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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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geeigneten Nichten, besehe waren und Seitens der Obergerichte nur sehr mangel¬
haft beaufsichtigt wurden, doch dies Institut war eben ein Fehler der Gerichte-
Verfassung, nicht des Gerichtsverfahrens.

In, Jahre 1781 ward nu" aber durch die carmcrschc Jnstizresvrm das
ganze bestehende Proceßverfahren umgeändert.

Carmer hatte nämlich schon such eine Idee gefaßt. welche nicht nur den
Grundsätzen des damals in Preußen giltigen Processes, sondern auch denen des
altdeutschen und römischen Processes, sowie überhaupt den Principien, die bis
dahin bei allen gebildeten Bölkern gegolten hatten, auss entschiedenste widersprach.

Tuche Idee ging nämlich dahin, es müsse im Civilpreceß nicht das Ber-
handlungöpnncip herrschen, Kraft dessen der Bauch des Processes in den Händen
der Parteien liegt und es deren Sache ist, selbst ihre Rechte wahrzunehmen,
sondern es müsse im C>vilp>occß wie im Cnminalprvceß das Uutcrsuchungs-
verfahren gelten, Kraft dessen der Richter von Amtswegen die Wahrheit zu
ermitteln hat. Zugleich war er der Ansicht, daß man die Advocatur ganz ab¬
schaffen und die Parteien nöthigen müsse, selbst vor Gericht zu erscheinen, um
ihre Rechte wahrzunehmen, denn die Advocaten, welche nur das einseitige Inter¬
esse ihrer Auftraggeber im Auge hätten, suchten "ach seiner Meinung nur die
Wahrheit zu verdunkeln und die Sachen zu verschleppen. Als Carmer im Jahre
1774 zuerst seine Ansichten dem Könige Friedrich dem Zweiten vortrug, zog
dieser den damaligen Großkanzler Fürst zu Rathe und dieser sowohl als die
meisten andern zu Rathe gezogenen Juristen crtlälten sich entschieden gegen die
carmcrschcn Ideen; der König verwarf sie auch damals; wenige Jahre darauf
siel jedoch Fürst infolge des bekannten mulier^arnoldschen Ploccsses in Ungnade.
Carmer ward infolge dessen Großkanzler und der König ging nun unbedingt
auf dessen Ideen ein. Die auf Grund dieser Ideen von Carmer entwoifene
Proceßordnung ward am 26. Apiil 1781 publ.cire. Obgleich dieselbe gegen den
Rath der vorher gulachuich über sie gehörten Juristen eingeführt wurde, läßt
sich doch nicht verkennen, daß sie in ihren Hauptcigcnlhümlichkeitcn grade der
Zeitrichtung, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Deutsch¬
land und namentlich in Preußen herrschte, entsprach.

Von dem, was wir jetzt Selbstregierung nennen, war damals wenig die
Rede; man hielt es vielmehr allgemein für Aufgabe des Staats, die Bürger
in fast allen Verhältnissen des Lebens auf Schritt und Tritt zu bevormunden.
Cs war natürlich, daß diese allgemeine Tendenz des Staats, die sich namentlich
auch in den Schutzzöllen, überhaupt in der ganzen Beaufsichtigung des Handels
und der Industrie aussprach, auch aus die Ordnung des Civilprocesses Einfluß
gewann.

Mit dieser Tendenz hing auch der Haß gegen die Advocaten zusammen,
über die Lcyser schon im Jahre 1730 klagte.


geeigneten Nichten, besehe waren und Seitens der Obergerichte nur sehr mangel¬
haft beaufsichtigt wurden, doch dies Institut war eben ein Fehler der Gerichte-
Verfassung, nicht des Gerichtsverfahrens.

In, Jahre 1781 ward nu» aber durch die carmcrschc Jnstizresvrm das
ganze bestehende Proceßverfahren umgeändert.

Carmer hatte nämlich schon such eine Idee gefaßt. welche nicht nur den
Grundsätzen des damals in Preußen giltigen Processes, sondern auch denen des
altdeutschen und römischen Processes, sowie überhaupt den Principien, die bis
dahin bei allen gebildeten Bölkern gegolten hatten, auss entschiedenste widersprach.

