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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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(ÜÄwxo santo arbeitete er bis zu seinen letzten Lebenstage"; am 6. März 1867
ist der Vierundachtzigjährige Greis verschieden. Ehrfurcht erfaßt uns vor dem
Niesengeiste, der mehr als 60 Jahre lang in immer steigender Kraft alle
höchsten Gegenstände der Kunst sich zu eigen macht, das classische Alterthum
und das Mittelalter, den heitern griechischen Götterhimmel und die Tiefen der
christlichen Mystik mit gleicher gestaltender Klarheit durchdringt, jede Aufgabe
mit hingebender Begeisterung selbständig schöpferisch erfaßt und mit einziger
Hoheit und Ursprünglichkeit durchführt.

Aber noch eigenthümlicher wird die Bedeutung des Meisters, wenn es ihm
wirklich gelungen ist, was er in seinen großen Bildercyklen erstrebte. Es ge-
nügte ihm nicht, die poetisch, kirchlich oder historisch überlieferten Stoffe bildne¬
risch zu gestalten; ihm sollte die Kunst den Ausdruck einer bestimmten Gesinnung,
ja sogar einer bestimmten Gedankenentwicklung abgeben. Und der Ausdruck
seiner ihm heiligen Gedanken ist ihm von solcher Bedeutung, daß er die formale
Seite der Kunstübung dieser rei" idealen mit Entschiedenheit nachsetzt. Zur
Erreichung seines künstlerisch-priesterlichen Zweckes, den Beschauer in seine
erhabenen Gedankengänge hinauszuziehen, fordert er von diesem entgegenkom¬
mende Arbeit. Sie ist um so nothwendiger, als er von der überlieferten sym¬
bolischen Bedeutung gewisser Mythen und Gleichnisse abweicht und die ihm ge¬
eignet scheinenden selbständig und selbstdichtend verwendet.

Wer möchte es unternehmen, die Bilder des Lampo sa.meo ohne die von
dem Künstler ausgehende Erklärung zu deuten? Und kaum wird es auch möglich
sein, über die nicht seltenen Willkürlichkeiten der Zeichnung hinwegzusehen. Cor¬
nelius verschmähte hier mit vollem Recht jede Art von verlockenden Schein.
Nicht das behagliche Wohlgefallen darf man bei seinen Werken suchen, welches
etwa eine leere Viertelstunde ausfüllen und den flüchtigen Blick an eine ge¬
schmückte Wand fesseln soll. Wie der Priester in der Kirche will Cornelius
den ganzen Menschen, und zwar Menschen, denen es heiliger Ernst ist nicht
blos um tre Kunst, sondern zugleich um sich selbst.

Erklärt es sich daraus, wenn die Unfähigkeit des Verständnisses und der
Hingabe, die es bedingt, bei so vielen Beschauern sich verbirgt hinter dem Tadel
einzelner Abweichungen von der Natur, welchen wir in seinen Gestalten be¬
gegnen, so ist es eine peinliche Wahrnehmung, daß diese erhabensten Schöpfungen
des Meisters gemeinhin als nur Auserwählten zugänglich behandelt werden, daß
man sich oft begnügt, seine Bilder zu loben, aber nicht zu betrachten. Unser
Publikum droht an ihm die Unbill zu erneuern, die Lessing in seinem bekann¬
ten Wort über die Popularität Klopstocks bezeichnet; ja man hat mit dieser
Analogie Ernst machen und Cornelius in der bildenden Kunst die Stelle anwei¬
sen wollen, die der erhabene Sänger des Messias in der Literatur einnimmt.
Sollen wir aber vergleichen, so darf nur Dante genannt werden. Ebenbürtig


(ÜÄwxo santo arbeitete er bis zu seinen letzten Lebenstage»; am 6. März 1867
ist der Vierundachtzigjährige Greis verschieden. Ehrfurcht erfaßt uns vor dem
Niesengeiste, der mehr als 60 Jahre lang in immer steigender Kraft alle
höchsten Gegenstände der Kunst sich zu eigen macht, das classische Alterthum
und das Mittelalter, den heitern griechischen Götterhimmel und die Tiefen der
christlichen Mystik mit gleicher gestaltender Klarheit durchdringt, jede Aufgabe
mit hingebender Begeisterung selbständig schöpferisch erfaßt und mit einziger
Hoheit und Ursprünglichkeit durchführt.

Aber noch eigenthümlicher wird die Bedeutung des Meisters, wenn es ihm
wirklich gelungen ist, was er in seinen großen Bildercyklen erstrebte. Es ge-
nügte ihm nicht, die poetisch, kirchlich oder historisch überlieferten Stoffe bildne¬
risch zu gestalten; ihm sollte die Kunst den Ausdruck einer bestimmten Gesinnung,
ja sogar einer bestimmten Gedankenentwicklung abgeben. Und der Ausdruck
seiner ihm heiligen Gedanken ist ihm von solcher Bedeutung, daß er die formale
Seite der Kunstübung dieser rei» idealen mit Entschiedenheit nachsetzt. Zur
Erreichung seines künstlerisch-priesterlichen Zweckes, den Beschauer in seine
erhabenen Gedankengänge hinauszuziehen, fordert er von diesem entgegenkom¬
mende Arbeit. Sie ist um so nothwendiger, als er von der überlieferten sym¬
bolischen Bedeutung gewisser Mythen und Gleichnisse abweicht und die ihm ge¬
eignet scheinenden selbständig und selbstdichtend verwendet.

