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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Ent denkwürdiger Brief ans dem Jahre 1805.

Von mehr wie einer Seite her ist dem Ministerium Bismcirck vor Aus-
bruch des letzten Krieges zugerufen worden, Preußen gehe einem zweiten Jena
entgegen. Aus der Thatsache der Entfremdung von Regierung und Regierten
wollte man bereits die Gefahr vollständiger Auflösung und Zersetzung des
Staatsorganismus deduciren. Daß Befürchtungen dieser Art überhaupt mög¬
lich waren, zeugt ebenso von der Befangenheit und Einseitigkeit, in welche ge-
wisse Führer des Volks zufolge des Jahre langen Kampfes um die Verfassung
gerathen waren, als von der diametralen Verschiedenheit zwischen den Forde¬
rungen, welche unsere Zeit an das Staatsleben stellt und denen, auf weiche
man sich vor sechzig Jahren beschränkte. Weder in Bezug auf die auswärtige
Politik, noch rücksichtlich der inneren Zustände oder des öffentlichen Geistes läßt
sich die geringste Aehnlichkeit zwischen dem Preußen von 1866 und dem von
1806 nachweisen.

Stellt man zuvörderst die auswärtige Politik der Haugwitz und Lombard
der des Grafen Bismarck entgegen, so steht man zwischen Gegensätzen, die kaum
ein tertium eompA-ratioiris bieten. Damals galt es die Aufrechterhaltung der
Stellung, welche Preußen seit dem Hubertsburger Frieden wenigstens scheinbar
eingenommen hatte, die Behauptung der Grenzen und des stark gefährdeten
Ansehens der Monarchie Friedrichs des Großen, -- im Sommer 1866 die Er¬
reichung des höchsten Ziels, welches dieser Staat überhaupt anstreben konnte.
Aus Furcht vor einer kriegerischen Auseinandersetzung verpaßte man den Zeit¬
punkt, in welchem der Kampf gegen Frankreich noch zum Volkskriege werden
konnte; ohne Rücksicht darauf, daß der europäische Credit Preußens bereits so
tief herabgekommen war, daß er nur durch eine kühne energische That gerettet,
durch das geringste Vergeben seiner Würde aber zum Bankerott werden konnte,
suchte man in feigem Tcmpvrisiren und Abwarten das Heil. Während das
Volk im Gefühl der zunehmenden Fäulniß des inneren Staatslebens nach einer
auswärtigen Action verlangte, wurde ihm diese gewaltsam vorenthalte". In
directem Gegensatz hierzu zog der Leiter der preußischen Politik von 1866 von
Hause aus die Gefahr eines "Endes mit Schrecken" dem "Schrecken ohne Ende"
vor, in welchen Preußen durch seine Isolirtheit in der Schleswig-holsteinischen
Frage und zufolge des inneren Conflicts zu gerathen schien; der als nothwendig
erkannte Kampf gegen Oestreich und dessen kleinstaatliche Vasallen wurde auf¬
genommen, noch bevor seine Dringlichkeit von den Massen ganz verstanden war,
gewaltsam die Aufmerksamkeit des Volkes von den inneren auf die aus-


Ent denkwürdiger Brief ans dem Jahre 1805.

Von mehr wie einer Seite her ist dem Ministerium Bismcirck vor Aus-
bruch des letzten Krieges zugerufen worden, Preußen gehe einem zweiten Jena
entgegen. Aus der Thatsache der Entfremdung von Regierung und Regierten
wollte man bereits die Gefahr vollständiger Auflösung und Zersetzung des
Staatsorganismus deduciren. Daß Befürchtungen dieser Art überhaupt mög¬
lich waren, zeugt ebenso von der Befangenheit und Einseitigkeit, in welche ge-
wisse Führer des Volks zufolge des Jahre langen Kampfes um die Verfassung
gerathen waren, als von der diametralen Verschiedenheit zwischen den Forde¬
rungen, welche unsere Zeit an das Staatsleben stellt und denen, auf weiche
man sich vor sechzig Jahren beschränkte. Weder in Bezug auf die auswärtige
Politik, noch rücksichtlich der inneren Zustände oder des öffentlichen Geistes läßt
sich die geringste Aehnlichkeit zwischen dem Preußen von 1866 und dem von
1806 nachweisen.

