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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Europas, Baron Rothschild in rothun Frack mit dem schwarzen Bande von
Schweden, der preußische Ministerpräsident in Kunassieruniform. Der Frack war
in der Minderzahl. Die königliche Familie und ihr Hofstaat erschienen in langem
Zuge und hoch oben von der Gallerte klangen die Gesänge des Domchors so
rein, voll und schön von der Wölbung herab, daß man die Predigt gern gemißt
hätte, um den Tönen aus der Hohe zu lauschen.

Aus der Kapelle ging die Gesellschaft nach dem berühmten weißen Saale,
der in den letzten 19 Jahren so viele Staatsactionen verschiedenster Art ein¬
gefaßt hat. Zur Linken des Thrones stellten sich die Minister und die Com-
missäre der Bundesstaaten auf, je ein Preuße und ein anderer Bundescommissar,
neben Graf Bismarck der sächsische Herr von Friese". Im festlichen Zuge: Pagen.
Kammerherrn, Oberhoschargen, Aemter, Reichskleinodien voran, traten der König
und die Prinzen ein. Der König las die lange Thronrede, welche ihm der
Ministerpräsident darbot, deutlich, mit sehr bewegter Stimme. Einzelne Satze,
das hoffnungsvolle Verhältniß zu den Südstaaten, der friedliche Charakter des neuen
Bundes, wurden mit beifälligem Gemurmel begrüßt, im Ganzen war die Haltung der
Hörer eine feierlich gemessene, das Urtheil über die gleichzeitig durch Flugblätter
in der Stadt verbreitete Rede bei den Abgeordneten ein überwiegend günstiges.
Nach der Thronrede und dem Abschiedsgruß des Königs erklärte der Minister¬
präsident den Reichstag für eröffnet. In langen Reihen fuhren die Wagen aus
dem Schloßportal. Im Schauspielhause wurden am Abend die Journalisten
gegeben. --

Sogleich bei der ersten Sitzung des Reichstags am 25. wurden Uebelstände
des Raumes, welchen man eilig hergerichtet hatte, fühlbar. Zwar die Enge der
Sitzplätze ist nicht so unerträglich, als sie wohl geschildert wurde, aber die Akustik
des Herrenhauses läßt viel zu wünschen übrig. Es ist ein im Grundriß fast
quadratischer Raum von beträchtlicher Höbe, die Sitze steigen nach hinten ziemlich
steil; wird von den vorderen Bänken gesprochen, so ist selbst ein starkes Organ in
Gefahr, auf den Hinteren Sitzreihen nicht verstanden zu werden. Das erwies
sich als ein ernster Uebelstand; denn er kreuzte den allgemeinen Wunsch, daß
man diesmal der Rednertribüne und ihrer laugstilisirten Reden entrathen wolle.
Es wird doch eine Art Pult aufgestellt werden.

Die Constituirung einer parlamentarischen Versammlung bietet unvermeid¬
lich öde Stunden. Kräftig unterstützte den Alterspräsidenten von allen Seiten
der gute Wille, rasch zur Sache zu gelangen. Man beschloß, vorläufig die -
Geschäftsordnung des preußischen Abgeordnetenhauses zu adopt>ren, vereinigte
sich über einige kleine Modificationen und verkoofte die anwesenden Mitglieder
(220--25) in sieben Abtheilungen. Seit dem Dienstag sind die Abtheilungen


Europas, Baron Rothschild in rothun Frack mit dem schwarzen Bande von
Schweden, der preußische Ministerpräsident in Kunassieruniform. Der Frack war
in der Minderzahl. Die königliche Familie und ihr Hofstaat erschienen in langem
Zuge und hoch oben von der Gallerte klangen die Gesänge des Domchors so
rein, voll und schön von der Wölbung herab, daß man die Predigt gern gemißt
hätte, um den Tönen aus der Hohe zu lauschen.

Aus der Kapelle ging die Gesellschaft nach dem berühmten weißen Saale,
der in den letzten 19 Jahren so viele Staatsactionen verschiedenster Art ein¬
gefaßt hat. Zur Linken des Thrones stellten sich die Minister und die Com-
missäre der Bundesstaaten auf, je ein Preuße und ein anderer Bundescommissar,
neben Graf Bismarck der sächsische Herr von Friese». Im festlichen Zuge: Pagen.
Kammerherrn, Oberhoschargen, Aemter, Reichskleinodien voran, traten der König
und die Prinzen ein. Der König las die lange Thronrede, welche ihm der
Ministerpräsident darbot, deutlich, mit sehr bewegter Stimme. Einzelne Satze,
das hoffnungsvolle Verhältniß zu den Südstaaten, der friedliche Charakter des neuen
Bundes, wurden mit beifälligem Gemurmel begrüßt, im Ganzen war die Haltung der
Hörer eine feierlich gemessene, das Urtheil über die gleichzeitig durch Flugblätter
in der Stadt verbreitete Rede bei den Abgeordneten ein überwiegend günstiges.
Nach der Thronrede und dem Abschiedsgruß des Königs erklärte der Minister¬
präsident den Reichstag für eröffnet. In langen Reihen fuhren die Wagen aus
dem Schloßportal. Im Schauspielhause wurden am Abend die Journalisten
gegeben. —