Wer möchte es unternehmen, die Bilder des Lampo sa.meo ohne die von
dem Künstler ausgehende Erklärung zu deuten? Und kaum wird es auch möglich
sein, über die nicht seltenen Willkürlichkeiten der Zeichnung hinwegzusehen. Cor¬
nelius verschmähte hier mit vollem Recht jede Art von verlockenden Schein.
Nicht das behagliche Wohlgefallen darf man bei seinen Werken suchen, welches
etwa eine leere Viertelstunde ausfüllen und den flüchtigen Blick an eine ge¬
schmückte Wand fesseln soll. Wie der Priester in der Kirche will Cornelius
den ganzen Menschen, und zwar Menschen, denen es heiliger Ernst ist nicht
blos um tre Kunst, sondern zugleich um sich selbst.

Erklärt es sich daraus, wenn die Unfähigkeit des Verständnisses und der
Hingabe, die es bedingt, bei so vielen Beschauern sich verbirgt hinter dem Tadel
einzelner Abweichungen von der Natur, welchen wir in seinen Gestalten be¬
gegnen, so ist es eine peinliche Wahrnehmung, daß diese erhabensten Schöpfungen
des Meisters gemeinhin als nur Auserwählten zugänglich behandelt werden, daß
man sich oft begnügt, seine Bilder zu loben, aber nicht zu betrachten. Unser
Publikum droht an ihm die Unbill zu erneuern, die Lessing in seinem bekann¬
ten Wort über die Popularität Klopstocks bezeichnet; ja man hat mit dieser
Analogie Ernst machen und Cornelius in der bildenden Kunst die Stelle anwei¬
sen wollen, die der erhabene Sänger des Messias in der Literatur einnimmt.
Sollen wir aber vergleichen, so darf nur Dante genannt werden. Ebenbürtig


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[0484] (ÜÄwxo santo arbeitete er bis zu seinen letzten Lebenstage»; am 6. März 1867 ist der Vierundachtzigjährige Greis verschieden. Ehrfurcht erfaßt uns vor dem Niesengeiste, der mehr als 60 Jahre lang in immer steigender Kraft alle höchsten Gegenstände der Kunst sich zu eigen macht, das classische Alterthum und das Mittelalter, den heitern griechischen Götterhimmel und die Tiefen der christlichen Mystik mit gleicher gestaltender Klarheit durchdringt, jede Aufgabe mit hingebender Begeisterung selbständig schöpferisch erfaßt und mit einziger Hoheit und Ursprünglichkeit durchführt. Aber noch eigenthümlicher wird die Bedeutung des Meisters, wenn es ihm wirklich gelungen ist, was er in seinen großen Bildercyklen erstrebte. Es ge- nügte ihm nicht, die poetisch, kirchlich oder historisch überlieferten Stoffe bildne¬ risch zu gestalten; ihm sollte die Kunst den Ausdruck einer bestimmten Gesinnung, ja sogar einer bestimmten Gedankenentwicklung abgeben. Und der Ausdruck seiner ihm heiligen Gedanken ist ihm von solcher Bedeutung, daß er die formale Seite der Kunstübung dieser rei» idealen mit Entschiedenheit nachsetzt. Zur Erreichung seines künstlerisch-priesterlichen Zweckes, den Beschauer in seine erhabenen Gedankengänge hinauszuziehen, fordert er von diesem entgegenkom¬ mende Arbeit. Sie ist um so nothwendiger, als er von der überlieferten sym¬ bolischen Bedeutung gewisser Mythen und Gleichnisse abweicht und die ihm ge¬ eignet scheinenden selbständig und selbstdichtend verwendet. Wer möchte es unternehmen, die Bilder des Lampo sa.meo ohne die von dem Künstler ausgehende Erklärung zu deuten? Und kaum wird es auch möglich sein, über die nicht seltenen Willkürlichkeiten der Zeichnung hinwegzusehen. Cor¬ nelius verschmähte hier mit vollem Recht jede Art von verlockenden Schein. Nicht das behagliche Wohlgefallen darf man bei seinen Werken suchen, welches etwa eine leere Viertelstunde ausfüllen und den flüchtigen Blick an eine ge¬ schmückte Wand fesseln soll. Wie der Priester in der Kirche will Cornelius den ganzen Menschen, und zwar Menschen, denen es heiliger Ernst ist nicht blos um tre Kunst, sondern zugleich um sich selbst. Erklärt es sich daraus, wenn die Unfähigkeit des Verständnisses und der Hingabe, die es bedingt, bei so vielen Beschauern sich verbirgt hinter dem Tadel einzelner Abweichungen von der Natur, welchen wir in seinen Gestalten be¬ gegnen, so ist es eine peinliche Wahrnehmung, daß diese erhabensten Schöpfungen des Meisters gemeinhin als nur Auserwählten zugänglich behandelt werden, daß man sich oft begnügt, seine Bilder zu loben, aber nicht zu betrachten. Unser Publikum droht an ihm die Unbill zu erneuern, die Lessing in seinem bekann¬ ten Wort über die Popularität Klopstocks bezeichnet; ja man hat mit dieser Analogie Ernst machen und Cornelius in der bildenden Kunst die Stelle anwei¬ sen wollen, die der erhabene Sänger des Messias in der Literatur einnimmt. Sollen wir aber vergleichen, so darf nur Dante genannt werden. Ebenbürtig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/484>, abgerufen am 22.12.2024.