Tuche Idee ging nämlich dahin, es müsse im Civilpreceß nicht das Ber-
handlungöpnncip herrschen, Kraft dessen der Bauch des Processes in den Händen
der Parteien liegt und es deren Sache ist, selbst ihre Rechte wahrzunehmen,
sondern es müsse im C>vilp>occß wie im Cnminalprvceß das Uutcrsuchungs-
verfahren gelten, Kraft dessen der Richter von Amtswegen die Wahrheit zu
ermitteln hat. Zugleich war er der Ansicht, daß man die Advocatur ganz ab¬
schaffen und die Parteien nöthigen müsse, selbst vor Gericht zu erscheinen, um
ihre Rechte wahrzunehmen, denn die Advocaten, welche nur das einseitige Inter¬
esse ihrer Auftraggeber im Auge hätten, suchten »ach seiner Meinung nur die
Wahrheit zu verdunkeln und die Sachen zu verschleppen. Als Carmer im Jahre
1774 zuerst seine Ansichten dem Könige Friedrich dem Zweiten vortrug, zog
dieser den damaligen Großkanzler Fürst zu Rathe und dieser sowohl als die
meisten andern zu Rathe gezogenen Juristen crtlälten sich entschieden gegen die
carmcrschcn Ideen; der König verwarf sie auch damals; wenige Jahre darauf
siel jedoch Fürst infolge des bekannten mulier^arnoldschen Ploccsses in Ungnade.
Carmer ward infolge dessen Großkanzler und der König ging nun unbedingt
auf dessen Ideen ein. Die auf Grund dieser Ideen von Carmer entwoifene
Proceßordnung ward am 26. Apiil 1781 publ.cire. Obgleich dieselbe gegen den
Rath der vorher gulachuich über sie gehörten Juristen eingeführt wurde, läßt
sich doch nicht verkennen, daß sie in ihren Hauptcigcnlhümlichkeitcn grade der
Zeitrichtung, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Deutsch¬
land und namentlich in Preußen herrschte, entsprach.

Von dem, was wir jetzt Selbstregierung nennen, war damals wenig die
Rede; man hielt es vielmehr allgemein für Aufgabe des Staats, die Bürger
in fast allen Verhältnissen des Lebens auf Schritt und Tritt zu bevormunden.
Cs war natürlich, daß diese allgemeine Tendenz des Staats, die sich namentlich
auch in den Schutzzöllen, überhaupt in der ganzen Beaufsichtigung des Handels
und der Industrie aussprach, auch aus die Ordnung des Civilprocesses Einfluß
gewann.

Mit dieser Tendenz hing auch der Haß gegen die Advocaten zusammen,
über die Lcyser schon im Jahre 1730 klagte.


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[0224] geeigneten Nichten, besehe waren und Seitens der Obergerichte nur sehr mangel¬ haft beaufsichtigt wurden, doch dies Institut war eben ein Fehler der Gerichte- Verfassung, nicht des Gerichtsverfahrens. In, Jahre 1781 ward nu» aber durch die carmcrschc Jnstizresvrm das ganze bestehende Proceßverfahren umgeändert. Carmer hatte nämlich schon such eine Idee gefaßt. welche nicht nur den Grundsätzen des damals in Preußen giltigen Processes, sondern auch denen des altdeutschen und römischen Processes, sowie überhaupt den Principien, die bis dahin bei allen gebildeten Bölkern gegolten hatten, auss entschiedenste widersprach. Tuche Idee ging nämlich dahin, es müsse im Civilpreceß nicht das Ber- handlungöpnncip herrschen, Kraft dessen der Bauch des Processes in den Händen der Parteien liegt und es deren Sache ist, selbst ihre Rechte wahrzunehmen, sondern es müsse im C>vilp>occß wie im Cnminalprvceß das Uutcrsuchungs- verfahren gelten, Kraft dessen der Richter von Amtswegen die Wahrheit zu ermitteln hat. Zugleich war er der Ansicht, daß man die Advocatur ganz ab¬ schaffen und die Parteien nöthigen müsse, selbst vor Gericht zu erscheinen, um ihre Rechte wahrzunehmen, denn die Advocaten, welche nur das einseitige Inter¬ esse ihrer Auftraggeber im Auge hätten, suchten »ach seiner Meinung nur die Wahrheit zu verdunkeln und die Sachen zu verschleppen. Als Carmer im Jahre 1774 zuerst seine Ansichten dem Könige Friedrich dem Zweiten vortrug, zog dieser den damaligen Großkanzler Fürst zu Rathe und dieser sowohl als die meisten andern zu Rathe gezogenen Juristen crtlälten sich entschieden gegen die carmcrschcn Ideen; der König verwarf sie auch damals; wenige Jahre darauf siel jedoch Fürst infolge des bekannten mulier^arnoldschen Ploccsses in Ungnade. Carmer ward infolge dessen Großkanzler und der König ging nun unbedingt auf dessen Ideen ein. Die auf Grund dieser Ideen von Carmer entwoifene Proceßordnung ward am 26. Apiil 1781 publ.cire. Obgleich dieselbe gegen den Rath der vorher gulachuich über sie gehörten Juristen eingeführt wurde, läßt sich doch nicht verkennen, daß sie in ihren Hauptcigcnlhümlichkeitcn grade der Zeitrichtung, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Deutsch¬ land und namentlich in Preußen herrschte, entsprach. Von dem, was wir jetzt Selbstregierung nennen, war damals wenig die Rede; man hielt es vielmehr allgemein für Aufgabe des Staats, die Bürger in fast allen Verhältnissen des Lebens auf Schritt und Tritt zu bevormunden. Cs war natürlich, daß diese allgemeine Tendenz des Staats, die sich namentlich auch in den Schutzzöllen, überhaupt in der ganzen Beaufsichtigung des Handels und der Industrie aussprach, auch aus die Ordnung des Civilprocesses Einfluß gewann. Mit dieser Tendenz hing auch der Haß gegen die Advocaten zusammen, über die Lcyser schon im Jahre 1730 klagte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/224>, abgerufen am 27.09.2024.