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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Heft in Händen, so machten sie stetige Fortschritte in der Ausführung ihres
Plans, Nur dadurch hielten sich die Lithauer noch, daß sie womöglich einen
Sohn oder jüngeren Binder der Könige zu ihrem Großfürsten machten. Das
Schicksal wollte es aber so, daß diese Großfürsten immer nachdem den Königs¬
thron bestiegen und dann ihre persönlichen Beziehungen zu dem Rebenlaube zu
dessen Nachtheil verwendeten.

Als nach dem Tode Sigismunds des Ersten dessen Sohn Sigismund August,
bisheriger Großfürst, 1348 zur Königskrone gelangte, gab es gar keinen andern
Prinzen des Hauses Jagcllo; sonnt war den Lithauern auch die Möglichkeit
benommen, sich an der Wahl eines solchen zu ihrem Großherzog eine Stütze
ihrer Selbständigkeit zu schaffen und waren den Angriffen der Polen in erhöhtem
Maße ausgesetzt. Sie waren gezwungen, sich mit dem Gedanken an eine voll¬
ständige Vereinigung mit Polen mehr und mehr vertraut zu machen. "Sie
wiegten sich hierbei in der Illusion, es sei möglich, daß sich Lithauen als gleich¬
berechtigte Macht mit Polen verbände, die Polen gingen aber ganz einfach dar¬
auf aus, sich Lithauen vollständig unierthcinig zu machen." So äußert sich ein
Slawe in einer geschichtltchcn Skizze ("slavisches Centralblatt" 1866 Ur. 17
u. folg.), welche der folgenden Darstellung zu Grunde gelegt wird, um zugleich
daran zu erinnern, daß das Verfahren der Polen gegen die Lithauer auch von
ihren Stammverwandten nicht eben hoch gepriesen wird.

"Es geziemte Sigismund August," sagt unser Gewährsmann, "der in
gleicher Weise das Wohl Polens und Lithauens zu vertreten hatte, eine ver¬
mittelnde Stellung zwischen beiden einzunehmen; allein die Stellung zu finden
war unmöglich, da man von einer Seite die vollste Selbständigkeit, von der
anderen die vollste Unterwerfung anstrebte. Sigismund mußte entweder auf
die eine oder die andere Seite treten, und er trat endlich auf diejenige über,
von welcher er für die Kräftigung des Reiches das Meiste erwartete, d. h. er
trat aus die Seite der Pole"." -- Ich übergehe die einzelnen Maßregeln,
welche zur Vorbereitung der vollständigen Vereinigung getroffen wurden, beson¬
ders die Erhebung des lithauischen Kleinadels zur Gleichberechtigung mit den
dortigen Fürsten, wodurch in ihm eine polnische Partei geschaffen wurde. Endlich
im Winter 1568--69, als die Lithauer zugleich von den Schweden und dem
Zaren, von Moskau mit Krieg bedroht wurden, also des Beistandes der Polen
dringend bedürftig waren, war die Frucht reif. Es wurde der Reichstag zu
Ludim einberufen, der, wie wir gesehen, auch den Preußen verhängnißvoll wer¬
den sollte. "Die Lithauer sandten erst zu Anfange des Jahres" 1369 eine ge¬
ringe Anzahl Landboten. Die Spannung war von beiden Seiten groß. Die
Lithauer suchten ihr Recht auf vollständige Selbständigkeit in inneren Ange¬
legenheiten nachzuweisen und beriefen sich auf die Documente der lithauischen
Großfürsten; die Polen aber, welche eine vollständige Verschmelzung beider


Heft in Händen, so machten sie stetige Fortschritte in der Ausführung ihres
Plans, Nur dadurch hielten sich die Lithauer noch, daß sie womöglich einen
Sohn oder jüngeren Binder der Könige zu ihrem Großfürsten machten. Das
Schicksal wollte es aber so, daß diese Großfürsten immer nachdem den Königs¬
thron bestiegen und dann ihre persönlichen Beziehungen zu dem Rebenlaube zu
dessen Nachtheil verwendeten.

Als nach dem Tode Sigismunds des Ersten dessen Sohn Sigismund August,
bisheriger Großfürst, 1348 zur Königskrone gelangte, gab es gar keinen andern
Prinzen des Hauses Jagcllo; sonnt war den Lithauern auch die Möglichkeit
benommen, sich an der Wahl eines solchen zu ihrem Großherzog eine Stütze
ihrer Selbständigkeit zu schaffen und waren den Angriffen der Polen in erhöhtem
Maße ausgesetzt. Sie waren gezwungen, sich mit dem Gedanken an eine voll¬
ständige Vereinigung mit Polen mehr und mehr vertraut zu machen. „Sie
wiegten sich hierbei in der Illusion, es sei möglich, daß sich Lithauen als gleich¬
berechtigte Macht mit Polen verbände, die Polen gingen aber ganz einfach dar¬
auf aus, sich Lithauen vollständig unierthcinig zu machen." So äußert sich ein
Slawe in einer geschichtltchcn Skizze („slavisches Centralblatt" 1866 Ur. 17
u. folg.), welche der folgenden Darstellung zu Grunde gelegt wird, um zugleich
daran zu erinnern, daß das Verfahren der Polen gegen die Lithauer auch von
ihren Stammverwandten nicht eben hoch gepriesen wird.

„Es geziemte Sigismund August," sagt unser Gewährsmann, „der in
gleicher Weise das Wohl Polens und Lithauens zu vertreten hatte, eine ver¬
mittelnde Stellung zwischen beiden einzunehmen; allein die Stellung zu finden
war unmöglich, da man von einer Seite die vollste Selbständigkeit, von der
anderen die vollste Unterwerfung anstrebte. Sigismund mußte entweder auf
die eine oder die andere Seite treten, und er trat endlich auf diejenige über,
von welcher er für die Kräftigung des Reiches das Meiste erwartete, d. h. er
trat aus die Seite der Pole»." — Ich übergehe die einzelnen Maßregeln,
welche zur Vorbereitung der vollständigen Vereinigung getroffen wurden, beson¬
ders die Erhebung des lithauischen Kleinadels zur Gleichberechtigung mit den
dortigen Fürsten, wodurch in ihm eine polnische Partei geschaffen wurde. Endlich
im Winter 1568—69, als die Lithauer zugleich von den Schweden und dem
Zaren, von Moskau mit Krieg bedroht wurden, also des Beistandes der Polen
dringend bedürftig waren, war die Frucht reif. Es wurde der Reichstag zu
Ludim einberufen, der, wie wir gesehen, auch den Preußen verhängnißvoll wer¬
den sollte. „Die Lithauer sandten erst zu Anfange des Jahres" 1369 eine ge¬
ringe Anzahl Landboten. Die Spannung war von beiden Seiten groß. Die
Lithauer suchten ihr Recht auf vollständige Selbständigkeit in inneren Ange¬
legenheiten nachzuweisen und beriefen sich auf die Documente der lithauischen
Großfürsten; die Polen aber, welche eine vollständige Verschmelzung beider


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/430>, abgerufen am 28.09.2024.