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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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rechtlichen Civitprocesses veranlaßten; es sind dies die ausschließliche Schrift-
lichkeit des Verfahrens, ferner der Mangel an energischer Proceßleitung durch
den Richter und endlich die Appellabilität 'aller Beweisurtheile. Die Schrift,
lichkeit befördert vorzugsweise die Gründlichkeit der Entscheidungen, sowie die
Mündlichkeit die Schnelligkeit befördert; zu einem gedeihlichen Verfahren gehört
daher Verbindung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit; der Mangel der Proce߬
leitung durch den Richter hatte beim gemeinrechtlichen Verfahren namentlich die
Folge, daß die Parteien und Anwälte vielfältig Gelegenheit zur Verschleppung
der Sache gewannen; nichts trug aber hierzu mehr bei. als die den Parteien
gegebene Befugniß, gegen jedes Zwischenurtheil, jeden Beweisbescheid zu appelliren
und dadurch das Verfahren erster Instanz zu verzögern.

Der vrandenburgifch-preußische Staat hatte sich vom Einfluß der Reichs¬
gerichte schon früh frei gemacht. Schon im Jahre 1ö86 hatte der Kaiser Rudolph
für die Mark Brandenburg ein Privilegium as non axpellanclo ertheilt, wo¬
durch die Kompetenz der Reichsgerichte für die Mark fast ganz aufgehoben war.
Als Grund dieses Privilegiums giebt der Kaiser selbst an. das Justizwesen in
der Mark sei so eingerichtet, daß für jeden Proceß schon drei Instanzen beständen,
übrigens sei seit vielen Jahren keine Berufung aus der Mark an die Reichs¬
gerichte vorgekommen. Das Privilegium von axxvllanäo ward später mehr
und mehr erweitert und zuletzt durch Verordnung des Kaisers Franz des Ersten
vom 31. Mai 1746 für den ganzen Umfang des preußischen Staats und in
Bezug auf alle Processe ertheilt.

Das Proceßverfahren der brandenburgisch-preußischen Gerichte wich nun
aber bis zur zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts vielfach von dem der
Reichsgerichte und vom gemeinrechtlichen Verfahren ab. indem sich in ihm sehr
vieles aus dem alten deutschen Processe erhalten hatte.

Noch nach dem von Cvcceji herrührenden Loäex ^Merieianus, welcher
am 4. April 1748 publicirt wurde, war das Verfahren bei den meisten Pro¬
cessen ein mündliches. Nur durch besonderes Erkenntniß konnten Sachen, bei
denen dies wegen ihrer Schwierigkeit als rathsam erschien, xi-oeessum vrai-
"arium, d. h. zum schriftlichen Verfahren verwiesen werden. Uebrigens bestand
für da" Aerfahren bei Obergerichten der Anwaltszwang; die Appellativ" war
nur gegen Endurtheile zulässig.

Im Allgemeinen war mau mit den Resultaten dieses Verfahrens im
vorigen Jahrhundert wohl zufrieden. Es ward von preußischen Juristen zu
Anfang der siebenziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit Stolz hervorgehoben,
daß die Vorzüge des preußischen Civilprocesses auch außerhalb unseres Staats
Anerkennung und Nachahmung fänden.

Was man indessen damals am preußischen Gerichtsverfahren tadeln konnte,
war das Institut der Patrimonialgerichte. die oft mit untüchtigen oder un°


rechtlichen Civitprocesses veranlaßten; es sind dies die ausschließliche Schrift-
lichkeit des Verfahrens, ferner der Mangel an energischer Proceßleitung durch
den Richter und endlich die Appellabilität 'aller Beweisurtheile. Die Schrift,
lichkeit befördert vorzugsweise die Gründlichkeit der Entscheidungen, sowie die
Mündlichkeit die Schnelligkeit befördert; zu einem gedeihlichen Verfahren gehört
daher Verbindung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit; der Mangel der Proce߬
leitung durch den Richter hatte beim gemeinrechtlichen Verfahren namentlich die
Folge, daß die Parteien und Anwälte vielfältig Gelegenheit zur Verschleppung
der Sache gewannen; nichts trug aber hierzu mehr bei. als die den Parteien
gegebene Befugniß, gegen jedes Zwischenurtheil, jeden Beweisbescheid zu appelliren
und dadurch das Verfahren erster Instanz zu verzögern.

Der vrandenburgifch-preußische Staat hatte sich vom Einfluß der Reichs¬
gerichte schon früh frei gemacht. Schon im Jahre 1ö86 hatte der Kaiser Rudolph
für die Mark Brandenburg ein Privilegium as non axpellanclo ertheilt, wo¬
durch die Kompetenz der Reichsgerichte für die Mark fast ganz aufgehoben war.
Als Grund dieses Privilegiums giebt der Kaiser selbst an. das Justizwesen in
der Mark sei so eingerichtet, daß für jeden Proceß schon drei Instanzen beständen,
übrigens sei seit vielen Jahren keine Berufung aus der Mark an die Reichs¬
gerichte vorgekommen. Das Privilegium von axxvllanäo ward später mehr
und mehr erweitert und zuletzt durch Verordnung des Kaisers Franz des Ersten
vom 31. Mai 1746 für den ganzen Umfang des preußischen Staats und in
Bezug auf alle Processe ertheilt.

