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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Reichstages zum preußischen Landtage wird jedem der durch das allgemeine Stimm-
recht Erwählten die große Frage werden müssen. Auch die Conservativen ver¬
mögen schwerlich ganz im Sinne des Ministeriums Partei zu nehmen, denn für
sie ist die im Hintergrund liegende Depression des Herrendauses nicht weniger
beängstigend, als für die nationale Partei die Verminderung in den Rechtsbc-
fugnissen des preußischen Landtags.

Wie die liberale Partei ihre Opposition gegen diesen Cardinalpunkt des
Verfassungsentwurfes richten wird, wissen wir zur Zeit gar nicht. Es giebt aber
auch für sie zwei verschiedene Methoden der Amendements, denn sie kann be¬
tonen, daß der Entwurf dem Reichstage zu wenig Befugnisse einräumt/ und
sie darf mit demselben Rechte behaupten, daß er ihm zu viele Rechte zuweist.

Bis jetzt geht der Zug der öffentlichen Meinung dahin, daß man die Kom¬
petenz des Reichstages zu vergrößern suche und darnach ringen möge, ihm
das Budgetrecht für die in seiner Kompetenz liegenden Interessen zu schaffen. Da
aber das Budgetrccht ohne verantwortliches Ministerium ein Unding ist, so
würde in diesem Fall die Opposition auch ein verantwortliches Neichsministerium
fordern müssen, und da ein preußisches verantwortliches Reichsministerium
neben einem verfassungsmäßig verantwortlichen Ministerium des preußischen
Staates wieder ein Unding ist, so würde die Opposition consequent dahin ar¬
beiten müssen, die gesammte Verwaltung und Gesetzgebung des preußischen
Staates in den Reichstag hineinzuziehen. Daß dies vorläufig unmöglich ist, be¬
greift jedermann, es wäre aber, auch wenn möglich, vielleicht weder Conserva¬
tiven noch Liberalen begehrungswerth.

Und diese ungeheuren Aenderungen müßte die nationale Partei in eirmn
Neichsiage betreiben, in welchem sie nicht die Majorität hat, und in welchem
bei jedem Worte, das sie an dem vorgelegten Entwurf ändern will. der
Bundeskanzler ihr entgegenhalten kann, daß die Vorlage nicht mehr den Cha¬
rakter eines einfachen Regierungscntwurfcö habe, sondern daß sie bereits Grund¬
lage zahlreicher Staatsverträge geworden sei, und daß ein vereinigtes Interesse
aller Regierungen und geschlossene Verträge durch jede Aenderung alterirt werden.

Aber die preußisch Gesinnten, welche fest stehen auf der Idee und Kraft
des preußische" Staates, dinser auch behaupte", daß der neue Entwurf dem
Reichstage zu große Competenz einräumt. Sie haben Ursache daran fest¬
zuhalten, daß nur der preußische Landtag, resp, die übrigen Landtage.des nord¬
deutsche" Bundes, welche" Verantwortliche Ministerien zur Seite stehen, das
Budgetrecht besitzen und ausüben dürfen. Der Reichstag ist in Wahrheit nichts
als eine Versammlung von Notabel", welche Gutachten und Ansichten einer
höchsten Instanz, dem Bundespräsidium, d. i. der Krone Preußen, insinuiren.
Wenn der Reichstag dennoch el" Miirecht an der Gesetzgebung in Verkehrs-
intcressen occuput, so geht er schon damit thatsächlich über die Befugnisse hinarrs,


Reichstages zum preußischen Landtage wird jedem der durch das allgemeine Stimm-
recht Erwählten die große Frage werden müssen. Auch die Conservativen ver¬
mögen schwerlich ganz im Sinne des Ministeriums Partei zu nehmen, denn für
sie ist die im Hintergrund liegende Depression des Herrendauses nicht weniger
beängstigend, als für die nationale Partei die Verminderung in den Rechtsbc-
fugnissen des preußischen Landtags.

Wie die liberale Partei ihre Opposition gegen diesen Cardinalpunkt des
Verfassungsentwurfes richten wird, wissen wir zur Zeit gar nicht. Es giebt aber
auch für sie zwei verschiedene Methoden der Amendements, denn sie kann be¬
tonen, daß der Entwurf dem Reichstage zu wenig Befugnisse einräumt/ und
sie darf mit demselben Rechte behaupten, daß er ihm zu viele Rechte zuweist.

Bis jetzt geht der Zug der öffentlichen Meinung dahin, daß man die Kom¬
petenz des Reichstages zu vergrößern suche und darnach ringen möge, ihm
das Budgetrecht für die in seiner Kompetenz liegenden Interessen zu schaffen. Da
aber das Budgetrccht ohne verantwortliches Ministerium ein Unding ist, so
würde in diesem Fall die Opposition auch ein verantwortliches Neichsministerium
fordern müssen, und da ein preußisches verantwortliches Reichsministerium
neben einem verfassungsmäßig verantwortlichen Ministerium des preußischen
Staates wieder ein Unding ist, so würde die Opposition consequent dahin ar¬
beiten müssen, die gesammte Verwaltung und Gesetzgebung des preußischen
Staates in den Reichstag hineinzuziehen. Daß dies vorläufig unmöglich ist, be¬
greift jedermann, es wäre aber, auch wenn möglich, vielleicht weder Conserva¬
tiven noch Liberalen begehrungswerth.

