scheint gar nicht
zu wissen, daß in den niederen Stufen des preußischen Heeres die Zahl der
Berufssoldaten eine äußerst geringe ist im Verhältniß zu den übrigen, die zu
Hause eine bürgerliche Stellung einnehmen; er scheint serner nicht zu wissen,
daß unter den letzteren ein nicht unbedeutender Theil den gebildeten Ständen
angehört z. B. Referendarien, Lehrer, Studenten, Kaufleute :c,, und daß diese
auf die ungebildete Classe einen bedeutenden moralischen Einfluß ausüben.
Selbst den rohesten Leuten, deren es natürlich überall einige giebt, wäre ein
solcher Gedanke damals kaum gekommen; denn wen» der Krieg die Menschen
«und Verwildert, so waren wir am 27. Juni noch nicht 24 Stunden jenseits der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/486>, abgerufen am 25.07.2024.