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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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mit wachsender Eifersucht überwacht. Das aristokratische Petersburger Wochen-
blatt "Wesstj" führte gegen die Wirthschaft der Miljutin, Murawjew und Kauf,
manu seit Jahren einen erbitterten Kampf und sprach immer wieder davon, daß
das persönliche Eigenthum bedroht sei und mehr und mehr aufhöre, eine Grund¬
lage des russischen Staatslebens zu sein. In der That war in den neugeschaf¬
fenen Provinzialversammlungen der den Gemeindebesitz repräsentirende Bauern,
stand sehr viel reichlicher vertreten, als das persönliche Eigenthum an Grund
und Boden, d. h, der Adel. Das Bedürfniß nach einer Einschränkung des Ab¬
solutismus, nach Beschaffung wirklicher Garantien für Recht und Eigenthum
des Individuums wurde innerhalb der gebildeteren russischen Adelsverbände von
Jahr zu Jahr Lebhafter empfunden*). Jeder Versuch, den die Adelsversamm-
lungen Moskaus und Petersburgs gemacht hatten, um den Monarchen zu einer
freiwilligen Einschränkung seiner unbeschränkten Gewalt zu bewegen, diente aber
nur dazu, die Macht der büreaukratischen Anhänger des Absolutismus zu steigern:
die Adresse, welche der most'owitische Adel im Januar 1865 beschlossen hatte,
um den adelsseindlichen Machthabern ein Mißtrauensvotum zu ertheilen und
seinen constitutionellen Wünschen einen bescheidenen Ausdruck zu geben, war
vom Kaiser zurückgewiesen und mit einem Rescript an den Minister Walujew
beantwortet worden, das dergleichen Eingriffe in die kaiserliche Initiative ein
für alle Mal abschnitt.

Einer der Gegenstände, auf welchen die aristokratische Opposition bei ihren
Anklagen gegen das herrschende Regime immer wieder zurückkam, war der jam>
merliche Zustand der. Finanzen. Beim Beginn des vorigen Jahres wies das
Budget pro 1866 trotz der beiden neu emittirten inneren Prämienanleihen
im Gesammtbetrage von 200 Millionen Rubeln und trotz der allbekannten That-
sache. daß der eigentliche Zweck dieser Operationen nicht der Bau neuer Eisen-
bahnen (wie es in dem betreffenden Mas hieß), sondern die Zustopfung der
zahllose" Löcher des Staatshaushaltes sei -- noch immer ein Deficit von nahe¬
zu 22 Millionen Silberrubeln auf. Seit dem polnischen Aufstande und der
Inauguration der fabelhaft kostspieligen Nussisicationspolitik, die eine Verstä"
kung des Militärbestandes zur Voraussetzung hatte, war dieses Deficit in fort'
währendem Zunehmen begriffen gewesen: im Jahre 1863 halte es 15V" Mill.,
1864 nicht weniger als 46'/- Millionen, 1865 trotz der neuen englisch-holländischen
Anleihe immer noch 22 Millionen betragen. Dazu kam, daß der Staat außer
Stande war, auch nur eine der nothwendigen neuen wirthschaftlichen Unter-



Während die größeren englischen und französischen Blätter die Beschränkung des Ab¬
solutismus als den rothen Faden aller Bestrebungen der russischen Aristokratie anerkannt
haben und seiner relativen Berechtigung gerecht geworden sind, wird die deutsche Presse nicht
müde, diese Partei als russisches Krcuzzeitungsthnm zu verlästern und in mechanischer Ver¬
ehrung der demokratischen Schablone den Männern der bureaukratisch-socialistischen Richtung
und ihres Polenhasses Weihrauch zu streuen.

mit wachsender Eifersucht überwacht. Das aristokratische Petersburger Wochen-
blatt „Wesstj" führte gegen die Wirthschaft der Miljutin, Murawjew und Kauf,
manu seit Jahren einen erbitterten Kampf und sprach immer wieder davon, daß
das persönliche Eigenthum bedroht sei und mehr und mehr aufhöre, eine Grund¬
lage des russischen Staatslebens zu sein. In der That war in den neugeschaf¬
fenen Provinzialversammlungen der den Gemeindebesitz repräsentirende Bauern,
stand sehr viel reichlicher vertreten, als das persönliche Eigenthum an Grund
und Boden, d. h, der Adel. Das Bedürfniß nach einer Einschränkung des Ab¬
solutismus, nach Beschaffung wirklicher Garantien für Recht und Eigenthum
des Individuums wurde innerhalb der gebildeteren russischen Adelsverbände von
Jahr zu Jahr Lebhafter empfunden*). Jeder Versuch, den die Adelsversamm-
lungen Moskaus und Petersburgs gemacht hatten, um den Monarchen zu einer
freiwilligen Einschränkung seiner unbeschränkten Gewalt zu bewegen, diente aber
nur dazu, die Macht der büreaukratischen Anhänger des Absolutismus zu steigern:
die Adresse, welche der most'owitische Adel im Januar 1865 beschlossen hatte,
um den adelsseindlichen Machthabern ein Mißtrauensvotum zu ertheilen und
seinen constitutionellen Wünschen einen bescheidenen Ausdruck zu geben, war
vom Kaiser zurückgewiesen und mit einem Rescript an den Minister Walujew
beantwortet worden, das dergleichen Eingriffe in die kaiserliche Initiative ein
für alle Mal abschnitt.

Einer der Gegenstände, auf welchen die aristokratische Opposition bei ihren
Anklagen gegen das herrschende Regime immer wieder zurückkam, war der jam>
merliche Zustand der. Finanzen. Beim Beginn des vorigen Jahres wies das
Budget pro 1866 trotz der beiden neu emittirten inneren Prämienanleihen
im Gesammtbetrage von 200 Millionen Rubeln und trotz der allbekannten That-
sache. daß der eigentliche Zweck dieser Operationen nicht der Bau neuer Eisen-
bahnen (wie es in dem betreffenden Mas hieß), sondern die Zustopfung der
zahllose» Löcher des Staatshaushaltes sei — noch immer ein Deficit von nahe¬
zu 22 Millionen Silberrubeln auf. Seit dem polnischen Aufstande und der
Inauguration der fabelhaft kostspieligen Nussisicationspolitik, die eine Verstä»
kung des Militärbestandes zur Voraussetzung hatte, war dieses Deficit in fort'
währendem Zunehmen begriffen gewesen: im Jahre 1863 halte es 15V« Mill.,
1864 nicht weniger als 46'/- Millionen, 1865 trotz der neuen englisch-holländischen
Anleihe immer noch 22 Millionen betragen. Dazu kam, daß der Staat außer
Stande war, auch nur eine der nothwendigen neuen wirthschaftlichen Unter-



Während die größeren englischen und französischen Blätter die Beschränkung des Ab¬
solutismus als den rothen Faden aller Bestrebungen der russischen Aristokratie anerkannt
haben und seiner relativen Berechtigung gerecht geworden sind, wird die deutsche Presse nicht
müde, diese Partei als russisches Krcuzzeitungsthnm zu verlästern und in mechanischer Ver¬
ehrung der demokratischen Schablone den Männern der bureaukratisch-socialistischen Richtung
und ihres Polenhasses Weihrauch zu streuen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/17>, abgerufen am 25.08.2024.