Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mer anfänglich viel versprechenden, alur sehr kurzen Beeifcrung für die J"ter>
essen des Reichs, sehr bald in jenen Zustand thierischer Roheit und Unfreiheit
verfiel, in welchem er weder auf die Stimme der Kurfürsten hörte, noch selbst
>n das Reich lam. -- griff alsbald die Anarchie, wie leicht begreiflich,
immer weiter um sich, und die Kurfürsten gaben, da alle Mahnungen und sell>se
Drohungen erfolglos und unerhört verhallten, ihrer pflichtmäßigen Thätigkeit
endlich die Richtung, daß sie zur Absetzung solch eines unwürdigen Reichsover-
Hauptes schritten. Das Reich war in einen traurigen Zustand verfalle". Die
Seele der kurfürstlichen Action gegen Wenzel, Rupprecht v. d. Pfalz, nunmehr
auf den Zchron des Reichs erhoben, that das Mögliche, um dem immer weiter
sich verbreitenden Kampfe unter den Gliedern des Reichs zu steuern. Aber
ohne irgend erheblichen Erfolg. Die Waffe, die Rupprecht einst, freilich mit
mehr Grund, gegen Wentzel geführt, wird nun von den Reichsfürsten gegen
ihn selbst gekehrt. Den im marburger Bunde vereinigten Reichvfürsten muß er
im Vertrage von Umbstadt (1406) ausdrücklich das Recht zugestehen, auch ohne
Erlaubn."!) des Reichs Bündnisse unter einander zu schließen, "wie er es selbst
vormals gethan". Und als nach ihm Wenzels Bruder, Sigmund, das Scepter
ergriff, traten zu den schon vorhandenen Elementen der inneren Unordnung
und Zerrüttung bald noch die Erschütterungen hinzu, welche der seht eben er¬
wachende Trieb nach Reform der Kirche in dem Concile von Konstanz und in
den darauf folgenden surchtvaren Kämpfen der Hussiten hervorrief.

In diese lief erschütterte und wildbewegte, aber innerlich nach fester Ord¬
nung und Gestaltung unausgesetzt ringende Zeit fällt das Leben des Mannes,
dessen weit reichende Pläne hier beschäftigen sollen. Um diese ganz zu verstehen,
müssen wir zunächst einen Augenblick bei Betrachtung der Zustände des Reichs
Ul dieser Periode, den ersten Jahrzehnten des fünfzehnten Jahrhunderts ver¬
weilen.

Es darf nicht Wunder nehmen, daß die Zeit, in welcher die einzelnen Be¬
standtheile der verschiedenen Länder des Reichs eigentlich noch in einer losen
Verbindung und in einer mehr oder minder unklaren Stellung zu einander sich
^fanden, diese Zeit einer gährenden inneren Entwickelung und der Bildung
Zusammcuschließung der einzelnen Teintonen zu festeren Substraten der
eben in lebhaftem Wachsthum begriffenen Landeshoheit, zugleich eine Zeit un¬
aufhörlicher Kämpfe, des Angriffs von der einen und der Gegenwehr von der
anderen Seite wurde. Dieser -- fast darf man sagen -- "Krieg Aller gegen
'^le" mußte, wenn die Reichsgewalt nicht stark genug war, den Einzelnen
ÜU schützen, nothwendig das Bedürfniß der nächstgelegenen Gleichinteressitten zur
^genseitigcn Verbindung in sogenannten Einigungen oder Einungen erzeugen.
Die kaiserlichen Hof- und Landgerichte waren zu solchem Schutze berufen; aber
Heils waren sie oft in zu schlechten Hände", theils wurden sie durch die an


mer anfänglich viel versprechenden, alur sehr kurzen Beeifcrung für die J»ter>
essen des Reichs, sehr bald in jenen Zustand thierischer Roheit und Unfreiheit
verfiel, in welchem er weder auf die Stimme der Kurfürsten hörte, noch selbst
>n das Reich lam. — griff alsbald die Anarchie, wie leicht begreiflich,
immer weiter um sich, und die Kurfürsten gaben, da alle Mahnungen und sell>se
Drohungen erfolglos und unerhört verhallten, ihrer pflichtmäßigen Thätigkeit
endlich die Richtung, daß sie zur Absetzung solch eines unwürdigen Reichsover-
Hauptes schritten. Das Reich war in einen traurigen Zustand verfalle». Die
Seele der kurfürstlichen Action gegen Wenzel, Rupprecht v. d. Pfalz, nunmehr
auf den Zchron des Reichs erhoben, that das Mögliche, um dem immer weiter
sich verbreitenden Kampfe unter den Gliedern des Reichs zu steuern. Aber
ohne irgend erheblichen Erfolg. Die Waffe, die Rupprecht einst, freilich mit
mehr Grund, gegen Wentzel geführt, wird nun von den Reichsfürsten gegen
ihn selbst gekehrt. Den im marburger Bunde vereinigten Reichvfürsten muß er
im Vertrage von Umbstadt (1406) ausdrücklich das Recht zugestehen, auch ohne
Erlaubn.«!) des Reichs Bündnisse unter einander zu schließen, „wie er es selbst
vormals gethan". Und als nach ihm Wenzels Bruder, Sigmund, das Scepter
ergriff, traten zu den schon vorhandenen Elementen der inneren Unordnung
und Zerrüttung bald noch die Erschütterungen hinzu, welche der seht eben er¬
wachende Trieb nach Reform der Kirche in dem Concile von Konstanz und in
den darauf folgenden surchtvaren Kämpfen der Hussiten hervorrief.

