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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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z. B. die Tagelöhner im östlichen Holstein; es haben sehr viele Leute Gelegen¬
heit, ihre Hcrzensmeinung auszusprechen, welche dieselbe sorgfältig zu verdecken
Pflegen; ferner werden unberechenbare persönliche Zuneigungen und Abneigungen
oft die politischen Rücksichten durchkreuzen. Vollständig sicher scheint nur das
Eine, daß im ersten schleswigschen Wahlkreis, dem eigentlichen Nordschleswig,
der dänische Kandidat, Krüger-Beftoft. mit großer Majorität gewählt wird. Von
dem Verhalten der Deutschen im zweiten Wahlkreise, welcher Flensburg und
einen großen Theil Angelus, aber auch das dänische Sundewitt und Alsen um¬
faßt, wird es abhängen, ob dieser der einzige Däne bleiben soll oder ob ihm
noch ein Genosse zur Seite tritt. Geschieht das Erstere, so ist zu schließen,
daß der zweite Reichstag das interessante Gegenstück zu den Polen, eine dänische
Partei, ganz wird entbehren müssen; denn da die eventuelle Abtretung jedenfalls
den größten Theil des ersten Wahlkreises treffen wird -- und wenn nur die
deutschgesinntcn Orte Hadersleben und Christiansfelde erhalten bleiben, so ist
das kein so großes Unglück --, so werden später die Dänen nirgends mehr in
so compacten Massen sitzen, um einen Abgeordneten durchzubringen. In diesem
Wahlkreis ist vor allem darauf zu sehen, daß sich sämmtliche Deutsche über einen
Kandidaten verständigen, daß sich daher eventuell die Particularistcn einen preu¬
ßisch Gefärbten, die nationalen einen halben Particularistcn gefallen lassen.
Da die augustenburgischen Sympathien in diesem Theile Schleswigs nie sehr
lebhaft gewesen sind, so ist eine Vereinigung gewiß nicht schwer. Aber die Dänen
im Sundewitt und auf Alsen werden sicher auch ihr Aeußerstes thun, so wenig
daran zu denken ist, daß Preußen je ein Stück dieser militärisch so überaus
wichtigen Landschaften abtreten wird.

In allen andern Wahlkreisen werden sich die augustenburgischen Particu-
laristen mit ihren Gegnern zu messen haben. Die Organisation hat auf beiden
Seiten begonnen, ist aber noch nicht abgeschlossen, so daß noch nicht alle defi¬
nitive Candidaten aufgestellt sind. Die Particularistcn verfügen über keine
große Anzahl von Männern, welche Lust und Geschick haben, ihre Sache im
Parlamente zu führen, ohne dieselbe zu compromittiren. In dem rücksichtslosen
Demokraten Richard von Neergaard. einer Natur, welche im Grunde viel besser
zu den südwcstdeutschen Radicalen oder auch zu den Voltsmännern seines
Stammlandes Dänemark paßte, als zu den ruhigen ehrsamen Holsten, ist im
vorigen Herbst der bedeutendste Mann dieser Richtung plötzlich gestorben. Durch
Leute, wie den guten, populären, aber sehr beschränkten Zimmermeister Riepen
wollen sich aber die Gebildeteren der Partei nickt leiten lassen, schon aus Rück¬
sicht auf die Fortschrittspartei, mit der man es nicht gern ganz verdürbe.
Einige der bedeutendsten Führer haben keine Lust, eine veUorne Sache öffent¬
lich zu verfechten, und man wird Wohl noch allerlei Schwierigkeiten haben, bis
man sich über die Candidaten geeinigt hat. Eine grundsätzliche Enthaltung von


z. B. die Tagelöhner im östlichen Holstein; es haben sehr viele Leute Gelegen¬
heit, ihre Hcrzensmeinung auszusprechen, welche dieselbe sorgfältig zu verdecken
Pflegen; ferner werden unberechenbare persönliche Zuneigungen und Abneigungen
oft die politischen Rücksichten durchkreuzen. Vollständig sicher scheint nur das
Eine, daß im ersten schleswigschen Wahlkreis, dem eigentlichen Nordschleswig,
der dänische Kandidat, Krüger-Beftoft. mit großer Majorität gewählt wird. Von
dem Verhalten der Deutschen im zweiten Wahlkreise, welcher Flensburg und
einen großen Theil Angelus, aber auch das dänische Sundewitt und Alsen um¬
faßt, wird es abhängen, ob dieser der einzige Däne bleiben soll oder ob ihm
noch ein Genosse zur Seite tritt. Geschieht das Erstere, so ist zu schließen,
daß der zweite Reichstag das interessante Gegenstück zu den Polen, eine dänische
Partei, ganz wird entbehren müssen; denn da die eventuelle Abtretung jedenfalls
den größten Theil des ersten Wahlkreises treffen wird — und wenn nur die
deutschgesinntcn Orte Hadersleben und Christiansfelde erhalten bleiben, so ist
das kein so großes Unglück —, so werden später die Dänen nirgends mehr in
so compacten Massen sitzen, um einen Abgeordneten durchzubringen. In diesem
Wahlkreis ist vor allem darauf zu sehen, daß sich sämmtliche Deutsche über einen
Kandidaten verständigen, daß sich daher eventuell die Particularistcn einen preu¬
ßisch Gefärbten, die nationalen einen halben Particularistcn gefallen lassen.
Da die augustenburgischen Sympathien in diesem Theile Schleswigs nie sehr
lebhaft gewesen sind, so ist eine Vereinigung gewiß nicht schwer. Aber die Dänen
im Sundewitt und auf Alsen werden sicher auch ihr Aeußerstes thun, so wenig
daran zu denken ist, daß Preußen je ein Stück dieser militärisch so überaus
wichtigen Landschaften abtreten wird.

In allen andern Wahlkreisen werden sich die augustenburgischen Particu-
laristen mit ihren Gegnern zu messen haben. Die Organisation hat auf beiden
Seiten begonnen, ist aber noch nicht abgeschlossen, so daß noch nicht alle defi¬
nitive Candidaten aufgestellt sind. Die Particularistcn verfügen über keine
große Anzahl von Männern, welche Lust und Geschick haben, ihre Sache im
Parlamente zu führen, ohne dieselbe zu compromittiren. In dem rücksichtslosen
Demokraten Richard von Neergaard. einer Natur, welche im Grunde viel besser
zu den südwcstdeutschen Radicalen oder auch zu den Voltsmännern seines
Stammlandes Dänemark paßte, als zu den ruhigen ehrsamen Holsten, ist im
vorigen Herbst der bedeutendste Mann dieser Richtung plötzlich gestorben. Durch
Leute, wie den guten, populären, aber sehr beschränkten Zimmermeister Riepen
wollen sich aber die Gebildeteren der Partei nickt leiten lassen, schon aus Rück¬
sicht auf die Fortschrittspartei, mit der man es nicht gern ganz verdürbe.
Einige der bedeutendsten Führer haben keine Lust, eine veUorne Sache öffent¬
lich zu verfechten, und man wird Wohl noch allerlei Schwierigkeiten haben, bis
man sich über die Candidaten geeinigt hat. Eine grundsätzliche Enthaltung von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/176>, abgerufen am 24.07.2024.