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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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nützen. Was Bankier im "Oberhof" so trefflich gelang, sollte es Hiddemann
gelungen sein? Ist das die Louise Habermann, die etwas von dem klaren Ver¬
stand und dem tiefen Gefühl der "Lisbeth" hat? Und wo bleibt der "Ent-
specter Bräsig", jenes Gemisch von Urkomischem und tiefem Ernst?

Ich komme zu den Dramen. Das Geschlecht der Dramatiker stirbt nicht
aus. Und werden ihre Werke noch weniger gelesen und aufgeführt als bisher,
gedruckt werden sie. Während die moderne Kritik verlangt, daß unsere Helden
auf dem Gebiete des fünffüßigen Jambus die Vorwürfe für ihre Arbeiten in
der Gegenwart oder jüngsten Vergangenheit holen sollen, bewegen diese sich auch
heute wieder mit Vorliebe zwischen den Kämpen der früheren Zeiten. F. Kemp-
ner schrieb "Rudolf der Zweite oder der Majestätsbricf"; A. Waldemar "Kaiser
Friedrich der Zweite von Hohenstaufen"; W. Molitor "Julian der Apostat" und
A. Müller "Geachtet oder Otto der Große und sein Haus". F. v. Saar ver¬
öffentlichte die zweite Abtheilung seines "Kaiser Heinrich der Vierte" unter dem
Sondertitcl "Heinrichs Tod" und I. V. Widmann sei" Trauerspiel "Arnold von
Bicscia". Ein Bändchen "Dramatischer Dichtungen" brachte O. Roquette.
Aber am meisten Aufsehen machte A. Lindners Preisstück "Brutus und Colla-
tinus".

Denen, die im stillen Kämmerlein sich selbst den Preis zuerkannten und
Prinzessin und Tasso in einer Person spielten, mag man das harmlose Ver¬
gnügen, ihm allen Werth abzusprechen, wohl gönnen.

Während der Verleger nur ungern sich zur Herausgabe neuer Dramen ver¬
steht, ist Shakespeare für den deutsct'en Buchhandel von stets gleicher Bedeutung.
Noch behauptete die Schlegel-Tieckschc Uebersetzung bisher auf ihren, Gebiete die
erste Stelle; jetzt wird ihr von zwei Seite" zugleich der Platz bestritten. Schon
liegen einige Dramen einer Ausgabe vor, die von Dingelstedt, Simrock, Seeger
u. A. ausgeht. Ihr gegenüber tritt nun eine zweite Ausgabe auf, die auch
bedeutende Namen auszuweisen hat! Delius, Bodenstedt, Heyse. Gildemeister
u. A. Die Uebersetzer liefern von beiden Seiten ihr Bestes und der Wett¬
streit kann nur gute Früchte bringen.

Wenn wir aus Epik und Lyrik das wegstreichen, was der preußisch-
östreichische Conflict auf dem Gewissen hat, so bleibt wenig übrig. Und das
ist sehr gut. Denn auf diesem Gebiete der Dichtkunst ist viel gesündigt worden
in Festgedichten und Dithyramben patriotischester Gesinnung.

So mag von Epen nur hier sieben das zweite Buch von H. Linggs
"Völkerwanderung", die romantische Humoreske "Nosalindc oder das Turnci
zu Se. Johann" von W. Hosacns und "Maria , vn Bethanien", Neutcstament-
lichcs Gedicht von L. v. Plvennies. die alljährlich zur Weihnachtszeit ein Bänd¬
chen erscheinen läßt und sich ganz der streng kirchlichen Richtung in die Arme
geworfen hat.


nützen. Was Bankier im „Oberhof" so trefflich gelang, sollte es Hiddemann
gelungen sein? Ist das die Louise Habermann, die etwas von dem klaren Ver¬
stand und dem tiefen Gefühl der „Lisbeth" hat? Und wo bleibt der „Ent-
specter Bräsig", jenes Gemisch von Urkomischem und tiefem Ernst?

Ich komme zu den Dramen. Das Geschlecht der Dramatiker stirbt nicht
aus. Und werden ihre Werke noch weniger gelesen und aufgeführt als bisher,
gedruckt werden sie. Während die moderne Kritik verlangt, daß unsere Helden
auf dem Gebiete des fünffüßigen Jambus die Vorwürfe für ihre Arbeiten in
der Gegenwart oder jüngsten Vergangenheit holen sollen, bewegen diese sich auch
heute wieder mit Vorliebe zwischen den Kämpen der früheren Zeiten. F. Kemp-
ner schrieb „Rudolf der Zweite oder der Majestätsbricf"; A. Waldemar „Kaiser
Friedrich der Zweite von Hohenstaufen"; W. Molitor „Julian der Apostat" und
A. Müller „Geachtet oder Otto der Große und sein Haus". F. v. Saar ver¬
öffentlichte die zweite Abtheilung seines „Kaiser Heinrich der Vierte" unter dem
Sondertitcl „Heinrichs Tod" und I. V. Widmann sei» Trauerspiel „Arnold von
Bicscia". Ein Bändchen „Dramatischer Dichtungen" brachte O. Roquette.
Aber am meisten Aufsehen machte A. Lindners Preisstück „Brutus und Colla-
tinus".

Denen, die im stillen Kämmerlein sich selbst den Preis zuerkannten und
Prinzessin und Tasso in einer Person spielten, mag man das harmlose Ver¬
gnügen, ihm allen Werth abzusprechen, wohl gönnen.

Während der Verleger nur ungern sich zur Herausgabe neuer Dramen ver¬
steht, ist Shakespeare für den deutsct'en Buchhandel von stets gleicher Bedeutung.
Noch behauptete die Schlegel-Tieckschc Uebersetzung bisher auf ihren, Gebiete die
erste Stelle; jetzt wird ihr von zwei Seite» zugleich der Platz bestritten. Schon
liegen einige Dramen einer Ausgabe vor, die von Dingelstedt, Simrock, Seeger
u. A. ausgeht. Ihr gegenüber tritt nun eine zweite Ausgabe auf, die auch
bedeutende Namen auszuweisen hat! Delius, Bodenstedt, Heyse. Gildemeister
u. A. Die Uebersetzer liefern von beiden Seiten ihr Bestes und der Wett¬
streit kann nur gute Früchte bringen.

Wenn wir aus Epik und Lyrik das wegstreichen, was der preußisch-
östreichische Conflict auf dem Gewissen hat, so bleibt wenig übrig. Und das
ist sehr gut. Denn auf diesem Gebiete der Dichtkunst ist viel gesündigt worden
in Festgedichten und Dithyramben patriotischester Gesinnung.

So mag von Epen nur hier sieben das zweite Buch von H. Linggs
„Völkerwanderung", die romantische Humoreske „Nosalindc oder das Turnci
zu Se. Johann" von W. Hosacns und „Maria , vn Bethanien", Neutcstament-
lichcs Gedicht von L. v. Plvennies. die alljährlich zur Weihnachtszeit ein Bänd¬
chen erscheinen läßt und sich ganz der streng kirchlichen Richtung in die Arme
geworfen hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/284>, abgerufen am 22.12.2024.