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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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geschlossenen Reihen, während die Gegner getheilt waren, eine ernsthafte Reform-
bill Disraelis aber würde ans ihre Partei wahrscheinlich dieselbe Wirkung äußern.
wie Sir Robert Pacif Secession von 1846. Indeß ist es unmöglich, einfach mit
leeren Händen vor das Parlament zu treten, die Regierung kann weder erklären,
daß eine Reform unmöglich sei, weil das Haus untadelhaft zusammengesetzt sei,
noch vorschützen, daß die Frage nicht reif sei und erst gründlicher studirt werden
müsse, noch eingestehen, daß sie unter sich nicht einig und deshalb bereit seien,
die F>age der unparteiischen Erwägung einer königlichen Commission zu unter¬
breiten, die Antwort würde in allen drei Fällen ein Amendement zur Adresse
sein, welches das Ministerium sofort stürzen müßte. Es wäre aber möglich,
daß das Cabinet offen die Nothwendigkeit der Reform anerkennte und seine
Bereitwilligkeit kundgäbe sie aufzunehmen, sich aber den Zeitpunkt dafür vor¬
behielte, weil augenblicklich dringlichere Fragen eine Lösung erforderten, so z. B.
die Reorganisation der Armee und Flotte, die Regelung der Verhältnisse zwischen
Arbeitern und Arbeitgebern, sowie in Irland zwischen Pächtern und Grundherrn,
die municipale Reform in London, die Ausgleichung der Armensteuer u. s. w.;
diese Dinge müßten erst ans dem Weg geschafft werden, ehe man an die Paria-
mentsreform gehen könne, wolle die Opposition sich dem widersetzen, so werde
die Regierung wenigstens an das Land appelliren, d. h. zur Auflösung schreiten.
Dieser letzte Drücker würde wohl seine Wirkung nicht verfehlen, da wenige Mit"
guater sich danach sehnen werden, sobald schon wieder die Kosten einer Neuwahl
zu bezahlen. Das Experiment könnte freilich, falls es wirklich gemacht wird,
für seine Urheber ziemlich bedenklich ausfallen, denn die Wahlen würden sicher
die Reihen der Tories erheblich lichten.

Ein andrer Weg steht der Regierung offen, indem sie vorschlagen könnte
to xroeevä b/ vt' iWvlution, wonach man von allgemeinen Axiomen
ausgehend der praktischen Frage allmälig näher tritt und so eine sichere Unter¬
lage für die Bill gewinnen würde. Man würde also z. B. davon ausgehen,
daß die gegenwärtige Vertretung nicht genügend ist, dann sagen, daß die arbei¬
tenden Classen in irgendeiner Weise directer bei den Wahlen betheiligt werden
sollte", dann diese Art näher bestimmen u. s. w. Es ist kein Zweifel, daß
wenn das Haus überhaupt diesen Weg einschlagen will, die Regierung um so
leichter ihre Resolutionen durchbringen würde, als Disraeli ein ausgezeichneter
Parlamentarischer Taktiker ist, der das Temperament der Versammlung genau
zu beobachten versteht und schon seinen Weg fühlen würde. Die Hoffnung der
Conservativen liegt in der Getheiliheit ihrer Gegner, sie rechnen darauf, daß
eventuell Gladstone sogar kein Ministerium bilde" könnte. Jedenfalls wird die
Frage, ob Lord Derby sich halten kann oder nicht, gleich zu Anfang der Session
entschieden werden, denn bei der großen Majorität steht es fest, daß ein bloßes
Hinausschiebe" der Reform unthunlich uno gefährlich wäre, die Agitation würde


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geschlossenen Reihen, während die Gegner getheilt waren, eine ernsthafte Reform-
bill Disraelis aber würde ans ihre Partei wahrscheinlich dieselbe Wirkung äußern.
wie Sir Robert Pacif Secession von 1846. Indeß ist es unmöglich, einfach mit
leeren Händen vor das Parlament zu treten, die Regierung kann weder erklären,
daß eine Reform unmöglich sei, weil das Haus untadelhaft zusammengesetzt sei,
noch vorschützen, daß die Frage nicht reif sei und erst gründlicher studirt werden
müsse, noch eingestehen, daß sie unter sich nicht einig und deshalb bereit seien,
die F>age der unparteiischen Erwägung einer königlichen Commission zu unter¬
breiten, die Antwort würde in allen drei Fällen ein Amendement zur Adresse
sein, welches das Ministerium sofort stürzen müßte. Es wäre aber möglich,
daß das Cabinet offen die Nothwendigkeit der Reform anerkennte und seine
Bereitwilligkeit kundgäbe sie aufzunehmen, sich aber den Zeitpunkt dafür vor¬
behielte, weil augenblicklich dringlichere Fragen eine Lösung erforderten, so z. B.
die Reorganisation der Armee und Flotte, die Regelung der Verhältnisse zwischen
Arbeitern und Arbeitgebern, sowie in Irland zwischen Pächtern und Grundherrn,
die municipale Reform in London, die Ausgleichung der Armensteuer u. s. w.;
diese Dinge müßten erst ans dem Weg geschafft werden, ehe man an die Paria-
mentsreform gehen könne, wolle die Opposition sich dem widersetzen, so werde
die Regierung wenigstens an das Land appelliren, d. h. zur Auflösung schreiten.
Dieser letzte Drücker würde wohl seine Wirkung nicht verfehlen, da wenige Mit«
guater sich danach sehnen werden, sobald schon wieder die Kosten einer Neuwahl
zu bezahlen. Das Experiment könnte freilich, falls es wirklich gemacht wird,
für seine Urheber ziemlich bedenklich ausfallen, denn die Wahlen würden sicher
die Reihen der Tories erheblich lichten.

Ein andrer Weg steht der Regierung offen, indem sie vorschlagen könnte
to xroeevä b/ vt' iWvlution, wonach man von allgemeinen Axiomen
ausgehend der praktischen Frage allmälig näher tritt und so eine sichere Unter¬
lage für die Bill gewinnen würde. Man würde also z. B. davon ausgehen,
daß die gegenwärtige Vertretung nicht genügend ist, dann sagen, daß die arbei¬
tenden Classen in irgendeiner Weise directer bei den Wahlen betheiligt werden
sollte», dann diese Art näher bestimmen u. s. w. Es ist kein Zweifel, daß
wenn das Haus überhaupt diesen Weg einschlagen will, die Regierung um so
leichter ihre Resolutionen durchbringen würde, als Disraeli ein ausgezeichneter
Parlamentarischer Taktiker ist, der das Temperament der Versammlung genau
zu beobachten versteht und schon seinen Weg fühlen würde. Die Hoffnung der
Conservativen liegt in der Getheiliheit ihrer Gegner, sie rechnen darauf, daß
eventuell Gladstone sogar kein Ministerium bilde» könnte. Jedenfalls wird die
Frage, ob Lord Derby sich halten kann oder nicht, gleich zu Anfang der Session
entschieden werden, denn bei der großen Majorität steht es fest, daß ein bloßes
Hinausschiebe» der Reform unthunlich uno gefährlich wäre, die Agitation würde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/301>, abgerufen am 04.07.2024.