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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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ein Sterbender, noch mit ihm das Todtcnmahl zu feiern, dos nach slawischer
Sitte sonst bei dem Begräbniß stattzufinden pflegte. Da brach der ganze Hof,
die Königin voran, in laute Wehklagen aus und so allgemein wurde der Jam¬
mer, daß selbst die Bildsäulen im KönigSsaalc von Thränen strömten. Nachdem
der sterbende König mit den Oheimen den prächtigen Leichenschmaus gefeiert und
alles von Wein und Wehmuth trunken geworden, brachte er ihnen endlich in gol¬
denem Becher den Abschiedstrunk dar. Während er nnr zum Scheine daran nippte,
leerten die Oheime wirklich das Gift, das die schlimme Königin hineingemischt
und starben, da man sie betrunken wähnte, in der folgenden Nacht. Der Tyrann
rechtfertigte seine Unthat nachträglich durch die verleumderische Anklage einer
Verschwörung und weigerte ihren Leichen ein ehrliches Begräbniß, ja beim fest¬
lichen Gelage höhnte er sie noch durch die Worte: Die todten Mäuse beiße"
nicht. Da brach aus den unbcerdigten Leichen, welche er in den Goplosee hatte
werfen lassen, plötzlich eine Menge von Mäusen hervor, die über Seen und
Sümpfe, über Ströme, ja durch angezündete Holzhaufen den Missethäter so
lange verfolgten, brs er mit seinem Weibe und seinen beiden Söhnen nur noch
in einem festen Thurme Zuflucht zu finden wußte, um endlich dort ihren Bissen
zu erliegen und aufgezehrt zu werden. -- Diesem aufgeschmückten Berichte, der
einen Verwandtenmord als Grund von Popiels Untergange anführt, ging ein
älterer einfacherer voraus, der den König nur beschuldigt, die bei den Slawen
besonders heilige Pflicht der Gastfreundschaft verletzt zu haben. Zwei über¬
irdische Fremdlinge, die bei dem Feste der Haarbeschneidung seiner Söhne zu
ihm eintreten wollten, wies er hart von seiner Schwelle. Da gingen sie zum
Bauer Past, der sie freundlich aufnahm und bewirthete. Zum Danke prophe¬
zeiten sie ihm, daß sein Sohn Szemowith dereinst den Thron besteigen würde,
wie es nach Popiels Fall in der That geschah. Bemerkenswert!) ist, daß einer
der polnischen Geschichtschreiber ein ähnliches Abenteuer wie von Pvpiel, von
einem viel jüngeren fabelhaften Herzoge Miecslaw von Cujavien meldet. Auch
er soll bei einem Gelage von den Mäusen überfallen worden sein, doch wird
als Ursache berichtet, er habe die Wittwen und Waisen seines Landes aus¬
geplündert, ihre Kühe geschlachtet, ihre Habe eingezogen, um damit sich und
seinen Genossen ein glänzendes Mahl zu bereiten, bei welchem ihn dann eben
die Vergeltung ereilt. Wir dürfen aus diesen Abweichungen schließen, daß
zwischen den Sagen von -Hatto und Pvpiel ursprünglich noch größere Ueber¬
einstimmung obwaltete, wie auch die älteste Aufzeichnung der letzteren den König
ausdrücklich in einem hölzernen Thurme auf einer Insel ende" läßt.

Ist es nun bei zwei von einander unabhängigen Mäusethürmen schon nicht
mehr gut. möglich, die Entstehung der Geschichte nur aus jenen räthselhaften
Bauwerken zu erklären, so wird dies Ergebniß dadurch noch verstärkt, daß wir
weitere Gestalter, derselben Sage-kennen lernen, die sich nicht an einen noch


ein Sterbender, noch mit ihm das Todtcnmahl zu feiern, dos nach slawischer
Sitte sonst bei dem Begräbniß stattzufinden pflegte. Da brach der ganze Hof,
die Königin voran, in laute Wehklagen aus und so allgemein wurde der Jam¬
mer, daß selbst die Bildsäulen im KönigSsaalc von Thränen strömten. Nachdem
der sterbende König mit den Oheimen den prächtigen Leichenschmaus gefeiert und
alles von Wein und Wehmuth trunken geworden, brachte er ihnen endlich in gol¬
denem Becher den Abschiedstrunk dar. Während er nnr zum Scheine daran nippte,
leerten die Oheime wirklich das Gift, das die schlimme Königin hineingemischt
und starben, da man sie betrunken wähnte, in der folgenden Nacht. Der Tyrann
rechtfertigte seine Unthat nachträglich durch die verleumderische Anklage einer
Verschwörung und weigerte ihren Leichen ein ehrliches Begräbniß, ja beim fest¬
lichen Gelage höhnte er sie noch durch die Worte: Die todten Mäuse beiße»
nicht. Da brach aus den unbcerdigten Leichen, welche er in den Goplosee hatte
werfen lassen, plötzlich eine Menge von Mäusen hervor, die über Seen und
Sümpfe, über Ströme, ja durch angezündete Holzhaufen den Missethäter so
lange verfolgten, brs er mit seinem Weibe und seinen beiden Söhnen nur noch
in einem festen Thurme Zuflucht zu finden wußte, um endlich dort ihren Bissen
zu erliegen und aufgezehrt zu werden. — Diesem aufgeschmückten Berichte, der
einen Verwandtenmord als Grund von Popiels Untergange anführt, ging ein
älterer einfacherer voraus, der den König nur beschuldigt, die bei den Slawen
besonders heilige Pflicht der Gastfreundschaft verletzt zu haben. Zwei über¬
irdische Fremdlinge, die bei dem Feste der Haarbeschneidung seiner Söhne zu
ihm eintreten wollten, wies er hart von seiner Schwelle. Da gingen sie zum
Bauer Past, der sie freundlich aufnahm und bewirthete. Zum Danke prophe¬
zeiten sie ihm, daß sein Sohn Szemowith dereinst den Thron besteigen würde,
wie es nach Popiels Fall in der That geschah. Bemerkenswert!) ist, daß einer
der polnischen Geschichtschreiber ein ähnliches Abenteuer wie von Pvpiel, von
einem viel jüngeren fabelhaften Herzoge Miecslaw von Cujavien meldet. Auch
er soll bei einem Gelage von den Mäusen überfallen worden sein, doch wird
als Ursache berichtet, er habe die Wittwen und Waisen seines Landes aus¬
geplündert, ihre Kühe geschlachtet, ihre Habe eingezogen, um damit sich und
seinen Genossen ein glänzendes Mahl zu bereiten, bei welchem ihn dann eben
die Vergeltung ereilt. Wir dürfen aus diesen Abweichungen schließen, daß
zwischen den Sagen von -Hatto und Pvpiel ursprünglich noch größere Ueber¬
einstimmung obwaltete, wie auch die älteste Aufzeichnung der letzteren den König
ausdrücklich in einem hölzernen Thurme auf einer Insel ende» läßt.

