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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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des Reiches noch im gegenwärtigen Augenblick, Fuad Pascha. Aber sie waren
mit Ausnahme Fuads nicht selbst reine und uneigennützige Charaktere genug,
um einem Grundübel der Türkei abzuhelfen, welches in dem corrumpirtcn,
feilen, bestechlichen, intriguanten höheren Veamtenthnin liegt. Sie selbst waren,
wie zuvor erwähnt wurde, zum Theil ans dem Sklavenstande emporgestiegen
und zu sehr noch verwachsen mit den Traditionen des alten Regiments, die
auch unter Mahmud noch nicht völlig hatten abgestreift werden können, und nach
denen jeder höhere Posten vor allem als eine Quelle der Bereicherung, als
Gelegenheit zu Untcrschleifen und Erpressungen betrachtet wird. Daher denn
ein Jagen und Drängen um dieselben, aus den krummen Wegen der Intrigue,
oft auch der Schande, ein gegenseitiges Verdrängen und Stürzen, ein Buhlen
um Gunst und Ansehen bei dem Sultan und alle" Mächtigeren. Haut Pascha,
der ehemalige georgische Sklave, hinterließ 1ö0 Centner an Silberzeug und war
arm im Vergleich zu seinem Gegner Chosrew Pascha, dem er alles verdankte
und den er später doch stürzte. Neschio Pascha kaufte ans diesem Nachlasse
allein für 300,000 Purster, d. h. für circa 12,000 Thaler. Derselbe hatte während
seiner Ministcrpraxis das Thal von Tempe, nicht blos eine der schönsten, son¬
dern auch eine der fruchtbarsten Landschaften der europäischen Türkei, zu erwerben
gewußt. Unmittelbar nach Erlaß eines Hals von Seiten des Großherrn 1854,
in welchem unnachsichtliche Strenge gegen alle Erpressungen und Veruntreuungen
von Seiten der Minister und Beamten in Aussicht gestellt wurde, "ahmen
Raschid Pascha, der damalige Großvezicr, Mehemed Pascha und der Scheik ni
Islam vom Vicekönig von Aegypten Sayd Pascha bei Gelegenheit seines Re¬
gierungsantritts ein Geschenk, jeder von mehr als 80,000 Thaler und machte
Reschid Pascha noch obendrein ein unverzinstes, unvcrschriebencs Anlehen von
670,000 Thaler. Es war das Trinkgeld für die Großwürdenträger des Reiches,
damit sie sich dem neuen Regenten gefügig erweisen sollte". Die seidene Schnur
ist außer Gebrauch gekommen, Verbote bleiben auf dem Papier; das unglück¬
liche Land und Volk aber blutet.

Dazu kamen auch bei gutem Willen Mißgriffe in dem Ncformenwerk selbst.
Man beschenkte das Reich mit einer Art Constitution, im berühmten Hat von
Gülhane, vom 2. November 1839, die doch ein wesenloser Schatten blieb, weil
die Kraft und die Organe, ein gutgeschulter Beamtenstand noch fehlten, um sie
durchzuführen; Zusätze und Ergänzungen wurden nöthig und von Zeit zu Zeit
erlassen und blieben zunächst doch ebenso nutzlos, weil sie dem Volke Güter
gaben, welche erst erworben sein wollen, und deren Bedeutung und Gewinn
es zur Zeit noch nicht einmal versteht, weil sie Formen und Zustände mit
einem Schlage verändern, die naturgemäß sich erst in langsamem Proceß all-
mälig umbilden können. Nutzbarmachung und Erschließung der überreichen
Kräfte, welche als todtes Capital jetzt in dem unbestellten Boden des gcseg-


des Reiches noch im gegenwärtigen Augenblick, Fuad Pascha. Aber sie waren
mit Ausnahme Fuads nicht selbst reine und uneigennützige Charaktere genug,
um einem Grundübel der Türkei abzuhelfen, welches in dem corrumpirtcn,
feilen, bestechlichen, intriguanten höheren Veamtenthnin liegt. Sie selbst waren,
wie zuvor erwähnt wurde, zum Theil ans dem Sklavenstande emporgestiegen
und zu sehr noch verwachsen mit den Traditionen des alten Regiments, die
auch unter Mahmud noch nicht völlig hatten abgestreift werden können, und nach
denen jeder höhere Posten vor allem als eine Quelle der Bereicherung, als
Gelegenheit zu Untcrschleifen und Erpressungen betrachtet wird. Daher denn
ein Jagen und Drängen um dieselben, aus den krummen Wegen der Intrigue,
oft auch der Schande, ein gegenseitiges Verdrängen und Stürzen, ein Buhlen
um Gunst und Ansehen bei dem Sultan und alle» Mächtigeren. Haut Pascha,
der ehemalige georgische Sklave, hinterließ 1ö0 Centner an Silberzeug und war
arm im Vergleich zu seinem Gegner Chosrew Pascha, dem er alles verdankte
und den er später doch stürzte. Neschio Pascha kaufte ans diesem Nachlasse
allein für 300,000 Purster, d. h. für circa 12,000 Thaler. Derselbe hatte während
seiner Ministcrpraxis das Thal von Tempe, nicht blos eine der schönsten, son¬
dern auch eine der fruchtbarsten Landschaften der europäischen Türkei, zu erwerben
gewußt. Unmittelbar nach Erlaß eines Hals von Seiten des Großherrn 1854,
in welchem unnachsichtliche Strenge gegen alle Erpressungen und Veruntreuungen
von Seiten der Minister und Beamten in Aussicht gestellt wurde, »ahmen
Raschid Pascha, der damalige Großvezicr, Mehemed Pascha und der Scheik ni
Islam vom Vicekönig von Aegypten Sayd Pascha bei Gelegenheit seines Re¬
gierungsantritts ein Geschenk, jeder von mehr als 80,000 Thaler und machte
Reschid Pascha noch obendrein ein unverzinstes, unvcrschriebencs Anlehen von
670,000 Thaler. Es war das Trinkgeld für die Großwürdenträger des Reiches,
damit sie sich dem neuen Regenten gefügig erweisen sollte». Die seidene Schnur
ist außer Gebrauch gekommen, Verbote bleiben auf dem Papier; das unglück¬
liche Land und Volk aber blutet.

