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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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So ist denn der innere Zustand Schleswig-Holsteins noch immer derselbe,
wie zur Dänenzcit. Abgesehen von den militärischen Einrichtungen, rücksichtlich
deren der Oberpräsident natürlich den Forderungen der Centralregierung durch¬
aus nachkommen mußte, haben wir fast nur im Post- und Telcgraphenwcsen
Verbesserungen nach preußischem Muster zu nennen, aber auch hier ohne sein
Zuthun. Namentlich hat der Oberpostdirector Zschüschner, welcher schon vor
dem gastciner Vertrag hierher gesandt war, sich um die Hebung des ihm an¬
vertrauten Postwesens großes Verdienst erworben. In keinem der neuerworbe-
nen Länder thun aber eingreifende Reformen aller Art so dringend noth, wie
in Schleswig-Holstein. Hannover und Hessen können nöthigenfalls noch Jahre
lang die alten Justiz- und Administrationseinrichtungen behalten; wir können
das nicht, denn bei uns hat das Gesetzgebungswerk seit Jahrzehnten fast völlig
geruht. Die Verwaltung ist ganz die des achtzehnten Jahrhunderts; von der Justiz
theilweise noch gar nicht getrennt. Wichtigen Gebieten des Rechts liegen ab¬
solut veraltete Rechtsquellen zu Grunde, so daß sich die Praxis nur durch
deren vollständige Ignorirung und ihren Ersatz durch das richterliche Ermessen
helfen kau". In großen Theilen des Landes besteht eine Feudalherrschaft mit
Patrimonialgerichten und allem Zubehör, wie sie sich nicht besser in Mecklen¬
burg findet; sogar die Damenklöstcr haben ihre eigene Verwaltung, Gebiete
und Gerichtssprcngel. Die Städte erfreuen sich einer Verfassung, nach welcher
ihre Beamten fast alle vom Landesherrn ernannt werden. Das Steuerwesen
ist gründlich verworren und unzweckmäßig u. a. in. -- Ich empfehle dem
Leser, sich einmal die Verordnung über die Eintheilung der Wahlkreise in
Schleswig-Holstein anzusehen. Hier kann er von der Buntschecklgkeit unserer
Administration eine Idee erhalten, wenn er erfährt, daß der Verschiedenheit der
Gütcrdistricte. Aemter. Landschaften, klösterlichen Gebiete u. f. w. eine ebenso
große Verschiedenheit der inneren Einrichtungen entspricht. Kurz der ganze Zu¬
stand ist unleidlich und wird auch von allen Gebildeten als unleidlich empfun¬
den. Alle Vorschläge zur Abänderung fallen hier nothwendigerweise weit radi-
caler aus als z, B. in Hannover, und niemand nimmt daran Anstoß. Aber
freilich, wird endlich Ernst gemacht mit den Verbesserungen, wie sie durch das
Local-, Provinzial- und Staatsinteresse gefordert werden, so wird gar mancher
Privatvortheil und manche Privatansicht verletzt werden, und selbst wenn, was
doch nicht anzunehmen, in jeder Hinsicht von preußischer Seite die denkbar
zweckmäßigsten Maßregeln zur Organisirung der Provinz getroffen würde", so
wird doch wahrscheinlich die erste Folge der Aenderung eine sehr weit verbreitete
Verstimmung, ein Wachsen der particularisiischen Gesinnung auch bei denen
sein, welche die UnHaltbarkeit der alten Zustände erkannt haben. Dieses Odium
scheint unser Oberpräsidium nicht auf sich laden zu wollen und dazu hat er
unzweifelhaft eine besondere Vorliebe für manches, was uns enidcrn durchaus


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So ist denn der innere Zustand Schleswig-Holsteins noch immer derselbe,
wie zur Dänenzcit. Abgesehen von den militärischen Einrichtungen, rücksichtlich
deren der Oberpräsident natürlich den Forderungen der Centralregierung durch¬
aus nachkommen mußte, haben wir fast nur im Post- und Telcgraphenwcsen
Verbesserungen nach preußischem Muster zu nennen, aber auch hier ohne sein
Zuthun. Namentlich hat der Oberpostdirector Zschüschner, welcher schon vor
dem gastciner Vertrag hierher gesandt war, sich um die Hebung des ihm an¬
vertrauten Postwesens großes Verdienst erworben. In keinem der neuerworbe-
nen Länder thun aber eingreifende Reformen aller Art so dringend noth, wie
in Schleswig-Holstein. Hannover und Hessen können nöthigenfalls noch Jahre
lang die alten Justiz- und Administrationseinrichtungen behalten; wir können
das nicht, denn bei uns hat das Gesetzgebungswerk seit Jahrzehnten fast völlig
geruht. Die Verwaltung ist ganz die des achtzehnten Jahrhunderts; von der Justiz
theilweise noch gar nicht getrennt. Wichtigen Gebieten des Rechts liegen ab¬
solut veraltete Rechtsquellen zu Grunde, so daß sich die Praxis nur durch
deren vollständige Ignorirung und ihren Ersatz durch das richterliche Ermessen
helfen kau». In großen Theilen des Landes besteht eine Feudalherrschaft mit
Patrimonialgerichten und allem Zubehör, wie sie sich nicht besser in Mecklen¬
burg findet; sogar die Damenklöstcr haben ihre eigene Verwaltung, Gebiete
und Gerichtssprcngel. Die Städte erfreuen sich einer Verfassung, nach welcher
