Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.einer Zersplitterung zahlloser kleiner Paschaliks auf, fehlt es wie einst im Alter¬ Darauf führt nach unseren Beobachtungen die Diagnose des kranken Die Türkei wird in dreifacher Weise regiert. Es regiert der Sultan je Die ersten Versuche, durch Beschränkung des Janitscharenterrvrismus die Grenzboten I. 1LV7. 38
einer Zersplitterung zahlloser kleiner Paschaliks auf, fehlt es wie einst im Alter¬ Darauf führt nach unseren Beobachtungen die Diagnose des kranken Die Türkei wird in dreifacher Weise regiert. Es regiert der Sultan je Die ersten Versuche, durch Beschränkung des Janitscharenterrvrismus die Grenzboten I. 1LV7. 38
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190466"/> <p xml:id="ID_1052" prev="#ID_1051"> einer Zersplitterung zahlloser kleiner Paschaliks auf, fehlt es wie einst im Alter¬<lb/> thum an Luft und Raum für die Entfaltung eines wetteifernd vorwärts streben¬<lb/> den, durch Energie der Arbeit das Volk selbst emporhebenden Handwerker- und<lb/> Gewerbestandes.</p><lb/> <p xml:id="ID_1053"> Darauf führt nach unseren Beobachtungen die Diagnose des kranken<lb/> Mannes zunächst: der Kern des Volkes ist am wenigsten inficirt; die Re¬<lb/> gierung und der Islam theilen sich in die Schuld.</p><lb/> <p xml:id="ID_1054"> Die Türkei wird in dreifacher Weise regiert. Es regiert der Sultan je<lb/> nach seiner Persönlichkeit in ziemlich willkürlicher Weise; aber da er an Bildung<lb/> seinen im Auslande gebildeten Räthen nachsteht, wird er von diesen übersehen<lb/> und selbst regiert; es herrscht also eigentlich der Grvßvezier und die Mini¬<lb/> ster; in Wahrheit aber auch diese nicht, sondern die Diplomatie der Großmächte,<lb/> d. h. da jeder einzelne Vertreter wieder allein zu regieren strebt, bald Oestreich,<lb/> bald Rußland, meistens Frankreich oder England, zuweilen hinter den Coulisse»<lb/> ein wenig auch Preußen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1055" next="#ID_1056"> Die ersten Versuche, durch Beschränkung des Janitscharenterrvrismus die<lb/> Reformen einzuleiten, kosteten Saum dem Dritten den Thlon. Aber er benutzte<lb/> die letzten Lebenslage vor seinem gewaltsamen Ende im Gefängniß, den jungen<lb/> Mahmud in seine Reformideen einzuweihen und für das Werk derselben zu be¬<lb/> geistern. Nun führte ihn derselbe Aufstand, vor dem er sich zitternd und den<lb/> sichern Tod erwartend in ein Versteck geflüchtet hatte, dnrch einen wunderbaren<lb/> Wechsel aus dem Kerker auf den Thron. So in der Schule des Unglücks und<lb/> durch die Schecken des Todes gestählt, ergreift der brciundzmanzigjährige Jüng¬<lb/> ling in der verhängnißvollsten Zeit die Zügel der Regierung. Es war eine der<lb/> längsten (von 1808—1830) und creignißvollstcn der ganzen türkischen Geschichte,<lb/> und seine Persönlichkeit eine der bedeutendsten seines Jahrhunderts, eine<lb/> Herrschnfigur von dem Trotz und zum Theil der Wildheit jener Padischahs aus<lb/> den Tagen osmanischen Glanzes und vsmanischcr Größe, hineingestellt in die<lb/> Neuzeit, deren Segnungen er eingedenk seines Lehrers Selim mit fester Hand<lb/> seinem Volke heraufzuführen entschlossen n-ar. Nicht ein fast zwanzigjähriger<lb/> Krieg mit Rußland, nicht der Abfall Serbiens, nicht die Empörung widerspen¬<lb/> stiger Vasallen, wie An Paschas von In-mira und Mehemed Alis von Aegypten,<lb/> nicht die Losreißung Griechenlands kann ihn von der Hauptaufgabe seines<lb/> Lebens abbringen, sein Reich zu curopäistren und dadurch zu regeneriren. Er<lb/> that es in alttürkischer Weise, mit rücksichtsloser Härte, durch Strang, Gift oder<lb/> Kanonen. Seine Regierung.war freilich ein fortwährender Kampf auch mit<lb/> inneren Aufständen und Verschwörungen; aber er behauptete sich, denn er war.<lb/> gefürchtet. Nur durch scharfe Schnitte konnte dem Lande geholfen werden, und<lb/> nun der Damm gebrochen ist, ist alle weitere Arbeit erst möglich und leicht im<lb/> Vergleich zur früheren. Er rottete die Janitscharen aus, „diese feurigen Rosse",</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1LV7. 38</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0307]
einer Zersplitterung zahlloser kleiner Paschaliks auf, fehlt es wie einst im Alter¬
thum an Luft und Raum für die Entfaltung eines wetteifernd vorwärts streben¬
den, durch Energie der Arbeit das Volk selbst emporhebenden Handwerker- und
Gewerbestandes.
