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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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die Kensdarmen n. s. w. Dieser von vornherein gegebene" und fertig dastehenden
Organisation der Konservativen gegenüber, welche in >eder Stadt, in jedem Dorfe,
auf jedem Gute ihre geborenen und gleichsam providentiellen Agenten hatte,
besaß die liberale Partei absolut nichts entsprechendes. Denn das Werkzeug der
Wahlmänner war außer Function geseift und eS paßte auch nicht zu der ge¬
stellten Aufgabe der massenhaften, raschen und sicheren Occupation des dem
Indifferentismus zugehörigen Theiles der Wählerschaft, namentlich auf dem
flache" Lande bei spärlicher Bevölkerung, wo die menschlichen Wohnsitze so weit
auseinanderliegen, und die Verkehrsmittel, welche sie verbinden sollen, noch
so viel zu wünschen übrig lassen. Auch die Flugblätter, die man von Berlin
ans emittirte und von welchen man sich, da sie in der That zum großen Theile
vortrefflich abgefaßt waren, die größte Wirkung versprach, konnten hier nicht
recht in Circulation kommen; und wo dies dennoch der Fall war, da wurde die
Wirksamkeit ihres Inhalts paralysirt dnrch das gesprochene Wort, das von
Mund zu Mund und von Herz zu Herze" ging und hin und wieder unterstützt
wurde durch einen bis an die äußerste Grenze der geschlichen Schranken, mit¬
unter aber -- so behauptet man -- auch über diese Grenze hinaus ausgedehnten
Gebrauch der öffentlichen Autorität. Wenn der Landrath des civsseuer Kreises,
der zugleich auch Wahlvorstand war, unter Berufung auf die Pflicht der "Treue
gegen den König" zur Wahl des Generals v. Steinmetz auffordert, dessen
Gegner für Feinde des Königs erklärt, weiche das Volk mit "Redensarten von
Freiheit, Volksrechten n. tgi. bethölen" und am Ende seines Circnlars wörtlich
sagt: "Diese Verfügung ist den Gemeinden vorzulesen, und haben die
Herren Gensd armen dies zu controliren und mir bei Nichtbefol-
gung Bericht zu e>statten", so liegt es doch sehr nahe, oder vielmehr es
ist beinahe unvermeidlich, daß der Bauer. welchem dieses irmuäatum sine ellm-
suln. vorgelesen wird und der sich auf schriftgelehrte Wendungen nicht versteht,
sich die Sache einfach so zurechtlegt: "Seine Hochwohlgeboren der Herr Land-
rath befiehlt im Auftrage Seiner Majestät des Königs, daß wir Seine Excellenz
den Herrn General v. Steinmetz wählen; der He>r Gensdarm wird genau auf¬
passen und jeden, der diesen Befehl nicht befolgt, beim Herrn Lanorathe zur
Anzeige und Strafe bringen." Als der G>af Bethnsi-Huc über diese Wahl
im Reichstage reseiirte und mit anerkennenswerther Unparteilichkeit das Ver¬
fahren des Landraths charakterisirte und dessen Wahlausschreiben vollständig mit¬
theilte, da glaubten die neupreußischcn und die nichtprcußischen Abgeordneten,
mitinbegriffen die Particularisten und die Conservativen. die oppositionellen
Mitglieder der preußischen Volksvertretung, welche auch im Reichstage sitze",
würden Beanstandung der Wahl beantragen. Sie meinten, diesen den Vortritt
überlassen zu müssen. Allein kein Mensch ergriff das Wort, um die Wahl an¬
zufechten. Sie wurde mit einer tadelnden Bemerkung gegen die "Überschreitung"


die Kensdarmen n. s. w. Dieser von vornherein gegebene» und fertig dastehenden
Organisation der Konservativen gegenüber, welche in >eder Stadt, in jedem Dorfe,
auf jedem Gute ihre geborenen und gleichsam providentiellen Agenten hatte,
besaß die liberale Partei absolut nichts entsprechendes. Denn das Werkzeug der
Wahlmänner war außer Function geseift und eS paßte auch nicht zu der ge¬
stellten Aufgabe der massenhaften, raschen und sicheren Occupation des dem
Indifferentismus zugehörigen Theiles der Wählerschaft, namentlich auf dem
flache» Lande bei spärlicher Bevölkerung, wo die menschlichen Wohnsitze so weit
auseinanderliegen, und die Verkehrsmittel, welche sie verbinden sollen, noch
so viel zu wünschen übrig lassen. Auch die Flugblätter, die man von Berlin
ans emittirte und von welchen man sich, da sie in der That zum großen Theile
vortrefflich abgefaßt waren, die größte Wirkung versprach, konnten hier nicht
recht in Circulation kommen; und wo dies dennoch der Fall war, da wurde die
Wirksamkeit ihres Inhalts paralysirt dnrch das gesprochene Wort, das von
Mund zu Mund und von Herz zu Herze» ging und hin und wieder unterstützt
wurde durch einen bis an die äußerste Grenze der geschlichen Schranken, mit¬
unter aber — so behauptet man — auch über diese Grenze hinaus ausgedehnten
Gebrauch der öffentlichen Autorität. Wenn der Landrath des civsseuer Kreises,
der zugleich auch Wahlvorstand war, unter Berufung auf die Pflicht der „Treue
gegen den König" zur Wahl des Generals v. Steinmetz auffordert, dessen