ihre Beamten fast alle vom Landesherrn ernannt werden. Das Steuerwesen
ist gründlich verworren und unzweckmäßig u. a. in. — Ich empfehle dem
Leser, sich einmal die Verordnung über die Eintheilung der Wahlkreise in
Schleswig-Holstein anzusehen. Hier kann er von der Buntschecklgkeit unserer
Administration eine Idee erhalten, wenn er erfährt, daß der Verschiedenheit der
Gütcrdistricte. Aemter. Landschaften, klösterlichen Gebiete u. f. w. eine ebenso
große Verschiedenheit der inneren Einrichtungen entspricht. Kurz der ganze Zu¬
stand ist unleidlich und wird auch von allen Gebildeten als unleidlich empfun¬
den. Alle Vorschläge zur Abänderung fallen hier nothwendigerweise weit radi-
caler aus als z, B. in Hannover, und niemand nimmt daran Anstoß. Aber
freilich, wird endlich Ernst gemacht mit den Verbesserungen, wie sie durch das
Local-, Provinzial- und Staatsinteresse gefordert werden, so wird gar mancher
Privatvortheil und manche Privatansicht verletzt werden, und selbst wenn, was
doch nicht anzunehmen, in jeder Hinsicht von preußischer Seite die denkbar
zweckmäßigsten Maßregeln zur Organisirung der Provinz getroffen würde», so
wird doch wahrscheinlich die erste Folge der Aenderung eine sehr weit verbreitete
Verstimmung, ein Wachsen der particularisiischen Gesinnung auch bei denen
sein, welche die UnHaltbarkeit der alten Zustände erkannt haben. Dieses Odium
scheint unser Oberpräsidium nicht auf sich laden zu wollen und dazu hat er
unzweifelhaft eine besondere Vorliebe für manches, was uns enidcrn durchaus


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[0173] So ist denn der innere Zustand Schleswig-Holsteins noch immer derselbe, wie zur Dänenzcit. Abgesehen von den militärischen Einrichtungen, rücksichtlich deren der Oberpräsident natürlich den Forderungen der Centralregierung durch¬ aus nachkommen mußte, haben wir fast nur im Post- und Telcgraphenwcsen Verbesserungen nach preußischem Muster zu nennen, aber auch hier ohne sein Zuthun. Namentlich hat der Oberpostdirector Zschüschner, welcher schon vor dem gastciner Vertrag hierher gesandt war, sich um die Hebung des ihm an¬ vertrauten Postwesens großes Verdienst erworben. In keinem der neuerworbe- nen Länder thun aber eingreifende Reformen aller Art so dringend noth, wie in Schleswig-Holstein. Hannover und Hessen können nöthigenfalls noch Jahre lang die alten Justiz- und Administrationseinrichtungen behalten; wir können das nicht, denn bei uns hat das Gesetzgebungswerk seit Jahrzehnten fast völlig geruht. Die Verwaltung ist ganz die des achtzehnten Jahrhunderts; von der Justiz theilweise noch gar nicht getrennt. Wichtigen Gebieten des Rechts liegen ab¬ solut veraltete Rechtsquellen zu Grunde, so daß sich die Praxis nur durch deren vollständige Ignorirung und ihren Ersatz durch das richterliche Ermessen helfen kau». In großen Theilen des Landes besteht eine Feudalherrschaft mit Patrimonialgerichten und allem Zubehör, wie sie sich nicht besser in Mecklen¬ burg findet; sogar die Damenklöstcr haben ihre eigene Verwaltung, Gebiete und Gerichtssprcngel. Die Städte erfreuen sich einer Verfassung, nach welcher ihre Beamten fast alle vom Landesherrn ernannt werden. Das Steuerwesen ist gründlich verworren und unzweckmäßig u. a. in. — Ich empfehle dem Leser, sich einmal die Verordnung über die Eintheilung der Wahlkreise in Schleswig-Holstein anzusehen. Hier kann er von der Buntschecklgkeit unserer Administration eine Idee erhalten, wenn er erfährt, daß der Verschiedenheit der Gütcrdistricte. Aemter. Landschaften, klösterlichen Gebiete u. f. w. eine ebenso große Verschiedenheit der inneren Einrichtungen entspricht. Kurz der ganze Zu¬ stand ist unleidlich und wird auch von allen Gebildeten als unleidlich empfun¬ den. Alle Vorschläge zur Abänderung fallen hier nothwendigerweise weit radi- caler aus als z, B. in Hannover, und niemand nimmt daran Anstoß. Aber freilich, wird endlich Ernst gemacht mit den Verbesserungen, wie sie durch das Local-, Provinzial- und Staatsinteresse gefordert werden, so wird gar mancher Privatvortheil und manche Privatansicht verletzt werden, und selbst wenn, was doch nicht anzunehmen, in jeder Hinsicht von preußischer Seite die denkbar zweckmäßigsten Maßregeln zur Organisirung der Provinz getroffen würde», so wird doch wahrscheinlich die erste Folge der Aenderung eine sehr weit verbreitete Verstimmung, ein Wachsen der particularisiischen Gesinnung auch bei denen sein, welche die UnHaltbarkeit der alten Zustände erkannt haben. Dieses Odium scheint unser Oberpräsidium nicht auf sich laden zu wollen und dazu hat er unzweifelhaft eine besondere Vorliebe für manches, was uns enidcrn durchaus 21*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/173>, abgerufen am 04.07.2024.