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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Landesbeschreibungen älteren und neueren Ursprungs. Manche geben nur die
gewöhnlichen statistischen Data, manche bringen noch eine bescheidene Zugabe
geschichtlicher Notizen, einige der allerneusten haben sich die neuere Behandlung
der Geographie zu Nutze gemacht und sie zur Belebung ihres an sich trockenen
Stoffes verwandt. Ebenso wenig fehlt es an ethnographischen und sitten-
gcschichtlichen Schilderungen aus den verschiedensten Theilen Deutschlands. Meist
von etwas dilettantischem Anflug und fast ausnahmslos bestrebt so piquant als
möglich zu sein, bilden sie ja seit einer Reihe von Jabren ein Hauptstück unseres
journalistischen Repertoirs, aber sie wagen sich auch immer häufiger selbständig
und oft mit rechter Keckheit heraus. Die Bavaria will aber zugleich Landes¬
beschreibung und Volkskunde sein, und beides in der tiefsten oder geistvollsten
oder modernsten Fassung dieser Aufgaben. Ihr Herausgeber, unser Land- und
Leutekundiger par excLllouee, Nicht, bürgt schon durch seinen Namen, daß hier
die Sache nicht nach alter Art mit beschränkter Pedanterie und in den möglichst
eng gezogenen Fachgrenzen. sei es des Geographen, des Statistikers oder des
Historikers angegriffen wird. Wie er es sich selbst zum bleibenden Verdienst
anrechnen darf, das Auge der Gegenwart auf die Totalität aller Erschwungen
des Volkslebens geschickt hingelenkt und diese alle zusammen, groß und klein,
massig und geringfügig, als organische Gestaltungen einer und derselben be¬
dingenden Gruudmacht zu begreifen gelehrt zu haben, so darf man auch hier
auf etwas aus weitesten Gesichtspunkt Gesehenes und doch wieder im Detail
fein Empfundenes und Gegliedertes rechnen.

Gewiß tritt man so mit den besten Erwartungen an das Buch heran. Der
Titel, die ominöse Bavaria, wobei manchem manches einfällt, was zu den minder
erfreulichen Seiten des deutschen Lebens gehört, kann noch verdaut werden,
wenn man billig erwägt, daß es auf seine möglichst kurze und wuchtige Fassung
ankam. Die Glosse "Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern" ist
als solche untadelhaft, wäre aber unpassend als eigentlicher Rufname. Der
weitere Zusatz "bearbeitet von einem Kreise bayerischer Gelehrter" kann nur Ver¬
trauen erwecken, denn selbstverständlich müssen die Landeseingebornen oder Landes-
eingescssenen -- der Herausgeber zal'le ja auch nur zu der letzten Kategorie und
hat sich seine Andacht zum bayerischen Volksthum erst anerworben -- die ge¬
eignetsten Kräfte zu solcher Arbeit liefern, vorausgesetzt, daß sie überhaupt Kräfte,
wie man sie dazu braucht, zu liefern im Stande sind.

Der bekannte Separatlitel "herausgegeben auf Veranlassung und mit Unter¬
stützung Seiner Majestät des Königs von Bayern Maximilian des Zweiten"
kann als allgemein giltige Empfehlung dienen. Jedermann weiß, welche statt¬
liche Reihe der trefflichsten Arbeiten aus dem Bereiche der deutschen Geschichts-
kunde diese selbe bescheiden-stolze Aufschrift trägt. Einiges Mittelgut läuft frei-
lich auch zwischen durch, aber wenigstens zweierlei höchst wünschenswerthe


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Landesbeschreibungen älteren und neueren Ursprungs. Manche geben nur die
gewöhnlichen statistischen Data, manche bringen noch eine bescheidene Zugabe
geschichtlicher Notizen, einige der allerneusten haben sich die neuere Behandlung
der Geographie zu Nutze gemacht und sie zur Belebung ihres an sich trockenen
Stoffes verwandt. Ebenso wenig fehlt es an ethnographischen und sitten-
gcschichtlichen Schilderungen aus den verschiedensten Theilen Deutschlands. Meist
von etwas dilettantischem Anflug und fast ausnahmslos bestrebt so piquant als
möglich zu sein, bilden sie ja seit einer Reihe von Jabren ein Hauptstück unseres
journalistischen Repertoirs, aber sie wagen sich auch immer häufiger selbständig
und oft mit rechter Keckheit heraus. Die Bavaria will aber zugleich Landes¬
beschreibung und Volkskunde sein, und beides in der tiefsten oder geistvollsten
oder modernsten Fassung dieser Aufgaben. Ihr Herausgeber, unser Land- und
Leutekundiger par excLllouee, Nicht, bürgt schon durch seinen Namen, daß hier
die Sache nicht nach alter Art mit beschränkter Pedanterie und in den möglichst
eng gezogenen Fachgrenzen. sei es des Geographen, des Statistikers oder des
Historikers angegriffen wird. Wie er es sich selbst zum bleibenden Verdienst
anrechnen darf, das Auge der Gegenwart auf die Totalität aller Erschwungen
des Volkslebens geschickt hingelenkt und diese alle zusammen, groß und klein,
massig und geringfügig, als organische Gestaltungen einer und derselben be¬
dingenden Gruudmacht zu begreifen gelehrt zu haben, so darf man auch hier
auf etwas aus weitesten Gesichtspunkt Gesehenes und doch wieder im Detail
fein Empfundenes und Gegliedertes rechnen.