Gegner für Feinde des Königs erklärt, weiche das Volk mit „Redensarten von
Freiheit, Volksrechten n. tgi. bethölen" und am Ende seines Circnlars wörtlich
sagt: „Diese Verfügung ist den Gemeinden vorzulesen, und haben die
Herren Gensd armen dies zu controliren und mir bei Nichtbefol-
gung Bericht zu e>statten", so liegt es doch sehr nahe, oder vielmehr es
ist beinahe unvermeidlich, daß der Bauer. welchem dieses irmuäatum sine ellm-
suln. vorgelesen wird und der sich auf schriftgelehrte Wendungen nicht versteht,
sich die Sache einfach so zurechtlegt: „Seine Hochwohlgeboren der Herr Land-
rath befiehlt im Auftrage Seiner Majestät des Königs, daß wir Seine Excellenz
den Herrn General v. Steinmetz wählen; der He>r Gensdarm wird genau auf¬
passen und jeden, der diesen Befehl nicht befolgt, beim Herrn Lanorathe zur
Anzeige und Strafe bringen." Als der G>af Bethnsi-Huc über diese Wahl
im Reichstage reseiirte und mit anerkennenswerther Unparteilichkeit das Ver¬
fahren des Landraths charakterisirte und dessen Wahlausschreiben vollständig mit¬
theilte, da glaubten die neupreußischcn und die nichtprcußischen Abgeordneten,
mitinbegriffen die Particularisten und die Conservativen. die oppositionellen
Mitglieder der preußischen Volksvertretung, welche auch im Reichstage sitze»,
würden Beanstandung der Wahl beantragen. Sie meinten, diesen den Vortritt
überlassen zu müssen. Allein kein Mensch ergriff das Wort, um die Wahl an¬
zufechten. Sie wurde mit einer tadelnden Bemerkung gegen die „Überschreitung"


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[0458] die Kensdarmen n. s. w. Dieser von vornherein gegebene» und fertig dastehenden Organisation der Konservativen gegenüber, welche in >eder Stadt, in jedem Dorfe, auf jedem Gute ihre geborenen und gleichsam providentiellen Agenten hatte, besaß die liberale Partei absolut nichts entsprechendes. Denn das Werkzeug der Wahlmänner war außer Function geseift und eS paßte auch nicht zu der ge¬ stellten Aufgabe der massenhaften, raschen und sicheren Occupation des dem Indifferentismus zugehörigen Theiles der Wählerschaft, namentlich auf dem flache» Lande bei spärlicher Bevölkerung, wo die menschlichen Wohnsitze so weit auseinanderliegen, und die Verkehrsmittel, welche sie verbinden sollen, noch so viel zu wünschen übrig lassen. Auch die Flugblätter, die man von Berlin ans emittirte und von welchen man sich, da sie in der That zum großen Theile vortrefflich abgefaßt waren, die größte Wirkung versprach, konnten hier nicht recht in Circulation kommen; und wo dies dennoch der Fall war, da wurde die Wirksamkeit ihres Inhalts paralysirt dnrch das gesprochene Wort, das von Mund zu Mund und von Herz zu Herze» ging und hin und wieder unterstützt wurde durch einen bis an die äußerste Grenze der geschlichen Schranken, mit¬ unter aber — so behauptet man — auch über diese Grenze hinaus ausgedehnten Gebrauch der öffentlichen Autorität. Wenn der Landrath des civsseuer Kreises, der zugleich auch Wahlvorstand war, unter Berufung auf die Pflicht der „Treue gegen den König" zur Wahl des Generals v. Steinmetz auffordert, dessen Gegner für Feinde des Königs erklärt, weiche das Volk mit „Redensarten von Freiheit, Volksrechten n. tgi. bethölen" und am Ende seines Circnlars wörtlich sagt: „Diese Verfügung ist den Gemeinden vorzulesen, und haben die Herren Gensd armen dies zu controliren und mir bei Nichtbefol- gung Bericht zu e>statten", so liegt es doch sehr nahe, oder vielmehr es ist beinahe unvermeidlich, daß der Bauer. welchem dieses irmuäatum sine ellm- suln. vorgelesen wird und der sich auf schriftgelehrte Wendungen nicht versteht, sich die Sache einfach so zurechtlegt: „Seine Hochwohlgeboren der Herr Land- rath befiehlt im Auftrage Seiner Majestät des Königs, daß wir Seine Excellenz den Herrn General v. Steinmetz wählen; der He>r Gensdarm wird genau auf¬ passen und jeden, der diesen Befehl nicht befolgt, beim Herrn Lanorathe zur Anzeige und Strafe bringen." Als der G>af Bethnsi-Huc über diese Wahl im Reichstage reseiirte und mit anerkennenswerther Unparteilichkeit das Ver¬ fahren des Landraths charakterisirte und dessen Wahlausschreiben vollständig mit¬ theilte, da glaubten die neupreußischcn und die nichtprcußischen Abgeordneten, mitinbegriffen die Particularisten und die Conservativen. die oppositionellen Mitglieder der preußischen Volksvertretung, welche auch im Reichstage sitze», würden Beanstandung der Wahl beantragen. Sie meinten, diesen den Vortritt überlassen zu müssen. Allein kein Mensch ergriff das Wort, um die Wahl an¬ zufechten. Sie wurde mit einer tadelnden Bemerkung gegen die „Überschreitung"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/458>, abgerufen am 29.09.2024.