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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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netsten Landes von Europa litten, durch Hebung des Ackerbaus und der ge¬
werbetreibenden Classe, durch Hineinziehen geschickter Colonisten, durch Anlegung
von Straßen und Beschaffung von Conimunicationsmittcln und Verkehrswegen
aller Art -- das sind die einzigen Mittel dem Lande aufzuhelfen, seine zer¬
rütteten Finanzen zu ordnen, Wetteifer und rege Betriebsamkeit unter den auf
ihren einsamen Ortschaften isolirte" Gemeinden, aber auch unter den verschie¬
denen neben einander wohnenden Stämmen und Nationalitäten zu erzeugen und
so die Gegensätze und Differenzen in gemeinsamer Cultur am ehesten abzu¬
schleifen, welche sie zum gemeinsamen Schaden jetzt noch scheiden. Aber Von
dem allen ist seit den Tagen Mabmnds des Zweiten wenig geschehen und es
ist wiederum einzig und allein die Regierung, welche die Schuld trifft.

Wiederum seitdem hat ein neuer Regent den Thron bestiegen. Abdul Aziz,
dem Lande fast unbekannt und selbst unbekannt mit dem Lande, trat aus der
drückenden Haft, in welcher die Thronfolger in der Regel gehalten werden, an
seines Bruders Stelle; denn das Hausgesetz der osmanischen Dynastie bestimmt
das jedesmal älteste Glied der kaiserlichen Familie zum Regenten; so mühte
der Erstgeborne Abdul Mcdschids, "ach unserm Sinn der eigentliche Thron¬
folger, seinem Oheim weichen und vertrauert i" ehrenvoller Gefangenschaft sein
Leben, bis dessen Tod ihn wieder aus dem Dunkel aus de" Thron erhebt.
Selbst den Ministern und dem Gioßvczier war Abdul Aziz bis zu seiner Thron¬
besteigung eine fast unbekannte Persönlichkeit. Die alttürkische Partei erhoffte
in ihm die Stütze des untergehenden Osmauenthums; den andern galt er als
leidenschaftlich, roh und ohne alle Bildung, der sei" Hauptvergnügen als
Thronfolger darin gefunden habe, mit höchsteigner Hand Hammel zu schlachten.
We>s er bis seht gethan, ist wenig Vertrauen erweckend; es läßt ihn als einen
launenhaften, den Reformen wenigstens nicht geneigten, vor allem nicht hin¬
reichend befähigte" Menschen nkennen, der selbst nicht zu wissen scheint was er
will, und vielleicht ist die Vermuthung richtig, daß sei" Geist alterirt ist.

Der Cardinalpuntt, von welchem man die Verkommenheit der türkischen
Zustände herzuleiten hat, liegt immer doch in dem Volke selbst, aber nicht in
einer Fäulniß, sondern in dem Banne, in welchen es geschlagen ist durch den
Koran, der sie absondert von dem Kreise der übrigen civilisirten Völker, den
sie ^icht abschütteln können, alö mit dem Aufgeben ihres Glaubens, aus dem
loszukommen alle gesunde, "ach politischer Entwickelung drängende Kraft sie
treibt, und den doch auch festzuhalten eben die Tüchtigkeit ihres Wesens sie
wiederum zwingt. Diese Agonie reibt sie auf. erzeugt den Schein des Todes.
d>ni "ach außen hin ihr Reich überall darbietet, macht die Wiedergeburt so
schwer, die dennoch möglich ist.

Der Koran bildet den Türken "lebt nur die Urkunde ihrer religiösen Wahr¬
sten, die Richtschnur ihres sittlichen Handelns, nicht allein ihre Bibel, -- sui


netsten Landes von Europa litten, durch Hebung des Ackerbaus und der ge¬
werbetreibenden Classe, durch Hineinziehen geschickter Colonisten, durch Anlegung
von Straßen und Beschaffung von Conimunicationsmittcln und Verkehrswegen
aller Art — das sind die einzigen Mittel dem Lande aufzuhelfen, seine zer¬
rütteten Finanzen zu ordnen, Wetteifer und rege Betriebsamkeit unter den auf
ihren einsamen Ortschaften isolirte» Gemeinden, aber auch unter den verschie¬
denen neben einander wohnenden Stämmen und Nationalitäten zu erzeugen und
so die Gegensätze und Differenzen in gemeinsamer Cultur am ehesten abzu¬
schleifen, welche sie zum gemeinsamen Schaden jetzt noch scheiden. Aber Von
dem allen ist seit den Tagen Mabmnds des Zweiten wenig geschehen und es
ist wiederum einzig und allein die Regierung, welche die Schuld trifft.

Wiederum seitdem hat ein neuer Regent den Thron bestiegen. Abdul Aziz,
dem Lande fast unbekannt und selbst unbekannt mit dem Lande, trat aus der
drückenden Haft, in welcher die Thronfolger in der Regel gehalten werden, an
seines Bruders Stelle; denn das Hausgesetz der osmanischen Dynastie bestimmt
das jedesmal älteste Glied der kaiserlichen Familie zum Regenten; so mühte
der Erstgeborne Abdul Mcdschids, »ach unserm Sinn der eigentliche Thron¬
folger, seinem Oheim weichen und vertrauert i» ehrenvoller Gefangenschaft sein
Leben, bis dessen Tod ihn wieder aus dem Dunkel aus de» Thron erhebt.
Selbst den Ministern und dem Gioßvczier war Abdul Aziz bis zu seiner Thron¬
besteigung eine fast unbekannte Persönlichkeit. Die alttürkische Partei erhoffte
in ihm die Stütze des untergehenden Osmauenthums; den andern galt er als
leidenschaftlich, roh und ohne alle Bildung, der sei» Hauptvergnügen als
Thronfolger darin gefunden habe, mit höchsteigner Hand Hammel zu schlachten.
We>s er bis seht gethan, ist wenig Vertrauen erweckend; es läßt ihn als einen
launenhaften, den Reformen wenigstens nicht geneigten, vor allem nicht hin¬
reichend befähigte» Menschen nkennen, der selbst nicht zu wissen scheint was er
will, und vielleicht ist die Vermuthung richtig, daß sei» Geist alterirt ist.