In diese lief erschütterte und wildbewegte, aber innerlich nach fester Ord¬
nung und Gestaltung unausgesetzt ringende Zeit fällt das Leben des Mannes,
dessen weit reichende Pläne hier beschäftigen sollen. Um diese ganz zu verstehen,
müssen wir zunächst einen Augenblick bei Betrachtung der Zustände des Reichs
Ul dieser Periode, den ersten Jahrzehnten des fünfzehnten Jahrhunderts ver¬
weilen.

Es darf nicht Wunder nehmen, daß die Zeit, in welcher die einzelnen Be¬
standtheile der verschiedenen Länder des Reichs eigentlich noch in einer losen
Verbindung und in einer mehr oder minder unklaren Stellung zu einander sich
^fanden, diese Zeit einer gährenden inneren Entwickelung und der Bildung
Zusammcuschließung der einzelnen Teintonen zu festeren Substraten der
eben in lebhaftem Wachsthum begriffenen Landeshoheit, zugleich eine Zeit un¬
aufhörlicher Kämpfe, des Angriffs von der einen und der Gegenwehr von der
anderen Seite wurde. Dieser — fast darf man sagen — „Krieg Aller gegen
'^le" mußte, wenn die Reichsgewalt nicht stark genug war, den Einzelnen
ÜU schützen, nothwendig das Bedürfniß der nächstgelegenen Gleichinteressitten zur
^genseitigcn Verbindung in sogenannten Einigungen oder Einungen erzeugen.
Die kaiserlichen Hof- und Landgerichte waren zu solchem Schutze berufen; aber
Heils waren sie oft in zu schlechten Hände», theils wurden sie durch die an


