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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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freut, das sind einzig und allein die trüben, reactionären Elemente, in deren
Mandl es gelegt >se. den Ausschlag zu geben. So lange sich die beiden natio¬
nalen Gruppen in Böhmen so schroff entgegenstehen, wie gegenwärtig, wird
eine reactionäre Regierung stets freies Spiel habe"; den" sie kann sich je nach
Laune und Vortheil des Einen gegen den Andern zu ihren Zwecken bedienen. --

In der Gruppe der Landgemeinden hatten die Czechen schon im vorigen
Landtage die überwiegende Majorität und dieses Verhältniß änderte' sich natür¬
lich jetzt um so weniger. Von den neugewählten Abgeordneten gehöre" etwa
50 der czechischen. 29 der deutschen Nationalität an. In manchen czechischen
Landgemeinden gingen die Wähler radicaler als früher vor und wählten Männer,
deren Namen aus der Bewegung des Jahres 1848 her bekannt sind oder die
in jüngster Zeit demokratische Gesinnung zur Schau trugen. Dahin zählt der
Fürst I)r. Rudolf Thurm-Taxis, eine der interessanteste" Persönlichkeiten der
czechischen Partei. An der Universität als Jurist studirend schloß er sich den
demokratischen Jungczechen a" und fraternisirte mit denselben auch später in
einer Weise, welche unter seinen Standesgenossen viel Kopfschütteln Verursachte.
In öffentlichen Versammlungen mit Feuer für czecbische Interessen einstehend,
widerfuhr ihm vor einiger Zeit das Malheur, durch den Inhalt einer solchen
politischen Rede mit dem Strafgerichte in Collision zu kommen. Man sprach
anch von einem Hochverrathsprocesse, in welchen der Fürst und mehre Jung¬
czechen verwickelt seien. Der Proceß kam nicht zur Verhandlung, allein Fürst
Thurn-Taxis zog sich "auf höhere Weisung" ins Privatleben zurück, um seine
ohnedies sehr zerrüttete" Finanzverhältnisse zu ordnen. Jetzt hält er den Moment
wieder für geeignet, in die Oeffentlichkeit zu treten uut> seine Wahl zum Land¬
tagsabgeordneten giebt hierzu Veranlassung, vorausgcsept, daß die Regierung
seine Wahl eben wegen jener Antecedentien nicht cassirt.

In der Gruppe der Städte. Judustricorte, Handels- und Gewerbckammern
war das deutsche Element bisher weit überwiegend und die czechischen Abgeord¬
neten sehr vereinzelt. Diesmal sollte sich dies Verhältniß Dank der czechischen
Agitation ändern. Mit Hilfe der Beamten und Geistlichen gelang es ihnen
nämlich, in mehren Städten die nationalen Candidaten durchzubringen und
die Handelskammer von Pilsen, welche deutscher Lässigkeit die Majorisiiung durch
die Ezechen verdankt, entsendete gleichfalls zwei antideutsche Vertreter, während
früher alle Handelskammern des Landes Deutsche wählten, da bekanntlich die
Großindustrie Böhmens in deutschen Hände" ist. So wurde auch in dieser
Gruppe nur mit genauer Noth die deutsche Majorität noch gerettet, indem da¬
selbst jetzt 47 Deutsche 40 Czechen gegenüberstehen.

Die Wahlen aus den Großgrundbesitzern boten diesmal das meiste Interesse.
Während nämlich früher diese Gruppe nur mit sehr vereinzelten Ausnahmen auf
deutscher Seite stand, hatte sich in der jüngsten Zeit der Anhang der mit den


freut, das sind einzig und allein die trüben, reactionären Elemente, in deren
Mandl es gelegt >se. den Ausschlag zu geben. So lange sich die beiden natio¬
nalen Gruppen in Böhmen so schroff entgegenstehen, wie gegenwärtig, wird
eine reactionäre Regierung stets freies Spiel habe»; den» sie kann sich je nach
Laune und Vortheil des Einen gegen den Andern zu ihren Zwecken bedienen. —

In der Gruppe der Landgemeinden hatten die Czechen schon im vorigen
Landtage die überwiegende Majorität und dieses Verhältniß änderte' sich natür¬
lich jetzt um so weniger. Von den neugewählten Abgeordneten gehöre» etwa
50 der czechischen. 29 der deutschen Nationalität an. In manchen czechischen
Landgemeinden gingen die Wähler radicaler als früher vor und wählten Männer,
deren Namen aus der Bewegung des Jahres 1848 her bekannt sind oder die
in jüngster Zeit demokratische Gesinnung zur Schau trugen. Dahin zählt der
Fürst I)r. Rudolf Thurm-Taxis, eine der interessanteste» Persönlichkeiten der
czechischen Partei. An der Universität als Jurist studirend schloß er sich den
demokratischen Jungczechen a» und fraternisirte mit denselben auch später in
einer Weise, welche unter seinen Standesgenossen viel Kopfschütteln Verursachte.
In öffentlichen Versammlungen mit Feuer für czecbische Interessen einstehend,
widerfuhr ihm vor einiger Zeit das Malheur, durch den Inhalt einer solchen
politischen Rede mit dem Strafgerichte in Collision zu kommen. Man sprach
anch von einem Hochverrathsprocesse, in welchen der Fürst und mehre Jung¬
czechen verwickelt seien. Der Proceß kam nicht zur Verhandlung, allein Fürst
Thurn-Taxis zog sich „auf höhere Weisung" ins Privatleben zurück, um seine
ohnedies sehr zerrüttete» Finanzverhältnisse zu ordnen. Jetzt hält er den Moment
wieder für geeignet, in die Oeffentlichkeit zu treten uut> seine Wahl zum Land¬
tagsabgeordneten giebt hierzu Veranlassung, vorausgcsept, daß die Regierung
seine Wahl eben wegen jener Antecedentien nicht cassirt.

In der Gruppe der Städte. Judustricorte, Handels- und Gewerbckammern
war das deutsche Element bisher weit überwiegend und die czechischen Abgeord¬
neten sehr vereinzelt. Diesmal sollte sich dies Verhältniß Dank der czechischen
Agitation ändern. Mit Hilfe der Beamten und Geistlichen gelang es ihnen
nämlich, in mehren Städten die nationalen Candidaten durchzubringen und
die Handelskammer von Pilsen, welche deutscher Lässigkeit die Majorisiiung durch
die Ezechen verdankt, entsendete gleichfalls zwei antideutsche Vertreter, während
früher alle Handelskammern des Landes Deutsche wählten, da bekanntlich die
Großindustrie Böhmens in deutschen Hände» ist. So wurde auch in dieser
Gruppe nur mit genauer Noth die deutsche Majorität noch gerettet, indem da¬
selbst jetzt 47 Deutsche 40 Czechen gegenüberstehen.

Die Wahlen aus den Großgrundbesitzern boten diesmal das meiste Interesse.
Während nämlich früher diese Gruppe nur mit sehr vereinzelten Ausnahmen auf
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/328>, abgerufen am 30.06.2024.