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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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sondern immer nur an den vorhandenen wiederum herumflickte. War doch dies
schon der Hauptfehler Nochlitzens selbst gewesen, der -- er war Redacteur der
damals fast allmächtigen Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung -- gar
wohl das Zeug gehabt hätte, auf Grund des Originaltextes und der Original¬
partitur ein frisches Libretto herzustellen. Aus der bei Breitkopf und Härtel in
Leipzig erschienenen Partitur ging die rochlitzsche Uebersetzung, die ihr beigegeben
war, in den ebenda gedruckten Klavierauszug und von dort in alle die zahl¬
losen Nachdrucke über. Nach dieser Ausgabe haben alle Sänger, die im Don
Juan zu thun haben, ihre Partien siudirt und hat das Publikum den Text
längst auswendig gelernt, man vermag daraus zu folgern, wie schwer es
nun halten muß, hier durchzugreifen und einer andern bessern Uebersetzung all¬
gemeinen Eingang zu verschaffen. An Versuchen hat es nicht gefehlt. Zuerst
nach Reese und Rochlitz versuchte sich der bekannte Kunstschriftsteller Kugler,
dann Vivi (Breslau, 1858) und fast gleichzeitig mit ihm Professor Bischof in
Köln. 1860 veröffentlichte v. Wolzogen seine Überarbeitung, der bald eine
andre von Dr. Wendung. Schloßverwalter in Nymphenburg bei München, einem
einsichtsvollen und begeisterten Musiker, sich gesellte. Außerdem existiren in den
Textbüchern der verschiedenen größeren Bühnen zahllose Varianten, die entweder
durch das Herkommen eine gewisse Berechtigung sich erworben haben oder durch
welche gewissen Widersprüchen, veranlaßt durch die Ungenauigkeit der Ueber¬
setzungen, abgeholfen werden soll. Noch bleibt hier eine Verdeutschung (von
C. v. Holtet?) zu erwähnen, die für das königstädtische Theater in Berlin, als
dieselbe noch eine italienische Oper hatte, gemacht wurde, auf die wir' aber hier
nicht näher eingehen, da sie nicht selbst zum Gesange bestimmt war, sondern
nur eine Uebersetzung des gegenübergedruckten italienischen Textes, wenn auch
in Versen, war. Die jüngste Bearbeitung endlich ist die Eingangs erwähnte
Uebersetzung von Bitter.

Um eine Uebersicht der verschiedenen Übertragungen zu gewinnen, stellen
wir hier z. B. die Kampfscene zwischen Don Juan und dem Comthur in einigen
Uebersetzungen sich gegenüber:


[Beginn Spaltensatz]

Wörtliche Uebersetzung:

Comthur:

Laß sie, Unwürdiger, schlage dich mit mir!

Don Juan-

Fort mit dir! Nicht werth bist du,
Daß ich mit dir kämpfe!

Comthur:

Also willst du vor mir fliehen?

Don Juan:

Fort, mit dir kämpf ich nicht!

[Spaltenumbruch]
Mozart: [Ende Spaltensatz]

Halt! gieb mir Antwort mit dem Degen.
Laß nur in Frieden meinen Degen.

Trägst du den Degen und brauchst ihn nicht?

Väterchen weiß nicht was es spricht!


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sondern immer nur an den vorhandenen wiederum herumflickte. War doch dies
schon der Hauptfehler Nochlitzens selbst gewesen, der — er war Redacteur der
damals fast allmächtigen Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung — gar
wohl das Zeug gehabt hätte, auf Grund des Originaltextes und der Original¬
partitur ein frisches Libretto herzustellen. Aus der bei Breitkopf und Härtel in
Leipzig erschienenen Partitur ging die rochlitzsche Uebersetzung, die ihr beigegeben
war, in den ebenda gedruckten Klavierauszug und von dort in alle die zahl¬
losen Nachdrucke über. Nach dieser Ausgabe haben alle Sänger, die im Don
Juan zu thun haben, ihre Partien siudirt und hat das Publikum den Text
längst auswendig gelernt, man vermag daraus zu folgern, wie schwer es
nun halten muß, hier durchzugreifen und einer andern bessern Uebersetzung all¬
gemeinen Eingang zu verschaffen. An Versuchen hat es nicht gefehlt. Zuerst
nach Reese und Rochlitz versuchte sich der bekannte Kunstschriftsteller Kugler,
dann Vivi (Breslau, 1858) und fast gleichzeitig mit ihm Professor Bischof in
Köln. 1860 veröffentlichte v. Wolzogen seine Überarbeitung, der bald eine
andre von Dr. Wendung. Schloßverwalter in Nymphenburg bei München, einem
einsichtsvollen und begeisterten Musiker, sich gesellte. Außerdem existiren in den
Textbüchern der verschiedenen größeren Bühnen zahllose Varianten, die entweder
durch das Herkommen eine gewisse Berechtigung sich erworben haben oder durch
welche gewissen Widersprüchen, veranlaßt durch die Ungenauigkeit der Ueber¬
setzungen, abgeholfen werden soll. Noch bleibt hier eine Verdeutschung (von
C. v. Holtet?) zu erwähnen, die für das königstädtische Theater in Berlin, als
dieselbe noch eine italienische Oper hatte, gemacht wurde, auf die wir' aber hier
nicht näher eingehen, da sie nicht selbst zum Gesange bestimmt war, sondern
nur eine Uebersetzung des gegenübergedruckten italienischen Textes, wenn auch
in Versen, war. Die jüngste Bearbeitung endlich ist die Eingangs erwähnte
Uebersetzung von Bitter.

Um eine Uebersicht der verschiedenen Übertragungen zu gewinnen, stellen
wir hier z. B. die Kampfscene zwischen Don Juan und dem Comthur in einigen
Uebersetzungen sich gegenüber:


[Beginn Spaltensatz]

Wörtliche Uebersetzung:

Comthur:

Laß sie, Unwürdiger, schlage dich mit mir!

Don Juan-

Fort mit dir! Nicht werth bist du,
Daß ich mit dir kämpfe!

Comthur:

Also willst du vor mir fliehen?

Don Juan:

Fort, mit dir kämpf ich nicht!

[Spaltenumbruch]
Mozart: [Ende Spaltensatz]

Halt! gieb mir Antwort mit dem Degen.
Laß nur in Frieden meinen Degen.

Trägst du den Degen und brauchst ihn nicht?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/197>, abgerufen am 22.07.2024.