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190628"/>
          <p xml:id="ID_1558" prev="#ID_1557"> mer anfänglich viel versprechenden, alur sehr kurzen Beeifcrung für die J»ter&gt;<lb/>
essen des Reichs, sehr bald in jenen Zustand thierischer Roheit und Unfreiheit<lb/>
verfiel, in welchem er weder auf die Stimme der Kurfürsten hörte, noch selbst<lb/>
&gt;n das Reich lam. &#x2014; griff alsbald die Anarchie, wie leicht begreiflich,<lb/>
immer weiter um sich, und die Kurfürsten gaben, da alle Mahnungen und sell&gt;se<lb/>
Drohungen erfolglos und unerhört verhallten, ihrer pflichtmäßigen Thätigkeit<lb/>
endlich die Richtung, daß sie zur Absetzung solch eines unwürdigen Reichsover-<lb/>
Hauptes schritten. Das Reich war in einen traurigen Zustand verfalle». Die<lb/>
Seele der kurfürstlichen Action gegen Wenzel, Rupprecht v. d. Pfalz, nunmehr<lb/>
auf den Zchron des Reichs erhoben, that das Mögliche, um dem immer weiter<lb/>
sich verbreitenden Kampfe unter den Gliedern des Reichs zu steuern. Aber<lb/>
ohne irgend erheblichen Erfolg. Die Waffe, die Rupprecht einst, freilich mit<lb/>
mehr Grund, gegen Wentzel geführt, wird nun von den Reichsfürsten gegen<lb/>
ihn selbst gekehrt. Den im marburger Bunde vereinigten Reichvfürsten muß er<lb/>
im Vertrage von Umbstadt (1406) ausdrücklich das Recht zugestehen, auch ohne<lb/>
Erlaubn.«!) des Reichs Bündnisse unter einander zu schließen, &#x201E;wie er es selbst<lb/>
vormals gethan". Und als nach ihm Wenzels Bruder, Sigmund, das Scepter<lb/>
ergriff, traten zu den schon vorhandenen Elementen der inneren Unordnung<lb/>
und Zerrüttung bald noch die Erschütterungen hinzu, welche der seht eben er¬<lb/>
wachende Trieb nach Reform der Kirche in dem Concile von Konstanz und in<lb/>
den darauf folgenden surchtvaren Kämpfen der Hussiten hervorrief.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1559"> In diese lief erschütterte und wildbewegte, aber innerlich nach fester Ord¬<lb/>
nung und Gestaltung unausgesetzt ringende Zeit fällt das Leben des Mannes,<lb/>
dessen weit reichende Pläne hier beschäftigen sollen. Um diese ganz zu verstehen,<lb/>
müssen wir zunächst einen Augenblick bei Betrachtung der Zustände des Reichs<lb/>
Ul dieser Periode, den ersten Jahrzehnten des fünfzehnten Jahrhunderts ver¬<lb/>
weilen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1560" next="#ID_1561"> Es darf nicht Wunder nehmen, daß die Zeit, in welcher die einzelnen Be¬<lb/>
standtheile der verschiedenen Länder des Reichs eigentlich noch in einer losen<lb/>
Verbindung und in einer mehr oder minder unklaren Stellung zu einander sich<lb/>
^fanden, diese Zeit einer gährenden inneren Entwickelung und der Bildung<lb/>
Zusammcuschließung der einzelnen Teintonen zu festeren Substraten der<lb/>
eben in lebhaftem Wachsthum begriffenen Landeshoheit, zugleich eine Zeit un¬<lb/>
aufhörlicher Kämpfe, des Angriffs von der einen und der Gegenwehr von der<lb/>
anderen Seite wurde. Dieser &#x2014; fast darf man sagen &#x2014; &#x201E;Krieg Aller gegen<lb/>
'^le" mußte, wenn die Reichsgewalt nicht stark genug war, den Einzelnen<lb/>
ÜU schützen, nothwendig das Bedürfniß der nächstgelegenen Gleichinteressitten zur<lb/>
^genseitigcn Verbindung in sogenannten Einigungen oder Einungen erzeugen.<lb/>
Die kaiserlichen Hof- und Landgerichte waren zu solchem Schutze berufen; aber<lb/>
Heils waren sie oft in zu schlechten Hände», theils wurden sie durch die an</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0469] mer anfänglich viel versprechenden, alur sehr kurzen Beeifcrung für die J»ter> essen des Reichs, sehr bald in jenen Zustand thierischer Roheit und Unfreiheit verfiel, in welchem er weder auf die Stimme der Kurfürsten hörte, noch selbst >n das Reich lam. — griff alsbald die Anarchie, wie leicht begreiflich, immer weiter um sich, und die Kurfürsten gaben, da alle Mahnungen und sell>se Drohungen erfolglos und unerhört verhallten, ihrer pflichtmäßigen Thätigkeit endlich die Richtung, daß sie zur Absetzung solch eines unwürdigen Reichsover- Hauptes schritten. Das Reich war in einen traurigen Zustand verfalle». Die Seele der kurfürstlichen Action gegen Wenzel, Rupprecht v. d. Pfalz, nunmehr auf den Zchron des Reichs erhoben, that das Mögliche, um dem immer weiter sich verbreitenden Kampfe unter den Gliedern des Reichs zu steuern. Aber ohne irgend erheblichen Erfolg. Die Waffe, die Rupprecht einst, freilich mit mehr Grund, gegen Wentzel geführt, wird nun von den Reichsfürsten gegen ihn selbst gekehrt. Den im marburger Bunde vereinigten Reichvfürsten muß er im Vertrage von Umbstadt (1406) ausdrücklich das Recht zugestehen, auch ohne Erlaubn.«!) des Reichs Bündnisse unter einander zu schließen, „wie er es selbst vormals gethan". Und als nach ihm Wenzels Bruder, Sigmund, das Scepter ergriff, traten zu den schon vorhandenen Elementen der inneren Unordnung und Zerrüttung bald noch die Erschütterungen hinzu, welche der seht eben er¬ wachende Trieb nach Reform der Kirche in dem Concile von Konstanz und in den darauf folgenden surchtvaren Kämpfen der Hussiten hervorrief. In diese lief erschütterte und wildbewegte, aber innerlich nach fester Ord¬ nung und Gestaltung unausgesetzt ringende Zeit fällt das Leben des Mannes, dessen weit reichende Pläne hier beschäftigen sollen. Um diese ganz zu verstehen, müssen wir zunächst einen Augenblick bei Betrachtung der Zustände des Reichs Ul dieser Periode, den ersten Jahrzehnten des fünfzehnten Jahrhunderts ver¬ weilen. Es darf nicht Wunder nehmen, daß die Zeit, in welcher die einzelnen Be¬ standtheile der verschiedenen Länder des Reichs eigentlich noch in einer losen Verbindung und in einer mehr oder minder unklaren Stellung zu einander sich ^fanden, diese Zeit einer gährenden inneren Entwickelung und der Bildung Zusammcuschließung der einzelnen Teintonen zu festeren Substraten der eben in lebhaftem Wachsthum begriffenen Landeshoheit, zugleich eine Zeit un¬ aufhörlicher Kämpfe, des Angriffs von der einen und der Gegenwehr von der anderen Seite wurde. Dieser — fast darf man sagen — „Krieg Aller gegen '^le" mußte, wenn die Reichsgewalt nicht stark genug war, den Einzelnen ÜU schützen, nothwendig das Bedürfniß der nächstgelegenen Gleichinteressitten zur ^genseitigcn Verbindung in sogenannten Einigungen oder Einungen erzeugen. Die kaiserlichen Hof- und Landgerichte waren zu solchem Schutze berufen; aber Heils waren sie oft in zu schlechten Hände», theils wurden sie durch die an

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/469
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/469>, abgerufen am 22.12.2024.