Der Cardinalpuntt, von welchem man die Verkommenheit der türkischen
Zustände herzuleiten hat, liegt immer doch in dem Volke selbst, aber nicht in
einer Fäulniß, sondern in dem Banne, in welchen es geschlagen ist durch den
Koran, der sie absondert von dem Kreise der übrigen civilisirten Völker, den
sie ^icht abschütteln können, alö mit dem Aufgeben ihres Glaubens, aus dem
loszukommen alle gesunde, »ach politischer Entwickelung drängende Kraft sie
treibt, und den doch auch festzuhalten eben die Tüchtigkeit ihres Wesens sie
wiederum zwingt. Diese Agonie reibt sie auf. erzeugt den Schein des Todes.
d>ni „ach außen hin ihr Reich überall darbietet, macht die Wiedergeburt so
schwer, die dennoch möglich ist.

Der Koran bildet den Türken »lebt nur die Urkunde ihrer religiösen Wahr¬
sten, die Richtschnur ihres sittlichen Handelns, nicht allein ihre Bibel, — sui


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[0311] netsten Landes von Europa litten, durch Hebung des Ackerbaus und der ge¬ werbetreibenden Classe, durch Hineinziehen geschickter Colonisten, durch Anlegung von Straßen und Beschaffung von Conimunicationsmittcln und Verkehrswegen aller Art — das sind die einzigen Mittel dem Lande aufzuhelfen, seine zer¬ rütteten Finanzen zu ordnen, Wetteifer und rege Betriebsamkeit unter den auf ihren einsamen Ortschaften isolirte» Gemeinden, aber auch unter den verschie¬ denen neben einander wohnenden Stämmen und Nationalitäten zu erzeugen und so die Gegensätze und Differenzen in gemeinsamer Cultur am ehesten abzu¬ schleifen, welche sie zum gemeinsamen Schaden jetzt noch scheiden. Aber Von dem allen ist seit den Tagen Mabmnds des Zweiten wenig geschehen und es ist wiederum einzig und allein die Regierung, welche die Schuld trifft. Wiederum seitdem hat ein neuer Regent den Thron bestiegen. Abdul Aziz, dem Lande fast unbekannt und selbst unbekannt mit dem Lande, trat aus der drückenden Haft, in welcher die Thronfolger in der Regel gehalten werden, an seines Bruders Stelle; denn das Hausgesetz der osmanischen Dynastie bestimmt das jedesmal älteste Glied der kaiserlichen Familie zum Regenten; so mühte der Erstgeborne Abdul Mcdschids, »ach unserm Sinn der eigentliche Thron¬ folger, seinem Oheim weichen und vertrauert i» ehrenvoller Gefangenschaft sein Leben, bis dessen Tod ihn wieder aus dem Dunkel aus de» Thron erhebt. Selbst den Ministern und dem Gioßvczier war Abdul Aziz bis zu seiner Thron¬ besteigung eine fast unbekannte Persönlichkeit. Die alttürkische Partei erhoffte in ihm die Stütze des untergehenden Osmauenthums; den andern galt er als leidenschaftlich, roh und ohne alle Bildung, der sei» Hauptvergnügen als Thronfolger darin gefunden habe, mit höchsteigner Hand Hammel zu schlachten. We>s er bis seht gethan, ist wenig Vertrauen erweckend; es läßt ihn als einen launenhaften, den Reformen wenigstens nicht geneigten, vor allem nicht hin¬ reichend befähigte» Menschen nkennen, der selbst nicht zu wissen scheint was er will, und vielleicht ist die Vermuthung richtig, daß sei» Geist alterirt ist. Der Cardinalpuntt, von welchem man die Verkommenheit der türkischen Zustände herzuleiten hat, liegt immer doch in dem Volke selbst, aber nicht in einer Fäulniß, sondern in dem Banne, in welchen es geschlagen ist durch den Koran, der sie absondert von dem Kreise der übrigen civilisirten Völker, den sie ^icht abschütteln können, alö mit dem Aufgeben ihres Glaubens, aus dem loszukommen alle gesunde, »ach politischer Entwickelung drängende Kraft sie treibt, und den doch auch festzuhalten eben die Tüchtigkeit ihres Wesens sie wiederum zwingt. Diese Agonie reibt sie auf. erzeugt den Schein des Todes. d>ni „ach außen hin ihr Reich überall darbietet, macht die Wiedergeburt so schwer, die dennoch möglich ist. Der Koran bildet den Türken »lebt nur die Urkunde ihrer religiösen Wahr¬ sten, die Richtschnur ihres sittlichen Handelns, nicht allein ihre Bibel, — sui

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/311>, abgerufen am 26.07.2024.