Darauf führt nach unseren Beobachtungen die Diagnose des kranken
Mannes zunächst: der Kern des Volkes ist am wenigsten inficirt; die Re¬
gierung und der Islam theilen sich in die Schuld.
Die Türkei wird in dreifacher Weise regiert. Es regiert der Sultan je
nach seiner Persönlichkeit in ziemlich willkürlicher Weise; aber da er an Bildung
seinen im Auslande gebildeten Räthen nachsteht, wird er von diesen übersehen
und selbst regiert; es herrscht also eigentlich der Grvßvezier und die Mini¬
ster; in Wahrheit aber auch diese nicht, sondern die Diplomatie der Großmächte,
d. h. da jeder einzelne Vertreter wieder allein zu regieren strebt, bald Oestreich,
bald Rußland, meistens Frankreich oder England, zuweilen hinter den Coulisse»
ein wenig auch Preußen.
Die ersten Versuche, durch Beschränkung des Janitscharenterrvrismus die
Reformen einzuleiten, kosteten Saum dem Dritten den Thlon. Aber er benutzte
die letzten Lebenslage vor seinem gewaltsamen Ende im Gefängniß, den jungen
Mahmud in seine Reformideen einzuweihen und für das Werk derselben zu be¬
geistern. Nun führte ihn derselbe Aufstand, vor dem er sich zitternd und den
sichern Tod erwartend in ein Versteck geflüchtet hatte, dnrch einen wunderbaren
Wechsel aus dem Kerker auf den Thron. So in der Schule des Unglücks und
durch die Schecken des Todes gestählt, ergreift der brciundzmanzigjährige Jüng¬
ling in der verhängnißvollsten Zeit die Zügel der Regierung. Es war eine der
längsten (von 1808—1830) und creignißvollstcn der ganzen türkischen Geschichte,
und seine Persönlichkeit eine der bedeutendsten seines Jahrhunderts, eine
Herrschnfigur von dem Trotz und zum Theil der Wildheit jener Padischahs aus
den Tagen osmanischen Glanzes und vsmanischcr Größe, hineingestellt in die
Neuzeit, deren Segnungen er eingedenk seines Lehrers Selim mit fester Hand
seinem Volke heraufzuführen entschlossen n-ar. Nicht ein fast zwanzigjähriger
Krieg mit Rußland, nicht der Abfall Serbiens, nicht die Empörung widerspen¬
stiger Vasallen, wie An Paschas von In-mira und Mehemed Alis von Aegypten,
nicht die Losreißung Griechenlands kann ihn von der Hauptaufgabe seines
Lebens abbringen, sein Reich zu curopäistren und dadurch zu regeneriren. Er
that es in alttürkischer Weise, mit rücksichtsloser Härte, durch Strang, Gift oder
Kanonen. Seine Regierung.war freilich ein fortwährender Kampf auch mit
inneren Aufständen und Verschwörungen; aber er behauptete sich, denn er war.
gefürchtet. Nur durch scharfe Schnitte konnte dem Lande geholfen werden, und
nun der Damm gebrochen ist, ist alle weitere Arbeit erst möglich und leicht im
Vergleich zur früheren. Er rottete die Janitscharen aus, „diese feurigen Rosse",
Grenzboten I. 1LV7. 38
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |