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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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friedigcnde Antwort auf diese Frage geben könnte. Und doch ist die Antwort
nur zu geringem Theil abhängig von den Einzelbestimmungen der Bundesver¬
fassung, welche jetzt Graf Bismarck mit Gas.indien der Bundesstaaten beräth.
Denn die Verfassung kann geändert werden, und selbst ein zu enge geschnittenes
Maß ihrer neckte würde die Bedeutung der neuen Reichsversammlung nicht
vernichten, im Fall diese nämlich wirklich den bestehenden Lebensinteressen der
Nation am besten entspricht. Es ist diese Frage auch gar nicht von einem Par¬
teistandpunkt zu beantworten; denn grade die preußischen Conservativen können
es in Kurzem ebensowohl für nothwendig halten, sich hinter die neckte der
preußischen Verfassung des Herrenhauses zu verschanzen, als von anderem
Standpunkt die entschiedensten Mitglieder der preußischen Fortschrittspartei.

Im letzten Grunde ist die Vorfrage, von deren Beantwortung alles ab¬
hängt, etwa folgende: Sind wirDcutsche nach den Ereignissen und Friedensschlüssen
von 1866'so weit fortgeschritten, daß wir die zur Zeit bewahrten oder wieder
eingesetzten souverainen Landesregierungen jetzt durck den Zwang der Thatsachen
und die friedliche Arbeit nationaler Interessen zu überwinden und eine einheit¬
liche Organisation des gesammten Staatsbaus herzustellen vermögen; und ferner:
hat Preußen die innere Kraft, auf jedem Gebiete des Staatslebens diese Ober¬
leitung auf sich zu nehmen?

Das neue Bundcsprojcct des Grafen Bismarck. dessen Grundzüge im Juni
1866 veröffentlicht wurden, das jetzt in dem Bundesentwurf Modificationen
und weitere Ausbildung erhalten hat, schafft für das Verkchrsleben aller Deut¬
schen bis zum Main thatsächlich eine politische Einheit, ebenso eine völlige Ein¬
heit für die Flotte und, in der Hauptsache, obgleick nicht ebenso consequent,
Einheit für das Heerwesen. Es stellt ferner die großen Verkehrsanstalten unter
einheitliche Oberaufsicht, es gründet für Zölle und für die großen Verbrauchs¬
steuern eine Centralkasse und verheißt der Station Einheit im Civilproceß und
der bürgerlichen Rechtspflege. Daneben bleiben andere Majcstäts- und Hoheits-
rechte der Landesherren bestehen, ihnen bleibt die diplomatische Vertretung im
Ausland, die Gnadensacben und Ehrenverleibungen, die innere Verwaltung.
Landcscultur und Uiiterrichtswescii, die directen Steucv" und einige indirecte.
Auch über das Verhältniß der Hecrtheile zu dein preußischen Heere sollen, wie
Unzweifelhaft geworden ist, besondere Verträge der souveränen Negicningen,
welche den einzelnen Landesherren größere oder geringere Machtbefugnisse über
ihr Heer lassen, neben dem Grundgesetz' des Bundes die rechtliche Basis der
neuen Heeresorganisativn werden. Während auf diese Art in einzelnen wich-
t'ete" Dinge" thatsächlich ein einheitlicher Staat hergestellt wird, ist in anderen
den bestehenden Verhältnissen reichliche Rechnung getragen und die Freiheit der
"nzelnen Theile bewahrt, wo die Beschränkung nicht durch die Bedürfnisse der
Gegenwart geboten schien. Diesem neuen Bau kaun man leicht Mangel an


friedigcnde Antwort auf diese Frage geben könnte. Und doch ist die Antwort
nur zu geringem Theil abhängig von den Einzelbestimmungen der Bundesver¬
fassung, welche jetzt Graf Bismarck mit Gas.indien der Bundesstaaten beräth.
Denn die Verfassung kann geändert werden, und selbst ein zu enge geschnittenes
Maß ihrer neckte würde die Bedeutung der neuen Reichsversammlung nicht
vernichten, im Fall diese nämlich wirklich den bestehenden Lebensinteressen der
Nation am besten entspricht. Es ist diese Frage auch gar nicht von einem Par¬
teistandpunkt zu beantworten; denn grade die preußischen Conservativen können
es in Kurzem ebensowohl für nothwendig halten, sich hinter die neckte der
preußischen Verfassung des Herrenhauses zu verschanzen, als von anderem
Standpunkt die entschiedensten Mitglieder der preußischen Fortschrittspartei.

Im letzten Grunde ist die Vorfrage, von deren Beantwortung alles ab¬
hängt, etwa folgende: Sind wirDcutsche nach den Ereignissen und Friedensschlüssen
von 1866'so weit fortgeschritten, daß wir die zur Zeit bewahrten oder wieder
eingesetzten souverainen Landesregierungen jetzt durck den Zwang der Thatsachen
und die friedliche Arbeit nationaler Interessen zu überwinden und eine einheit¬
liche Organisation des gesammten Staatsbaus herzustellen vermögen; und ferner:
hat Preußen die innere Kraft, auf jedem Gebiete des Staatslebens diese Ober¬
leitung auf sich zu nehmen?

