Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.zu einem Einschreiten des in seinen polnischen Landestheilen bedrohten Nußland Zu den interessantesten und wichtigsten Merkmalen des politischen Lebens Anfang Juni trat die seit Jahren vorbereitete Neugestaltung der Justiz für zu einem Einschreiten des in seinen polnischen Landestheilen bedrohten Nußland Zu den interessantesten und wichtigsten Merkmalen des politischen Lebens Anfang Juni trat die seit Jahren vorbereitete Neugestaltung der Justiz für <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190182"/> <p xml:id="ID_36" prev="#ID_35"> zu einem Einschreiten des in seinen polnischen Landestheilen bedrohten Nußland<lb/> in die inneren Verhältnisse der slawischen Völker Oestreichs. Die Organe der<lb/> Petersburger und der moskauer Presse wetteifern in leidenschaftlichen Mahnungen<lb/> zu Gunsten einer Intervention, welche den Sieg des demokratisch-russischen über<lb/> das polnisch-aristokratische Element vollenden und der orientalischen Politik Ru߬<lb/> lands die moralische Unterstützung der außerrussischcn Slawcnstcimme für alle<lb/> Zeiten sichern soll. Mit der Lösung jener großen Frage der Zukunft müsse<lb/> unter allen Umständen in Oestreich der Anfang gemacht werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_37"> Zu den interessantesten und wichtigsten Merkmalen des politischen Lebens<lb/> in Nußland gehört, daß die inneren Fragen, um welche es sich im Kampf<lb/> der Parteien handelt, beinahe ohne allen Zusammenhang mit den auswärtigen<lb/> sind, daß es bezüglich dieser in der Regel keine Meinungs- und Parteiverschicden-<lb/> heiten giebt, die sich außerhalb der Hof- und Regie.rungskreise bemerkbar machten.<lb/> Der politische Jnstinct dieser Nation ist trotz des niedrigen Bildungsgrades so<lb/> ausgebildet, daß sich eine auswärtige Verwickelung nur am Horizont zu zeigen<lb/> braucht, um sofort allen inneren Händeln Schweigen zu gebieten. Wenn das<lb/> im letzten Halbjahr nicht so vollständig der Fall gewesen ist. wie in früherer<lb/> Zeit, so hat das einfach darin seinen Grund, daß die Regierung die Vorgänge<lb/> in Galizien und an der Donau scheinbar ihren Gang nehmen ließ und ihre<lb/> Abneigung, zur Zeit in kriegerische Verwickelungen einzutreten, wiederholt und<lb/> deutlich documentirte, weil sie den Augenblick nicht für geeignet hielt. Daraus<lb/> erklärt sich, daß trotz der Theilnahme, welche man den Ereignissen im Westen<lb/> schenkte, die Kämpfe und Arbeiten im Innern ihren ununterbrochenen Fortgang<lb/> genommen haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_38"> Anfang Juni trat die seit Jahren vorbereitete Neugestaltung der Justiz für<lb/> Moskau, Petersburg und die angrenzenden Gouvernements ins Leben, fürs Erste<lb/> mit entschieden günstigem Erfolg. An zahlreichen Mißgriffen der jungen Ge¬<lb/> schworenengerichte hat es zwar nicht gefehlt, desto glücklicher ist der Griff ge¬<lb/> wesen, den die Negierung mit Einführung des Instituts der Friedensrichter für<lb/> Bagatellstreitigkeiten und Polizeivergehen gethan hat. Das tief erschütterte Ver¬<lb/> trauen des Volks zu der Rechtspflege hat sich plötzlich gehoben, die „neuen<lb/> Gerichte" sind der Gegenstand der allgemeinsten und dankbarsten Verehrung<lb/> aller Classen, und in die sonst tief verachtete Classe der Jnstizbcamten scheint ein<lb/> neuer Geist gefahren zu sein. Die Erwartung, welche die Negierung an die<lb/> neuen Gerichtshöfe gestellt hatte, sind so glänzend übertroffen worden, daß der<lb/> Justizminister, seiner ursprünglichen Ansicht zuwider, die Ausdehnung derselben<lb/> auf eine größere Zahl von Gouvernements angeordnet hat. Merkwürdig genug,<lb/> daß die Reform der Justiz, zu welcher eigentlich niemand in Nußland rechtes<lb/> Vertrauen hatte, sehr viel glücklicher von Statten gegangen ist als die Mehrzahl<lb/> der übrigen Reformen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
zu einem Einschreiten des in seinen polnischen Landestheilen bedrohten Nußland
in die inneren Verhältnisse der slawischen Völker Oestreichs. Die Organe der
Petersburger und der moskauer Presse wetteifern in leidenschaftlichen Mahnungen
zu Gunsten einer Intervention, welche den Sieg des demokratisch-russischen über
das polnisch-aristokratische Element vollenden und der orientalischen Politik Ru߬
lands die moralische Unterstützung der außerrussischcn Slawcnstcimme für alle
Zeiten sichern soll. Mit der Lösung jener großen Frage der Zukunft müsse
unter allen Umständen in Oestreich der Anfang gemacht werden.