Ist es nun bei zwei von einander unabhängigen Mäusethürmen schon nicht
mehr gut. möglich, die Entstehung der Geschichte nur aus jenen räthselhaften
Bauwerken zu erklären, so wird dies Ergebniß dadurch noch verstärkt, daß wir
weitere Gestalter, derselben Sage-kennen lernen, die sich nicht an einen noch


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[0356] ein Sterbender, noch mit ihm das Todtcnmahl zu feiern, dos nach slawischer Sitte sonst bei dem Begräbniß stattzufinden pflegte. Da brach der ganze Hof, die Königin voran, in laute Wehklagen aus und so allgemein wurde der Jam¬ mer, daß selbst die Bildsäulen im KönigSsaalc von Thränen strömten. Nachdem der sterbende König mit den Oheimen den prächtigen Leichenschmaus gefeiert und alles von Wein und Wehmuth trunken geworden, brachte er ihnen endlich in gol¬ denem Becher den Abschiedstrunk dar. Während er nnr zum Scheine daran nippte, leerten die Oheime wirklich das Gift, das die schlimme Königin hineingemischt und starben, da man sie betrunken wähnte, in der folgenden Nacht. Der Tyrann rechtfertigte seine Unthat nachträglich durch die verleumderische Anklage einer Verschwörung und weigerte ihren Leichen ein ehrliches Begräbniß, ja beim fest¬ lichen Gelage höhnte er sie noch durch die Worte: Die todten Mäuse beiße» nicht. Da brach aus den unbcerdigten Leichen, welche er in den Goplosee hatte werfen lassen, plötzlich eine Menge von Mäusen hervor, die über Seen und Sümpfe, über Ströme, ja durch angezündete Holzhaufen den Missethäter so lange verfolgten, brs er mit seinem Weibe und seinen beiden Söhnen nur noch in einem festen Thurme Zuflucht zu finden wußte, um endlich dort ihren Bissen zu erliegen und aufgezehrt zu werden. — Diesem aufgeschmückten Berichte, der einen Verwandtenmord als Grund von Popiels Untergange anführt, ging ein älterer einfacherer voraus, der den König nur beschuldigt, die bei den Slawen besonders heilige Pflicht der Gastfreundschaft verletzt zu haben. Zwei über¬ irdische Fremdlinge, die bei dem Feste der Haarbeschneidung seiner Söhne zu ihm eintreten wollten, wies er hart von seiner Schwelle. Da gingen sie zum Bauer Past, der sie freundlich aufnahm und bewirthete. Zum Danke prophe¬ zeiten sie ihm, daß sein Sohn Szemowith dereinst den Thron besteigen würde, wie es nach Popiels Fall in der That geschah. Bemerkenswert!) ist, daß einer der polnischen Geschichtschreiber ein ähnliches Abenteuer wie von Pvpiel, von einem viel jüngeren fabelhaften Herzoge Miecslaw von Cujavien meldet. Auch er soll bei einem Gelage von den Mäusen überfallen worden sein, doch wird als Ursache berichtet, er habe die Wittwen und Waisen seines Landes aus¬ geplündert, ihre Kühe geschlachtet, ihre Habe eingezogen, um damit sich und seinen Genossen ein glänzendes Mahl zu bereiten, bei welchem ihn dann eben die Vergeltung ereilt. Wir dürfen aus diesen Abweichungen schließen, daß zwischen den Sagen von -Hatto und Pvpiel ursprünglich noch größere Ueber¬ einstimmung obwaltete, wie auch die älteste Aufzeichnung der letzteren den König ausdrücklich in einem hölzernen Thurme auf einer Insel ende» läßt. Ist es nun bei zwei von einander unabhängigen Mäusethürmen schon nicht mehr gut. möglich, die Entstehung der Geschichte nur aus jenen räthselhaften Bauwerken zu erklären, so wird dies Ergebniß dadurch noch verstärkt, daß wir weitere Gestalter, derselben Sage-kennen lernen, die sich nicht an einen noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/356>, abgerufen am 22.12.2024.