Stellt man zuvörderst die auswärtige Politik der Haugwitz und Lombard
der des Grafen Bismarck entgegen, so steht man zwischen Gegensätzen, die kaum
ein tertium eompA-ratioiris bieten. Damals galt es die Aufrechterhaltung der
Stellung, welche Preußen seit dem Hubertsburger Frieden wenigstens scheinbar
eingenommen hatte, die Behauptung der Grenzen und des stark gefährdeten
Ansehens der Monarchie Friedrichs des Großen, — im Sommer 1866 die Er¬
reichung des höchsten Ziels, welches dieser Staat überhaupt anstreben konnte.
Aus Furcht vor einer kriegerischen Auseinandersetzung verpaßte man den Zeit¬
punkt, in welchem der Kampf gegen Frankreich noch zum Volkskriege werden
konnte; ohne Rücksicht darauf, daß der europäische Credit Preußens bereits so
tief herabgekommen war, daß er nur durch eine kühne energische That gerettet,
durch das geringste Vergeben seiner Würde aber zum Bankerott werden konnte,
suchte man in feigem Tcmpvrisiren und Abwarten das Heil. Während das
Volk im Gefühl der zunehmenden Fäulniß des inneren Staatslebens nach einer
auswärtigen Action verlangte, wurde ihm diese gewaltsam vorenthalte». In
directem Gegensatz hierzu zog der Leiter der preußischen Politik von 1866 von
Hause aus die Gefahr eines „Endes mit Schrecken" dem „Schrecken ohne Ende"
vor, in welchen Preußen durch seine Isolirtheit in der Schleswig-holsteinischen
Frage und zufolge des inneren Conflicts zu gerathen schien; der als nothwendig
erkannte Kampf gegen Oestreich und dessen kleinstaatliche Vasallen wurde auf¬
genommen, noch bevor seine Dringlichkeit von den Massen ganz verstanden war,
gewaltsam die Aufmerksamkeit des Volkes von den inneren auf die aus-


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[0026] Ent denkwürdiger Brief ans dem Jahre 1805. Von mehr wie einer Seite her ist dem Ministerium Bismcirck vor Aus- bruch des letzten Krieges zugerufen worden, Preußen gehe einem zweiten Jena entgegen. Aus der Thatsache der Entfremdung von Regierung und Regierten wollte man bereits die Gefahr vollständiger Auflösung und Zersetzung des Staatsorganismus deduciren. Daß Befürchtungen dieser Art überhaupt mög¬ lich waren, zeugt ebenso von der Befangenheit und Einseitigkeit, in welche ge- wisse Führer des Volks zufolge des Jahre langen Kampfes um die Verfassung gerathen waren, als von der diametralen Verschiedenheit zwischen den Forde¬ rungen, welche unsere Zeit an das Staatsleben stellt und denen, auf weiche man sich vor sechzig Jahren beschränkte. Weder in Bezug auf die auswärtige Politik, noch rücksichtlich der inneren Zustände oder des öffentlichen Geistes läßt sich die geringste Aehnlichkeit zwischen dem Preußen von 1866 und dem von 1806 nachweisen. Stellt man zuvörderst die auswärtige Politik der Haugwitz und Lombard der des Grafen Bismarck entgegen, so steht man zwischen Gegensätzen, die kaum ein tertium eompA-ratioiris bieten. Damals galt es die Aufrechterhaltung der Stellung, welche Preußen seit dem Hubertsburger Frieden wenigstens scheinbar eingenommen hatte, die Behauptung der Grenzen und des stark gefährdeten Ansehens der Monarchie Friedrichs des Großen, — im Sommer 1866 die Er¬ reichung des höchsten Ziels, welches dieser Staat überhaupt anstreben konnte. Aus Furcht vor einer kriegerischen Auseinandersetzung verpaßte man den Zeit¬ punkt, in welchem der Kampf gegen Frankreich noch zum Volkskriege werden konnte; ohne Rücksicht darauf, daß der europäische Credit Preußens bereits so tief herabgekommen war, daß er nur durch eine kühne energische That gerettet, durch das geringste Vergeben seiner Würde aber zum Bankerott werden konnte, suchte man in feigem Tcmpvrisiren und Abwarten das Heil. Während das Volk im Gefühl der zunehmenden Fäulniß des inneren Staatslebens nach einer auswärtigen Action verlangte, wurde ihm diese gewaltsam vorenthalte». In directem Gegensatz hierzu zog der Leiter der preußischen Politik von 1866 von Hause aus die Gefahr eines „Endes mit Schrecken" dem „Schrecken ohne Ende" vor, in welchen Preußen durch seine Isolirtheit in der Schleswig-holsteinischen Frage und zufolge des inneren Conflicts zu gerathen schien; der als nothwendig erkannte Kampf gegen Oestreich und dessen kleinstaatliche Vasallen wurde auf¬ genommen, noch bevor seine Dringlichkeit von den Massen ganz verstanden war, gewaltsam die Aufmerksamkeit des Volkes von den inneren auf die aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/26>, abgerufen am 25.08.2024.