Dazu kamen auch bei gutem Willen Mißgriffe in dem Ncformenwerk selbst.
Man beschenkte das Reich mit einer Art Constitution, im berühmten Hat von
Gülhane, vom 2. November 1839, die doch ein wesenloser Schatten blieb, weil
die Kraft und die Organe, ein gutgeschulter Beamtenstand noch fehlten, um sie
durchzuführen; Zusätze und Ergänzungen wurden nöthig und von Zeit zu Zeit
erlassen und blieben zunächst doch ebenso nutzlos, weil sie dem Volke Güter
gaben, welche erst erworben sein wollen, und deren Bedeutung und Gewinn
es zur Zeit noch nicht einmal versteht, weil sie Formen und Zustände mit
einem Schlage verändern, die naturgemäß sich erst in langsamem Proceß all-
mälig umbilden können. Nutzbarmachung und Erschließung der überreichen
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[0310] des Reiches noch im gegenwärtigen Augenblick, Fuad Pascha. Aber sie waren mit Ausnahme Fuads nicht selbst reine und uneigennützige Charaktere genug, um einem Grundübel der Türkei abzuhelfen, welches in dem corrumpirtcn, feilen, bestechlichen, intriguanten höheren Veamtenthnin liegt. Sie selbst waren, wie zuvor erwähnt wurde, zum Theil ans dem Sklavenstande emporgestiegen und zu sehr noch verwachsen mit den Traditionen des alten Regiments, die auch unter Mahmud noch nicht völlig hatten abgestreift werden können, und nach denen jeder höhere Posten vor allem als eine Quelle der Bereicherung, als Gelegenheit zu Untcrschleifen und Erpressungen betrachtet wird. Daher denn ein Jagen und Drängen um dieselben, aus den krummen Wegen der Intrigue, oft auch der Schande, ein gegenseitiges Verdrängen und Stürzen, ein Buhlen um Gunst und Ansehen bei dem Sultan und alle» Mächtigeren. Haut Pascha, der ehemalige georgische Sklave, hinterließ 1ö0 Centner an Silberzeug und war arm im Vergleich zu seinem Gegner Chosrew Pascha, dem er alles verdankte und den er später doch stürzte. Neschio Pascha kaufte ans diesem Nachlasse allein für 300,000 Purster, d. h. für circa 12,000 Thaler. Derselbe hatte während seiner Ministcrpraxis das Thal von Tempe, nicht blos eine der schönsten, son¬ dern auch eine der fruchtbarsten Landschaften der europäischen Türkei, zu erwerben gewußt. Unmittelbar nach Erlaß eines Hals von Seiten des Großherrn 1854, in welchem unnachsichtliche Strenge gegen alle Erpressungen und Veruntreuungen von Seiten der Minister und Beamten in Aussicht gestellt wurde, »ahmen Raschid Pascha, der damalige Großvezicr, Mehemed Pascha und der Scheik ni Islam vom Vicekönig von Aegypten Sayd Pascha bei Gelegenheit seines Re¬ gierungsantritts ein Geschenk, jeder von mehr als 80,000 Thaler und machte Reschid Pascha noch obendrein ein unverzinstes, unvcrschriebencs Anlehen von 670,000 Thaler. Es war das Trinkgeld für die Großwürdenträger des Reiches, damit sie sich dem neuen Regenten gefügig erweisen sollte». Die seidene Schnur ist außer Gebrauch gekommen, Verbote bleiben auf dem Papier; das unglück¬ liche Land und Volk aber blutet. Dazu kamen auch bei gutem Willen Mißgriffe in dem Ncformenwerk selbst. Man beschenkte das Reich mit einer Art Constitution, im berühmten Hat von Gülhane, vom 2. November 1839, die doch ein wesenloser Schatten blieb, weil die Kraft und die Organe, ein gutgeschulter Beamtenstand noch fehlten, um sie durchzuführen; Zusätze und Ergänzungen wurden nöthig und von Zeit zu Zeit erlassen und blieben zunächst doch ebenso nutzlos, weil sie dem Volke Güter gaben, welche erst erworben sein wollen, und deren Bedeutung und Gewinn es zur Zeit noch nicht einmal versteht, weil sie Formen und Zustände mit einem Schlage verändern, die naturgemäß sich erst in langsamem Proceß all- mälig umbilden können. Nutzbarmachung und Erschließung der überreichen Kräfte, welche als todtes Capital jetzt in dem unbestellten Boden des gcseg-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/310>, abgerufen am 22.12.2024.