Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.die Bauern nicht Eigenthümer des Loders, welchen sie bauen, sondern nur Als es nun an die Parlamentswahlen ging, publicirten die Großherzoge die Bauern nicht Eigenthümer des Loders, welchen sie bauen, sondern nur Als es nun an die Parlamentswahlen ging, publicirten die Großherzoge <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190620"/> <p xml:id="ID_1539" prev="#ID_1538"> die Bauern nicht Eigenthümer des Loders, welchen sie bauen, sondern nur<lb/> Erbpächter. Alles Land gehört gegenwärtig dem Großherzog. wie ehedem dem<lb/> Kirchenfürsten. Da das landesherrliche Regiment hinsichtlich der Herrschaft<lb/> Stargard durch ständische Gerechtsame beschränkt ist, in dem Fürstenthum Ratze-<lb/> burg aber nicht; da also Stargard im Stande ist, sich zu wehren. Natzeburg<lb/> aber nicht, so ist es natürlich, daß Stargard auf Ratzeburg abwälzt,,und Ratze-<lb/> burg dabei mitunter zu kurz kommt. Hierdurch nun ist das ratzebürgerliche<lb/> Rechts- und Selbständigkeitsgefühl geweckt und gereizt worden. Es steift sich<lb/> auf seine SondereMenz, seine Personalunion, sein Selbstbestimmungsrecht. Es<lb/> verlangte früher unter Berufung auf den Artikel 13 der weiland Bundesacte<lb/> für sich eine Volksvertretung und hofft nun, daß ihm endlich unter dem neuen<lb/> Bund zu Theil werde, was ihm der alte nicht gewähren konnte oder wollte.<lb/> In der That hat es auch allen Grund, sich zu wehren. Denn es ist bei der<lb/> Erbauung der mecklenburgischen Slaatsbahnen übel gefahren, zu welchen es<lb/> bezahlen mußte, ohne den geringsten Vortheil davon zu haben; und man wollte<lb/> es sogar durch eine Zollgrenze von dem natürlichen Centralpunkte seines Ver¬<lb/> kehrs, von der Hansastadt Lübeck, abschneiden. Gegen diese Ausdehnung des<lb/> 1863 neu beschlossenen mecklenburgischen Grenzzolles auch auf das Fürstenthum<lb/> Ratzeburg haben sich indeß die wackeren Bewohner dieses unbekannten Reichs,<lb/> unter Führung des geschickten Advocaten Kindler in Schönberg, dem das öffent¬<lb/> liche Vertrauen gleichsam das Amt eines Vice-, oder gar Contregroßherzogs<lb/> übertragen hat. so kräftig gewehrt, daß Mecklenburg seinen Plan aufgeben<lb/> mußte und dem Lande die Handelsfreiheit erhalten blieb. So viel zur Onen-<lb/> tirung über diesen wunderlichen Mikrokosmus in unseren Nordmarle».</p><lb/> <p xml:id="ID_1540" next="#ID_1541"> Als es nun an die Parlamentswahlen ging, publicirten die Großherzoge<lb/> von Mecklenburg ein Gesetz, worin es hieß: „Jeder Mecklenburger, welcher<lb/> fünfundzwanzig Jahre alt und unbescholten ist, hat das Recht zu wählen" u. s. w.<lb/> Die Ratzeburger witterten hierin sofort eine Schlinge schlimmster Art. Sie cal-<lb/> culirtcn: Wir sind Ratze- und nicht Mecklenburger; w?um das Wahlgesetz anch<lb/> für uns gelten sollte, so müßte darin stehen: „Jeder Ratze- und Mecklenburger".<lb/> Da es aber blos heißt „Mecklenburger" und nicht auch „Ratzeburger", so liegt<lb/> die dringende Gefahr vor, daß die Ratzeburger, wenn sie dennoch wählen, sich<lb/> dadurch als Mecklenburger bekennen und dadurch alle ihre Rechte. Freiheiten<lb/> und Privilegien, soweit sie deren etwa haben sollte» — omnur, si yuuv i-we,<lb/> Mrg,— verscherzen und ihrer Sonderexistenz, rhrer Personalunion, ihres Selbst-<lb/> destimmungSreehts und ihres Anspruchs auf constitutionelle Repräsentation der<lb/> ratzeburgcr Nation verlustig gehen. In Erwägung dessen erging der Beschluß:<lb/> Wir wählen nicht zum Parlament. Und jedermänniglich befolgte ihn. Ver¬<lb/> gebens reiste der Wahlvvrstand von Ort zu Ort. In dem Gasthaus, wo<lb/> die Wahl vorgenommen werden sollte, fand er keine Wähler, sondern nur den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0461]