Das neue Bundcsprojcct des Grafen Bismarck. dessen Grundzüge im Juni
1866 veröffentlicht wurden, das jetzt in dem Bundesentwurf Modificationen
und weitere Ausbildung erhalten hat, schafft für das Verkchrsleben aller Deut¬
schen bis zum Main thatsächlich eine politische Einheit, ebenso eine völlige Ein¬
heit für die Flotte und, in der Hauptsache, obgleick nicht ebenso consequent,
Einheit für das Heerwesen. Es stellt ferner die großen Verkehrsanstalten unter
einheitliche Oberaufsicht, es gründet für Zölle und für die großen Verbrauchs¬
steuern eine Centralkasse und verheißt der Station Einheit im Civilproceß und
der bürgerlichen Rechtspflege. Daneben bleiben andere Majcstäts- und Hoheits-
rechte der Landesherren bestehen, ihnen bleibt die diplomatische Vertretung im
Ausland, die Gnadensacben und Ehrenverleibungen, die innere Verwaltung.
Landcscultur und Uiiterrichtswescii, die directen Steucv» und einige indirecte.
Auch über das Verhältniß der Hecrtheile zu dein preußischen Heere sollen, wie
Unzweifelhaft geworden ist, besondere Verträge der souveränen Negicningen,
welche den einzelnen Landesherren größere oder geringere Machtbefugnisse über
ihr Heer lassen, neben dem Grundgesetz' des Bundes die rechtliche Basis der
neuen Heeresorganisativn werden. Während auf diese Art in einzelnen wich-
t'ete» Dinge» thatsächlich ein einheitlicher Staat hergestellt wird, ist in anderen
den bestehenden Verhältnissen reichliche Rechnung getragen und die Freiheit der
"nzelnen Theile bewahrt, wo die Beschränkung nicht durch die Bedürfnisse der
Gegenwart geboten schien. Diesem neuen Bau kaun man leicht Mangel an


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[0247] friedigcnde Antwort auf diese Frage geben könnte. Und doch ist die Antwort nur zu geringem Theil abhängig von den Einzelbestimmungen der Bundesver¬ fassung, welche jetzt Graf Bismarck mit Gas.indien der Bundesstaaten beräth. Denn die Verfassung kann geändert werden, und selbst ein zu enge geschnittenes Maß ihrer neckte würde die Bedeutung der neuen Reichsversammlung nicht vernichten, im Fall diese nämlich wirklich den bestehenden Lebensinteressen der Nation am besten entspricht. Es ist diese Frage auch gar nicht von einem Par¬ teistandpunkt zu beantworten; denn grade die preußischen Conservativen können es in Kurzem ebensowohl für nothwendig halten, sich hinter die neckte der preußischen Verfassung des Herrenhauses zu verschanzen, als von anderem Standpunkt die entschiedensten Mitglieder der preußischen Fortschrittspartei. Im letzten Grunde ist die Vorfrage, von deren Beantwortung alles ab¬ hängt, etwa folgende: Sind wirDcutsche nach den Ereignissen und Friedensschlüssen von 1866'so weit fortgeschritten, daß wir die zur Zeit bewahrten oder wieder eingesetzten souverainen Landesregierungen jetzt durck den Zwang der Thatsachen und die friedliche Arbeit nationaler Interessen zu überwinden und eine einheit¬ liche Organisation des gesammten Staatsbaus herzustellen vermögen; und ferner: hat Preußen die innere Kraft, auf jedem Gebiete des Staatslebens diese Ober¬ leitung auf sich zu nehmen? Das neue Bundcsprojcct des Grafen Bismarck. dessen Grundzüge im Juni 1866 veröffentlicht wurden, das jetzt in dem Bundesentwurf Modificationen und weitere Ausbildung erhalten hat, schafft für das Verkchrsleben aller Deut¬ schen bis zum Main thatsächlich eine politische Einheit, ebenso eine völlige Ein¬ heit für die Flotte und, in der Hauptsache, obgleick nicht ebenso consequent, Einheit für das Heerwesen. Es stellt ferner die großen Verkehrsanstalten unter einheitliche Oberaufsicht, es gründet für Zölle und für die großen Verbrauchs¬ steuern eine Centralkasse und verheißt der Station Einheit im Civilproceß und der bürgerlichen Rechtspflege. Daneben bleiben andere Majcstäts- und Hoheits- rechte der Landesherren bestehen, ihnen bleibt die diplomatische Vertretung im Ausland, die Gnadensacben und Ehrenverleibungen, die innere Verwaltung. Landcscultur und Uiiterrichtswescii, die directen Steucv» und einige indirecte. Auch über das Verhältniß der Hecrtheile zu dein preußischen Heere sollen, wie Unzweifelhaft geworden ist, besondere Verträge der souveränen Negicningen, welche den einzelnen Landesherren größere oder geringere Machtbefugnisse über ihr Heer lassen, neben dem Grundgesetz' des Bundes die rechtliche Basis der neuen Heeresorganisativn werden. Während auf diese Art in einzelnen wich- t'ete» Dinge» thatsächlich ein einheitlicher Staat hergestellt wird, ist in anderen den bestehenden Verhältnissen reichliche Rechnung getragen und die Freiheit der "nzelnen Theile bewahrt, wo die Beschränkung nicht durch die Bedürfnisse der Gegenwart geboten schien. Diesem neuen Bau kaun man leicht Mangel an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/247>, abgerufen am 30.06.2024.