Das Proceßverfahren der brandenburgisch-preußischen Gerichte wich nun
aber bis zur zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts vielfach von dem der
Reichsgerichte und vom gemeinrechtlichen Verfahren ab. indem sich in ihm sehr
vieles aus dem alten deutschen Processe erhalten hatte.

Noch nach dem von Cvcceji herrührenden Loäex ^Merieianus, welcher
am 4. April 1748 publicirt wurde, war das Verfahren bei den meisten Pro¬
cessen ein mündliches. Nur durch besonderes Erkenntniß konnten Sachen, bei
denen dies wegen ihrer Schwierigkeit als rathsam erschien, xi-oeessum vrai-
»arium, d. h. zum schriftlichen Verfahren verwiesen werden. Uebrigens bestand
für da« Aerfahren bei Obergerichten der Anwaltszwang; die Appellativ« war
nur gegen Endurtheile zulässig.

Im Allgemeinen war mau mit den Resultaten dieses Verfahrens im
vorigen Jahrhundert wohl zufrieden. Es ward von preußischen Juristen zu
Anfang der siebenziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit Stolz hervorgehoben,
daß die Vorzüge des preußischen Civilprocesses auch außerhalb unseres Staats
Anerkennung und Nachahmung fänden.

Was man indessen damals am preußischen Gerichtsverfahren tadeln konnte,
war das Institut der Patrimonialgerichte. die oft mit untüchtigen oder un°


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[0223] rechtlichen Civitprocesses veranlaßten; es sind dies die ausschließliche Schrift- lichkeit des Verfahrens, ferner der Mangel an energischer Proceßleitung durch den Richter und endlich die Appellabilität 'aller Beweisurtheile. Die Schrift, lichkeit befördert vorzugsweise die Gründlichkeit der Entscheidungen, sowie die Mündlichkeit die Schnelligkeit befördert; zu einem gedeihlichen Verfahren gehört daher Verbindung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit; der Mangel der Proce߬ leitung durch den Richter hatte beim gemeinrechtlichen Verfahren namentlich die Folge, daß die Parteien und Anwälte vielfältig Gelegenheit zur Verschleppung der Sache gewannen; nichts trug aber hierzu mehr bei. als die den Parteien gegebene Befugniß, gegen jedes Zwischenurtheil, jeden Beweisbescheid zu appelliren und dadurch das Verfahren erster Instanz zu verzögern. Der vrandenburgifch-preußische Staat hatte sich vom Einfluß der Reichs¬ gerichte schon früh frei gemacht. Schon im Jahre 1ö86 hatte der Kaiser Rudolph für die Mark Brandenburg ein Privilegium as non axpellanclo ertheilt, wo¬ durch die Kompetenz der Reichsgerichte für die Mark fast ganz aufgehoben war. Als Grund dieses Privilegiums giebt der Kaiser selbst an. das Justizwesen in der Mark sei so eingerichtet, daß für jeden Proceß schon drei Instanzen beständen, übrigens sei seit vielen Jahren keine Berufung aus der Mark an die Reichs¬ gerichte vorgekommen. Das Privilegium von axxvllanäo ward später mehr und mehr erweitert und zuletzt durch Verordnung des Kaisers Franz des Ersten vom 31. Mai 1746 für den ganzen Umfang des preußischen Staats und in Bezug auf alle Processe ertheilt. Das Proceßverfahren der brandenburgisch-preußischen Gerichte wich nun aber bis zur zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts vielfach von dem der Reichsgerichte und vom gemeinrechtlichen Verfahren ab. indem sich in ihm sehr vieles aus dem alten deutschen Processe erhalten hatte. Noch nach dem von Cvcceji herrührenden Loäex ^Merieianus, welcher am 4. April 1748 publicirt wurde, war das Verfahren bei den meisten Pro¬ cessen ein mündliches. Nur durch besonderes Erkenntniß konnten Sachen, bei denen dies wegen ihrer Schwierigkeit als rathsam erschien, xi-oeessum vrai- »arium, d. h. zum schriftlichen Verfahren verwiesen werden. Uebrigens bestand für da« Aerfahren bei Obergerichten der Anwaltszwang; die Appellativ« war nur gegen Endurtheile zulässig. Im Allgemeinen war mau mit den Resultaten dieses Verfahrens im vorigen Jahrhundert wohl zufrieden. Es ward von preußischen Juristen zu Anfang der siebenziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit Stolz hervorgehoben, daß die Vorzüge des preußischen Civilprocesses auch außerhalb unseres Staats Anerkennung und Nachahmung fänden. Was man indessen damals am preußischen Gerichtsverfahren tadeln konnte, war das Institut der Patrimonialgerichte. die oft mit untüchtigen oder un°

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/223>, abgerufen am 28.09.2024.