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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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wigs. trotzdem er bei Mühldorf gesiegt, als römische" Königs anzuerkennen, und
die anmaßliche Behauptung des Kirchenoberhanptcs, daß jede Wahl eine" römi¬
schen Königs seiner Bestätigung bedürfe, erweckt ein edles stolzes Nationalgefiihl
der deutschen Reichsfürsten und veranlaßt die Kurfürsten, in dem ersten Kur¬
verein von Reuse sich zu einem geschlossenen Reichskörper zusammenzufügen und
gegen jene päpstliche Anmaßung einen feste" Kern des Widerstands zu bilden,
der den unmittelbar darauf folgenden gleichgestimmten Beschlüssen des frank¬
furter Reichstags einen starken Stützpunkt verleiht.

Aber der in Reuse gelegte Grund war nur noch ein dürftiger, äußerst un¬
vollständiger. Er ließ in dein bisher hauptsächlich durch die Praxis gebildeten
Kurfürstenrechte -- namentlich in Bezug auf das Wahlverfahre" -- noch eine
Reihe von Lücken, die bei jeder Neuwahl eines römische" Königs zu den hef¬
tigsten erschütterndsten Kämpfen Anlaß geben konnte" und Anlaß gaben. Lud¬
wigs Nachfolger auf dem Throne des Reichs, Karl v. Mähren. diese nichts
weniger als heidenmäßige und kühne, vielmehr halb Gelehrten-, halb Diplo¬
matennatur, ließ es sich daher vor allem angelegen sein, im friedlichen Wege
der Gesetzgebung jene Lücken auszufüllen. In dem umfassenden Reichsgesetze,
das unter dem Namen der goldenen Bulle bekannt ist und heute noch eine
wichtige Quelle des deutschen Fürstenrechs bildet, gab er dem Reiche nicht nur
eine Kodifikation der damaligen Rechtsgewohnheiten in Bezug auf das Wahl-
verfahren der Kurfürsten, sondern entschied auch eine Reihe von Streitfragen
auf diesem Felde und fügte eine große Zahl solcher Bestimmungen hinzu, welche
dazu dienen sollten, die Bedeutung der Kurfürsten im Reiche feierlichst zu sanc-
tioniren. zu befestigen, ja wesentlich zu erweitern und zu erhöhen. Nachdem
die früheren Versuche, eine wirkliche Monarchie im deutschen Reiche nach dem
Muster der französischen aufzurichten, als fehlgeschlagen und die Formen einer
Art bundesmäßiger Vielherrschafi der Neichsfürsicn unter dem Präsidium eines
sogenannten römischen Wahlkönigs als befestigt betrachtet werden mußten, machte
Karl der Vierte sich zur Aufgabe, in der goldenen Bulle einen förmlichen Ber¬
trag hierüber zwischen Haupt und Gliedern des Reichs zu Stande zu bringen.
Die hervorragendsten sollen die Kurfürsten sein. Sie werden daher die
Säulen, die Kandelaber des Reichs genannt. Aber sie werden zugleich so innig
verwachsen mit dem Neichsooerhaupte, so Eines mit ihm als seine nächsten
Rathgeber und Stützen und Mitwirkende bei Ausführung der kaiserlichen Be¬
schlüsse gedacht, daß sie andrerseits als Glieder am Körper der kaiserlichen Majestät
bezeichnet werden. So hoffre Karl die Kaisermacht und das kaiserliche Ansehen
zu stärken.

Allein schon unter seinem nächsten Nachfolger und Sohne Wenzel ging
die Hoffnung, welche er von seiner Gesetzgebung in Bezug auf Frieden und
Ordnung im Reiche gehegt halte, nicht in Erfüllung. Unter Wentzel, der nach


wigs. trotzdem er bei Mühldorf gesiegt, als römische» Königs anzuerkennen, und
die anmaßliche Behauptung des Kirchenoberhanptcs, daß jede Wahl eine« römi¬
schen Königs seiner Bestätigung bedürfe, erweckt ein edles stolzes Nationalgefiihl
der deutschen Reichsfürsten und veranlaßt die Kurfürsten, in dem ersten Kur¬
verein von Reuse sich zu einem geschlossenen Reichskörper zusammenzufügen und
gegen jene päpstliche Anmaßung einen feste» Kern des Widerstands zu bilden,
der den unmittelbar darauf folgenden gleichgestimmten Beschlüssen des frank¬
furter Reichstags einen starken Stützpunkt verleiht.

Aber der in Reuse gelegte Grund war nur noch ein dürftiger, äußerst un¬
vollständiger. Er ließ in dein bisher hauptsächlich durch die Praxis gebildeten
Kurfürstenrechte — namentlich in Bezug auf das Wahlverfahre» — noch eine
Reihe von Lücken, die bei jeder Neuwahl eines römische» Königs zu den hef¬
tigsten erschütterndsten Kämpfen Anlaß geben konnte» und Anlaß gaben. Lud¬
wigs Nachfolger auf dem Throne des Reichs, Karl v. Mähren. diese nichts
weniger als heidenmäßige und kühne, vielmehr halb Gelehrten-, halb Diplo¬
matennatur, ließ es sich daher vor allem angelegen sein, im friedlichen Wege
der Gesetzgebung jene Lücken auszufüllen. In dem umfassenden Reichsgesetze,
das unter dem Namen der goldenen Bulle bekannt ist und heute noch eine
wichtige Quelle des deutschen Fürstenrechs bildet, gab er dem Reiche nicht nur
eine Kodifikation der damaligen Rechtsgewohnheiten in Bezug auf das Wahl-
verfahren der Kurfürsten, sondern entschied auch eine Reihe von Streitfragen
auf diesem Felde und fügte eine große Zahl solcher Bestimmungen hinzu, welche
dazu dienen sollten, die Bedeutung der Kurfürsten im Reiche feierlichst zu sanc-
tioniren. zu befestigen, ja wesentlich zu erweitern und zu erhöhen. Nachdem
die früheren Versuche, eine wirkliche Monarchie im deutschen Reiche nach dem
Muster der französischen aufzurichten, als fehlgeschlagen und die Formen einer
Art bundesmäßiger Vielherrschafi der Neichsfürsicn unter dem Präsidium eines
sogenannten römischen Wahlkönigs als befestigt betrachtet werden mußten, machte
Karl der Vierte sich zur Aufgabe, in der goldenen Bulle einen förmlichen Ber¬
trag hierüber zwischen Haupt und Gliedern des Reichs zu Stande zu bringen.
Die hervorragendsten sollen die Kurfürsten sein. Sie werden daher die
Säulen, die Kandelaber des Reichs genannt. Aber sie werden zugleich so innig
verwachsen mit dem Neichsooerhaupte, so Eines mit ihm als seine nächsten
Rathgeber und Stützen und Mitwirkende bei Ausführung der kaiserlichen Be¬
schlüsse gedacht, daß sie andrerseits als Glieder am Körper der kaiserlichen Majestät
bezeichnet werden. So hoffre Karl die Kaisermacht und das kaiserliche Ansehen
zu stärken.

Allein schon unter seinem nächsten Nachfolger und Sohne Wenzel ging
die Hoffnung, welche er von seiner Gesetzgebung in Bezug auf Frieden und
Ordnung im Reiche gehegt halte, nicht in Erfüllung. Unter Wentzel, der nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/468>, abgerufen am 30.09.2024.