Zu den interessantesten und wichtigsten Merkmalen des politischen Lebens
in Nußland gehört, daß die inneren Fragen, um welche es sich im Kampf
der Parteien handelt, beinahe ohne allen Zusammenhang mit den auswärtigen
sind, daß es bezüglich dieser in der Regel keine Meinungs- und Parteiverschicden-
heiten giebt, die sich außerhalb der Hof- und Regie.rungskreise bemerkbar machten.
Der politische Jnstinct dieser Nation ist trotz des niedrigen Bildungsgrades so
ausgebildet, daß sich eine auswärtige Verwickelung nur am Horizont zu zeigen
braucht, um sofort allen inneren Händeln Schweigen zu gebieten. Wenn das
im letzten Halbjahr nicht so vollständig der Fall gewesen ist. wie in früherer
Zeit, so hat das einfach darin seinen Grund, daß die Regierung die Vorgänge
in Galizien und an der Donau scheinbar ihren Gang nehmen ließ und ihre
Abneigung, zur Zeit in kriegerische Verwickelungen einzutreten, wiederholt und
deutlich documentirte, weil sie den Augenblick nicht für geeignet hielt. Daraus
erklärt sich, daß trotz der Theilnahme, welche man den Ereignissen im Westen
schenkte, die Kämpfe und Arbeiten im Innern ihren ununterbrochenen Fortgang
genommen haben.
Anfang Juni trat die seit Jahren vorbereitete Neugestaltung der Justiz für
Moskau, Petersburg und die angrenzenden Gouvernements ins Leben, fürs Erste
mit entschieden günstigem Erfolg. An zahlreichen Mißgriffen der jungen Ge¬
schworenengerichte hat es zwar nicht gefehlt, desto glücklicher ist der Griff ge¬
wesen, den die Negierung mit Einführung des Instituts der Friedensrichter für
Bagatellstreitigkeiten und Polizeivergehen gethan hat. Das tief erschütterte Ver¬
trauen des Volks zu der Rechtspflege hat sich plötzlich gehoben, die „neuen
Gerichte" sind der Gegenstand der allgemeinsten und dankbarsten Verehrung
aller Classen, und in die sonst tief verachtete Classe der Jnstizbcamten scheint ein
neuer Geist gefahren zu sein. Die Erwartung, welche die Negierung an die
neuen Gerichtshöfe gestellt hatte, sind so glänzend übertroffen worden, daß der
Justizminister, seiner ursprünglichen Ansicht zuwider, die Ausdehnung derselben
auf eine größere Zahl von Gouvernements angeordnet hat. Merkwürdig genug,
daß die Reform der Justiz, zu welcher eigentlich niemand in Nußland rechtes
Vertrauen hatte, sehr viel glücklicher von Statten gegangen ist als die Mehrzahl
der übrigen Reformen.
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