Sogleich bei der ersten Sitzung des Reichstags am 25. wurden Uebelstände
des Raumes, welchen man eilig hergerichtet hatte, fühlbar. Zwar die Enge der
Sitzplätze ist nicht so unerträglich, als sie wohl geschildert wurde, aber die Akustik
des Herrenhauses läßt viel zu wünschen übrig. Es ist ein im Grundriß fast
quadratischer Raum von beträchtlicher Höbe, die Sitze steigen nach hinten ziemlich
steil; wird von den vorderen Bänken gesprochen, so ist selbst ein starkes Organ in
Gefahr, auf den Hinteren Sitzreihen nicht verstanden zu werden. Das erwies
sich als ein ernster Uebelstand; denn er kreuzte den allgemeinen Wunsch, daß
man diesmal der Rednertribüne und ihrer laugstilisirten Reden entrathen wolle.
Es wird doch eine Art Pult aufgestellt werden.

Die Constituirung einer parlamentarischen Versammlung bietet unvermeid¬
lich öde Stunden. Kräftig unterstützte den Alterspräsidenten von allen Seiten
der gute Wille, rasch zur Sache zu gelangen. Man beschloß, vorläufig die -
Geschäftsordnung des preußischen Abgeordnetenhauses zu adopt>ren, vereinigte
sich über einige kleine Modificationen und verkoofte die anwesenden Mitglieder
(220—25) in sieben Abtheilungen. Seit dem Dienstag sind die Abtheilungen


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[0413] Europas, Baron Rothschild in rothun Frack mit dem schwarzen Bande von Schweden, der preußische Ministerpräsident in Kunassieruniform. Der Frack war in der Minderzahl. Die königliche Familie und ihr Hofstaat erschienen in langem Zuge und hoch oben von der Gallerte klangen die Gesänge des Domchors so rein, voll und schön von der Wölbung herab, daß man die Predigt gern gemißt hätte, um den Tönen aus der Hohe zu lauschen. Aus der Kapelle ging die Gesellschaft nach dem berühmten weißen Saale, der in den letzten 19 Jahren so viele Staatsactionen verschiedenster Art ein¬ gefaßt hat. Zur Linken des Thrones stellten sich die Minister und die Com- missäre der Bundesstaaten auf, je ein Preuße und ein anderer Bundescommissar, neben Graf Bismarck der sächsische Herr von Friese». Im festlichen Zuge: Pagen. Kammerherrn, Oberhoschargen, Aemter, Reichskleinodien voran, traten der König und die Prinzen ein. Der König las die lange Thronrede, welche ihm der Ministerpräsident darbot, deutlich, mit sehr bewegter Stimme. Einzelne Satze, das hoffnungsvolle Verhältniß zu den Südstaaten, der friedliche Charakter des neuen Bundes, wurden mit beifälligem Gemurmel begrüßt, im Ganzen war die Haltung der Hörer eine feierlich gemessene, das Urtheil über die gleichzeitig durch Flugblätter in der Stadt verbreitete Rede bei den Abgeordneten ein überwiegend günstiges. Nach der Thronrede und dem Abschiedsgruß des Königs erklärte der Minister¬ präsident den Reichstag für eröffnet. In langen Reihen fuhren die Wagen aus dem Schloßportal. Im Schauspielhause wurden am Abend die Journalisten gegeben. — Sogleich bei der ersten Sitzung des Reichstags am 25. wurden Uebelstände des Raumes, welchen man eilig hergerichtet hatte, fühlbar. Zwar die Enge der Sitzplätze ist nicht so unerträglich, als sie wohl geschildert wurde, aber die Akustik des Herrenhauses läßt viel zu wünschen übrig. Es ist ein im Grundriß fast quadratischer Raum von beträchtlicher Höbe, die Sitze steigen nach hinten ziemlich steil; wird von den vorderen Bänken gesprochen, so ist selbst ein starkes Organ in Gefahr, auf den Hinteren Sitzreihen nicht verstanden zu werden. Das erwies sich als ein ernster Uebelstand; denn er kreuzte den allgemeinen Wunsch, daß man diesmal der Rednertribüne und ihrer laugstilisirten Reden entrathen wolle. Es wird doch eine Art Pult aufgestellt werden. Die Constituirung einer parlamentarischen Versammlung bietet unvermeid¬ lich öde Stunden. Kräftig unterstützte den Alterspräsidenten von allen Seiten der gute Wille, rasch zur Sache zu gelangen. Man beschloß, vorläufig die - Geschäftsordnung des preußischen Abgeordnetenhauses zu adopt>ren, vereinigte sich über einige kleine Modificationen und verkoofte die anwesenden Mitglieder (220—25) in sieben Abtheilungen. Seit dem Dienstag sind die Abtheilungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/413>, abgerufen am 22.12.2024.