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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Polenthum ruhende Anathem der russischen Negierung in den Augen des Volks
zu einem Anathem gegen die höheren Classen als solche und gegen die
Bildung geworden ist. Die rohen, bäuerlichen Bewohner Lithauens und West,
rußlands sind seit 1863 zwangsweise von den polnisch-katholischen Bildungs¬
quellen, die ihnen früher zu Gebote standen, entfernt und -- seit der Ge¬
brauch mit lateinischen Lettern gedruckter Bvlksschriften bei Strafe untersagt ist,
von jeder Möglichkeit abgeschnitten, eine höhere Bildungsstufe zu erreichen. Die
mit fynllischen Lettern gedruckten russischen Gebetbücher und Kalender, welche
die Regierung als Aequivalent geboten hat, kann das Volk nicht lesen und alle
Versuche zur Begründung national-russische" Volksschulen sind an dem Mangel
halbwegs brauchbarer Lehrer und entsprechender Hilfsmittel vollkommen ge¬
scheitert.

Daß die östreichische Regierung eine Barbarisirung Galiziens zu Gunsten
des russischen Elements und der russischen Nachbarschaft nicht begünstigt hat.
wird ihr schwerlich zum Vorwurf gemacht werden können. Die überwiegende
Mehrzahl der von der russischen Presse gegen die golucbowskische Verwaltung
erhobenen. Beschwerden bat aber grade die. Nichtbegünstigung der nativnalrussi-
schen Bildung zum Gegenstande. Bis jetzt aber geht das Bestreben, eine solche
herzustellen, nicht von der Masse der russischen Bewohner Galiziens, sondern
von einer kleinen Schriftsteslergruppe aus, die für ihre Ideen eine künstliche
Propaganda macht. Eine volksthümliche westrussisch-galizische Literatur giebt es
nicht. -- um dem Einfluß der Pole" entgegenzuarbeiten, sind die russischen
Parteiführer in Galizien bemüht, die großrussische Schriftsprache unter ihren
Landsleuten einzubürgern und in Kiew, Moskau und Petersburg gedruckte
Bücher nach Galizien einzuführen, Während die ethnographischen Zustände
wie die Macht und Bildungsverhältnisse Ostgaliziens im Großen und Ganzen
denen der westlichen Gouvernements Rußlands ähnlich sind, giebt es nur in
Lemberg, Przemysl und anderen galizischen Städten eine russische Bildungs¬
partei, nicht aber in Wilna, Kvwnv oder Mohilew. Die Schule der russischen
Gelehrten und Journalisten Galiziens stammt aus dem Jahre 1848, sie ist das
natürliche Product der damals in Umlauf gekommenen liberalen und nationalen
Ideen und des von der östreichischen Regierung begünstigten Bestrebens, den
polnischen Einflüssen einen Damm vorzuziehen. Die Pole" waren unklug genug,
diese kleine rutheuische Vildungspartei, die Anfangs völlig unverstanden und
isolirt dastand, zu für.bee^n und demgemäß zu befehden. Aus dem Kampfe, den
die Polen gegen das fyrillische Alphabet, die leinbeiger Literainrgcsellschaft und
das russische Katheder an der lcmberger Universität zu eröffnen für nothwendig
Kleider, hat diese Partei ihre Nahrung bezogen, durch das unkluge und des¬
potische Verhalten der Polen ist sie relativ groß geworden.

Hätte in^n die Dinge ihren natürlichen Lauf nehmen lassen und das ruf-


Polenthum ruhende Anathem der russischen Negierung in den Augen des Volks
zu einem Anathem gegen die höheren Classen als solche und gegen die
Bildung geworden ist. Die rohen, bäuerlichen Bewohner Lithauens und West,
rußlands sind seit 1863 zwangsweise von den polnisch-katholischen Bildungs¬
quellen, die ihnen früher zu Gebote standen, entfernt und — seit der Ge¬
brauch mit lateinischen Lettern gedruckter Bvlksschriften bei Strafe untersagt ist,
von jeder Möglichkeit abgeschnitten, eine höhere Bildungsstufe zu erreichen. Die
mit fynllischen Lettern gedruckten russischen Gebetbücher und Kalender, welche
die Regierung als Aequivalent geboten hat, kann das Volk nicht lesen und alle
Versuche zur Begründung national-russische» Volksschulen sind an dem Mangel
halbwegs brauchbarer Lehrer und entsprechender Hilfsmittel vollkommen ge¬
scheitert.

