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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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gegrenzte, auf localer Präponderanz irgendeines socialen Elementes beruhende
Wahlkörper von einer Partei, die durch den Lauf der Dinge obenauf gekommen,
oder, sei es. durch Glück, sei es durch Geschick, sonstwie in den Vordergrund
geschoben worden ist, weit leichter zu beherrschen sind als große, schrankenlos
fluctuircnde Wählerschaften. Als Herr v. Hasscnpflug es in Kurhessen recht
klug zu machen vermeinte und die Wahlkörper auf Gemeindebcamte und einige
sonstige Notabilitäten beschränkte, grub er sich selber sein Grab. Denn diese
Beschränkung war es, welche der Verfassungspartei die Möglichkeit gewährte,
zwei Lustren lang einen Kampf von solcher Hartnäckigkeit in Angriff und Ver¬
theidigung gegen ihn zu führen.

Die liberalen Parteien in Preußen scheinen vergessen zu haben, welch ein
himmelweiter Unterschied zwischen dem beschränkten Drei-Classen-Wahlsystem und
dem unbeschränkten geheimen Stimmrecht ist. Letzteres kennt weder Wahlmänner,
noch öffentliche Abstimmung. Die Wahlmänner aber waren in Preußen seit
wiederholten Wahlen in jedem Wahlkreise so ziemlich dieselben geblieben; und
diese in Permanenz gesetzten Wahlmänner-Patricier hatten eine vortreffliche
politische Parteischule hinter sich. Sie spielten das Instrument der Dreiclassen-
wahl, aber auch nur dieses, mit Virtuosität. Sie wußten die öffentliche Ab¬
stimmung zu organisiren und zu überwachen. Sie wußten, wie man Wahlmann
wird. Und wenn sie Wahlmcinn waren, dann wußten sie, was sie zu thun
hatten. Sie erhielten ihre Parole durch die Tagespresse und durch Flugblätter.
Diese Wahlen ließen sich von einem Centralpunkt aus durch das geschriebene
oder gedruckte Wort regieren. Sie bedurften kaum der vox Iiumiura. Allein
es war ein verhängnißvoller Irrthum der liberalen Partei, wenn sie auch für
das directe allgemeine Ballot auf diese jahrelang im Dreiclassensystem be¬
währte Institution bauten, wenn sie glaubten, auch für das Suffrage universel
genüge ein Centralcomit(> in Berlin mit Flugblättern. Bei dem Ballot ver¬
loren die Wahlmänner ihr bisheriges Prestige. Das Instrument, welches sie
zu spielen hatten, war ein neues und sie verstanden nur das alte, mit den
wohlbekannten drei Saiten bespannte. Die Wahlvorbereitungen des allgemeinen
Stimmrechts, welche von der liberalen Partei auf das Forum, auf das weiteste
Gebiet der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit hätten geschleppt oder wenigstens
geschoben werden müssen, zogen sich in Ermangelung einer solchen großartigen
Agitation liberalen Stils zurück in den Schatten kühler Denkungsart und unter
die Fittige weltlicher und geistlicher Obrigkeit, in die Schul- und Rathhaus¬
stuben, in die Bureaus der Landräthe und Amtmänner. Nicht die vormaligen
Wahlmänner, deren bevorzugte Stellung hin und wieder auch den Neid der
finsteren Mächte ein wenig geweckt haben mochte, übten den Einfluß, sondern
die Pcistoren und Schullehrer, die Landräthe, die Bürgermeister, die Amtmänner,
die Gutsobrigkeiten, die Rentmeister, die Polizeivcrwalter, die Districtscommissäre,


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gegrenzte, auf localer Präponderanz irgendeines socialen Elementes beruhende
Wahlkörper von einer Partei, die durch den Lauf der Dinge obenauf gekommen,
oder, sei es. durch Glück, sei es durch Geschick, sonstwie in den Vordergrund
geschoben worden ist, weit leichter zu beherrschen sind als große, schrankenlos
fluctuircnde Wählerschaften. Als Herr v. Hasscnpflug es in Kurhessen recht
klug zu machen vermeinte und die Wahlkörper auf Gemeindebcamte und einige
sonstige Notabilitäten beschränkte, grub er sich selber sein Grab. Denn diese
Beschränkung war es, welche der Verfassungspartei die Möglichkeit gewährte,
zwei Lustren lang einen Kampf von solcher Hartnäckigkeit in Angriff und Ver¬
theidigung gegen ihn zu führen.

Die liberalen Parteien in Preußen scheinen vergessen zu haben, welch ein
himmelweiter Unterschied zwischen dem beschränkten Drei-Classen-Wahlsystem und
dem unbeschränkten geheimen Stimmrecht ist. Letzteres kennt weder Wahlmänner,
noch öffentliche Abstimmung. Die Wahlmänner aber waren in Preußen seit
wiederholten Wahlen in jedem Wahlkreise so ziemlich dieselben geblieben; und
diese in Permanenz gesetzten Wahlmänner-Patricier hatten eine vortreffliche
politische Parteischule hinter sich. Sie spielten das Instrument der Dreiclassen-
wahl, aber auch nur dieses, mit Virtuosität. Sie wußten die öffentliche Ab¬
stimmung zu organisiren und zu überwachen. Sie wußten, wie man Wahlmann
wird. Und wenn sie Wahlmcinn waren, dann wußten sie, was sie zu thun
hatten. Sie erhielten ihre Parole durch die Tagespresse und durch Flugblätter.
Diese Wahlen ließen sich von einem Centralpunkt aus durch das geschriebene
oder gedruckte Wort regieren. Sie bedurften kaum der vox Iiumiura. Allein
es war ein verhängnißvoller Irrthum der liberalen Partei, wenn sie auch für
das directe allgemeine Ballot auf diese jahrelang im Dreiclassensystem be¬
währte Institution bauten, wenn sie glaubten, auch für das Suffrage universel
genüge ein Centralcomit(> in Berlin mit Flugblättern. Bei dem Ballot ver¬
loren die Wahlmänner ihr bisheriges Prestige. Das Instrument, welches sie
zu spielen hatten, war ein neues und sie verstanden nur das alte, mit den
wohlbekannten drei Saiten bespannte. Die Wahlvorbereitungen des allgemeinen
Stimmrechts, welche von der liberalen Partei auf das Forum, auf das weiteste
Gebiet der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit hätten geschleppt oder wenigstens
geschoben werden müssen, zogen sich in Ermangelung einer solchen großartigen
Agitation liberalen Stils zurück in den Schatten kühler Denkungsart und unter
die Fittige weltlicher und geistlicher Obrigkeit, in die Schul- und Rathhaus¬
stuben, in die Bureaus der Landräthe und Amtmänner. Nicht die vormaligen
Wahlmänner, deren bevorzugte Stellung hin und wieder auch den Neid der
finsteren Mächte ein wenig geweckt haben mochte, übten den Einfluß, sondern
die Pcistoren und Schullehrer, die Landräthe, die Bürgermeister, die Amtmänner,
die Gutsobrigkeiten, die Rentmeister, die Polizeivcrwalter, die Districtscommissäre,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/457>, abgerufen am 29.09.2024.