Und diese ungeheuren Aenderungen müßte die nationale Partei in eirmn
Neichsiage betreiben, in welchem sie nicht die Majorität hat, und in welchem
bei jedem Worte, das sie an dem vorgelegten Entwurf ändern will. der
Bundeskanzler ihr entgegenhalten kann, daß die Vorlage nicht mehr den Cha¬
rakter eines einfachen Regierungscntwurfcö habe, sondern daß sie bereits Grund¬
lage zahlreicher Staatsverträge geworden sei, und daß ein vereinigtes Interesse
aller Regierungen und geschlossene Verträge durch jede Aenderung alterirt werden.

Aber die preußisch Gesinnten, welche fest stehen auf der Idee und Kraft
des preußische» Staates, dinser auch behaupte», daß der neue Entwurf dem
Reichstage zu große Competenz einräumt. Sie haben Ursache daran fest¬
zuhalten, daß nur der preußische Landtag, resp, die übrigen Landtage.des nord¬
deutsche» Bundes, welche» Verantwortliche Ministerien zur Seite stehen, das
Budgetrecht besitzen und ausüben dürfen. Der Reichstag ist in Wahrheit nichts
als eine Versammlung von Notabel», welche Gutachten und Ansichten einer
höchsten Instanz, dem Bundespräsidium, d. i. der Krone Preußen, insinuiren.
Wenn der Reichstag dennoch el» Miirecht an der Gesetzgebung in Verkehrs-
intcressen occuput, so geht er schon damit thatsächlich über die Befugnisse hinarrs,


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[0335] Reichstages zum preußischen Landtage wird jedem der durch das allgemeine Stimm- recht Erwählten die große Frage werden müssen. Auch die Conservativen ver¬ mögen schwerlich ganz im Sinne des Ministeriums Partei zu nehmen, denn für sie ist die im Hintergrund liegende Depression des Herrendauses nicht weniger beängstigend, als für die nationale Partei die Verminderung in den Rechtsbc- fugnissen des preußischen Landtags. Wie die liberale Partei ihre Opposition gegen diesen Cardinalpunkt des Verfassungsentwurfes richten wird, wissen wir zur Zeit gar nicht. Es giebt aber auch für sie zwei verschiedene Methoden der Amendements, denn sie kann be¬ tonen, daß der Entwurf dem Reichstage zu wenig Befugnisse einräumt/ und sie darf mit demselben Rechte behaupten, daß er ihm zu viele Rechte zuweist. Bis jetzt geht der Zug der öffentlichen Meinung dahin, daß man die Kom¬ petenz des Reichstages zu vergrößern suche und darnach ringen möge, ihm das Budgetrecht für die in seiner Kompetenz liegenden Interessen zu schaffen. Da aber das Budgetrccht ohne verantwortliches Ministerium ein Unding ist, so würde in diesem Fall die Opposition auch ein verantwortliches Neichsministerium fordern müssen, und da ein preußisches verantwortliches Reichsministerium neben einem verfassungsmäßig verantwortlichen Ministerium des preußischen Staates wieder ein Unding ist, so würde die Opposition consequent dahin ar¬ beiten müssen, die gesammte Verwaltung und Gesetzgebung des preußischen Staates in den Reichstag hineinzuziehen. Daß dies vorläufig unmöglich ist, be¬ greift jedermann, es wäre aber, auch wenn möglich, vielleicht weder Conserva¬ tiven noch Liberalen begehrungswerth. Und diese ungeheuren Aenderungen müßte die nationale Partei in eirmn Neichsiage betreiben, in welchem sie nicht die Majorität hat, und in welchem bei jedem Worte, das sie an dem vorgelegten Entwurf ändern will. der Bundeskanzler ihr entgegenhalten kann, daß die Vorlage nicht mehr den Cha¬ rakter eines einfachen Regierungscntwurfcö habe, sondern daß sie bereits Grund¬ lage zahlreicher Staatsverträge geworden sei, und daß ein vereinigtes Interesse aller Regierungen und geschlossene Verträge durch jede Aenderung alterirt werden. Aber die preußisch Gesinnten, welche fest stehen auf der Idee und Kraft des preußische» Staates, dinser auch behaupte», daß der neue Entwurf dem Reichstage zu große Competenz einräumt. Sie haben Ursache daran fest¬ zuhalten, daß nur der preußische Landtag, resp, die übrigen Landtage.des nord¬ deutsche» Bundes, welche» Verantwortliche Ministerien zur Seite stehen, das Budgetrecht besitzen und ausüben dürfen. Der Reichstag ist in Wahrheit nichts als eine Versammlung von Notabel», welche Gutachten und Ansichten einer höchsten Instanz, dem Bundespräsidium, d. i. der Krone Preußen, insinuiren. Wenn der Reichstag dennoch el» Miirecht an der Gesetzgebung in Verkehrs- intcressen occuput, so geht er schon damit thatsächlich über die Befugnisse hinarrs,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/335>, abgerufen am 24.07.2024.