die Bauern nicht Eigenthümer des Loders, welchen sie bauen, sondern nur
Erbpächter. Alles Land gehört gegenwärtig dem Großherzog. wie ehedem dem
Kirchenfürsten. Da das landesherrliche Regiment hinsichtlich der Herrschaft
Stargard durch ständische Gerechtsame beschränkt ist, in dem Fürstenthum Ratze-
burg aber nicht; da also Stargard im Stande ist, sich zu wehren. Natzeburg
aber nicht, so ist es natürlich, daß Stargard auf Ratzeburg abwälzt,,und Ratze-
burg dabei mitunter zu kurz kommt. Hierdurch nun ist das ratzebürgerliche
Rechts- und Selbständigkeitsgefühl geweckt und gereizt worden. Es steift sich
auf seine SondereMenz, seine Personalunion, sein Selbstbestimmungsrecht. Es
verlangte früher unter Berufung auf den Artikel 13 der weiland Bundesacte
für sich eine Volksvertretung und hofft nun, daß ihm endlich unter dem neuen
Bund zu Theil werde, was ihm der alte nicht gewähren konnte oder wollte.
In der That hat es auch allen Grund, sich zu wehren. Denn es ist bei der
Erbauung der mecklenburgischen Slaatsbahnen übel gefahren, zu welchen es
bezahlen mußte, ohne den geringsten Vortheil davon zu haben; und man wollte
es sogar durch eine Zollgrenze von dem natürlichen Centralpunkte seines Ver¬
kehrs, von der Hansastadt Lübeck, abschneiden. Gegen diese Ausdehnung des
1863 neu beschlossenen mecklenburgischen Grenzzolles auch auf das Fürstenthum
Ratzeburg haben sich indeß die wackeren Bewohner dieses unbekannten Reichs,
unter Führung des geschickten Advocaten Kindler in Schönberg, dem das öffent¬
liche Vertrauen gleichsam das Amt eines Vice-, oder gar Contregroßherzogs
übertragen hat. so kräftig gewehrt, daß Mecklenburg seinen Plan aufgeben
mußte und dem Lande die Handelsfreiheit erhalten blieb. So viel zur Onen-
tirung über diesen wunderlichen Mikrokosmus in unseren Nordmarle».
Als es nun an die Parlamentswahlen ging, publicirten die Großherzoge
von Mecklenburg ein Gesetz, worin es hieß: „Jeder Mecklenburger, welcher
fünfundzwanzig Jahre alt und unbescholten ist, hat das Recht zu wählen" u. s. w.
Die Ratzeburger witterten hierin sofort eine Schlinge schlimmster Art. Sie cal-
culirtcn: Wir sind Ratze- und nicht Mecklenburger; w?um das Wahlgesetz anch
für uns gelten sollte, so müßte darin stehen: „Jeder Ratze- und Mecklenburger".
Da es aber blos heißt „Mecklenburger" und nicht auch „Ratzeburger", so liegt
die dringende Gefahr vor, daß die Ratzeburger, wenn sie dennoch wählen, sich
dadurch als Mecklenburger bekennen und dadurch alle ihre Rechte. Freiheiten
und Privilegien, soweit sie deren etwa haben sollte» — omnur, si yuuv i-we,
Mrg,— verscherzen und ihrer Sonderexistenz, rhrer Personalunion, ihres Selbst-
destimmungSreehts und ihres Anspruchs auf constitutionelle Repräsentation der
ratzeburgcr Nation verlustig gehen. In Erwägung dessen erging der Beschluß:
Wir wählen nicht zum Parlament. Und jedermänniglich befolgte ihn. Ver¬
gebens reiste der Wahlvvrstand von Ort zu Ort. In dem Gasthaus, wo
die Wahl vorgenommen werden sollte, fand er keine Wähler, sondern nur den
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