Daß die östreichische Regierung eine Barbarisirung Galiziens zu Gunsten
des russischen Elements und der russischen Nachbarschaft nicht begünstigt hat.
wird ihr schwerlich zum Vorwurf gemacht werden können. Die überwiegende
Mehrzahl der von der russischen Presse gegen die golucbowskische Verwaltung
erhobenen. Beschwerden bat aber grade die. Nichtbegünstigung der nativnalrussi-
schen Bildung zum Gegenstande. Bis jetzt aber geht das Bestreben, eine solche
herzustellen, nicht von der Masse der russischen Bewohner Galiziens, sondern
von einer kleinen Schriftsteslergruppe aus, die für ihre Ideen eine künstliche
Propaganda macht. Eine volksthümliche westrussisch-galizische Literatur giebt es
nicht. — um dem Einfluß der Pole» entgegenzuarbeiten, sind die russischen
Parteiführer in Galizien bemüht, die großrussische Schriftsprache unter ihren
Landsleuten einzubürgern und in Kiew, Moskau und Petersburg gedruckte
Bücher nach Galizien einzuführen, Während die ethnographischen Zustände
wie die Macht und Bildungsverhältnisse Ostgaliziens im Großen und Ganzen
denen der westlichen Gouvernements Rußlands ähnlich sind, giebt es nur in
Lemberg, Przemysl und anderen galizischen Städten eine russische Bildungs¬
partei, nicht aber in Wilna, Kvwnv oder Mohilew. Die Schule der russischen
Gelehrten und Journalisten Galiziens stammt aus dem Jahre 1848, sie ist das
natürliche Product der damals in Umlauf gekommenen liberalen und nationalen
Ideen und des von der östreichischen Regierung begünstigten Bestrebens, den
polnischen Einflüssen einen Damm vorzuziehen. Die Pole» waren unklug genug,
diese kleine rutheuische Vildungspartei, die Anfangs völlig unverstanden und
isolirt dastand, zu für.bee^n und demgemäß zu befehden. Aus dem Kampfe, den
die Polen gegen das fyrillische Alphabet, die leinbeiger Literainrgcsellschaft und
das russische Katheder an der lcmberger Universität zu eröffnen für nothwendig
Kleider, hat diese Partei ihre Nahrung bezogen, durch das unkluge und des¬
potische Verhalten der Polen ist sie relativ groß geworden.

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[0388] Polenthum ruhende Anathem der russischen Negierung in den Augen des Volks zu einem Anathem gegen die höheren Classen als solche und gegen die Bildung geworden ist. Die rohen, bäuerlichen Bewohner Lithauens und West, rußlands sind seit 1863 zwangsweise von den polnisch-katholischen Bildungs¬ quellen, die ihnen früher zu Gebote standen, entfernt und — seit der Ge¬ brauch mit lateinischen Lettern gedruckter Bvlksschriften bei Strafe untersagt ist, von jeder Möglichkeit abgeschnitten, eine höhere Bildungsstufe zu erreichen. Die mit fynllischen Lettern gedruckten russischen Gebetbücher und Kalender, welche die Regierung als Aequivalent geboten hat, kann das Volk nicht lesen und alle Versuche zur Begründung national-russische» Volksschulen sind an dem Mangel halbwegs brauchbarer Lehrer und entsprechender Hilfsmittel vollkommen ge¬ scheitert. Daß die östreichische Regierung eine Barbarisirung Galiziens zu Gunsten des russischen Elements und der russischen Nachbarschaft nicht begünstigt hat. wird ihr schwerlich zum Vorwurf gemacht werden können. Die überwiegende Mehrzahl der von der russischen Presse gegen die golucbowskische Verwaltung erhobenen. Beschwerden bat aber grade die. Nichtbegünstigung der nativnalrussi- schen Bildung zum Gegenstande. Bis jetzt aber geht das Bestreben, eine solche herzustellen, nicht von der Masse der russischen Bewohner Galiziens, sondern von einer kleinen Schriftsteslergruppe aus, die für ihre Ideen eine künstliche Propaganda macht. Eine volksthümliche westrussisch-galizische Literatur giebt es nicht. — um dem Einfluß der Pole» entgegenzuarbeiten, sind die russischen Parteiführer in Galizien bemüht, die großrussische Schriftsprache unter ihren Landsleuten einzubürgern und in Kiew, Moskau und Petersburg gedruckte Bücher nach Galizien einzuführen, Während die ethnographischen Zustände wie die Macht und Bildungsverhältnisse Ostgaliziens im Großen und Ganzen denen der westlichen Gouvernements Rußlands ähnlich sind, giebt es nur in Lemberg, Przemysl und anderen galizischen Städten eine russische Bildungs¬ partei, nicht aber in Wilna, Kvwnv oder Mohilew. Die Schule der russischen Gelehrten und Journalisten Galiziens stammt aus dem Jahre 1848, sie ist das natürliche Product der damals in Umlauf gekommenen liberalen und nationalen Ideen und des von der östreichischen Regierung begünstigten Bestrebens, den polnischen Einflüssen einen Damm vorzuziehen. Die Pole» waren unklug genug, diese kleine rutheuische Vildungspartei, die Anfangs völlig unverstanden und isolirt dastand, zu für.bee^n und demgemäß zu befehden. Aus dem Kampfe, den die Polen gegen das fyrillische Alphabet, die leinbeiger Literainrgcsellschaft und das russische Katheder an der lcmberger Universität zu eröffnen für nothwendig Kleider, hat diese Partei ihre Nahrung bezogen, durch das unkluge und des¬ potische Verhalten der Polen ist sie relativ groß geworden. Hätte in^n die Dinge ihren natürlichen Lauf nehmen lassen und das ruf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/388>, abgerufen am 04.07.2024.