Gewiß tritt man so mit den besten Erwartungen an das Buch heran. Der
Titel, die ominöse Bavaria, wobei manchem manches einfällt, was zu den minder
erfreulichen Seiten des deutschen Lebens gehört, kann noch verdaut werden,
wenn man billig erwägt, daß es auf seine möglichst kurze und wuchtige Fassung
ankam. Die Glosse „Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern" ist
als solche untadelhaft, wäre aber unpassend als eigentlicher Rufname. Der
weitere Zusatz „bearbeitet von einem Kreise bayerischer Gelehrter" kann nur Ver¬
trauen erwecken, denn selbstverständlich müssen die Landeseingebornen oder Landes-
eingescssenen — der Herausgeber zal'le ja auch nur zu der letzten Kategorie und
hat sich seine Andacht zum bayerischen Volksthum erst anerworben — die ge¬
eignetsten Kräfte zu solcher Arbeit liefern, vorausgesetzt, daß sie überhaupt Kräfte,
wie man sie dazu braucht, zu liefern im Stande sind.

Der bekannte Separatlitel „herausgegeben auf Veranlassung und mit Unter¬
stützung Seiner Majestät des Königs von Bayern Maximilian des Zweiten"
kann als allgemein giltige Empfehlung dienen. Jedermann weiß, welche statt¬
liche Reihe der trefflichsten Arbeiten aus dem Bereiche der deutschen Geschichts-
kunde diese selbe bescheiden-stolze Aufschrift trägt. Einiges Mittelgut läuft frei-
lich auch zwischen durch, aber wenigstens zweierlei höchst wünschenswerthe


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[0141] Landesbeschreibungen älteren und neueren Ursprungs. Manche geben nur die gewöhnlichen statistischen Data, manche bringen noch eine bescheidene Zugabe geschichtlicher Notizen, einige der allerneusten haben sich die neuere Behandlung der Geographie zu Nutze gemacht und sie zur Belebung ihres an sich trockenen Stoffes verwandt. Ebenso wenig fehlt es an ethnographischen und sitten- gcschichtlichen Schilderungen aus den verschiedensten Theilen Deutschlands. Meist von etwas dilettantischem Anflug und fast ausnahmslos bestrebt so piquant als möglich zu sein, bilden sie ja seit einer Reihe von Jabren ein Hauptstück unseres journalistischen Repertoirs, aber sie wagen sich auch immer häufiger selbständig und oft mit rechter Keckheit heraus. Die Bavaria will aber zugleich Landes¬ beschreibung und Volkskunde sein, und beides in der tiefsten oder geistvollsten oder modernsten Fassung dieser Aufgaben. Ihr Herausgeber, unser Land- und Leutekundiger par excLllouee, Nicht, bürgt schon durch seinen Namen, daß hier die Sache nicht nach alter Art mit beschränkter Pedanterie und in den möglichst eng gezogenen Fachgrenzen. sei es des Geographen, des Statistikers oder des Historikers angegriffen wird. Wie er es sich selbst zum bleibenden Verdienst anrechnen darf, das Auge der Gegenwart auf die Totalität aller Erschwungen des Volkslebens geschickt hingelenkt und diese alle zusammen, groß und klein, massig und geringfügig, als organische Gestaltungen einer und derselben be¬ dingenden Gruudmacht zu begreifen gelehrt zu haben, so darf man auch hier auf etwas aus weitesten Gesichtspunkt Gesehenes und doch wieder im Detail fein Empfundenes und Gegliedertes rechnen. Gewiß tritt man so mit den besten Erwartungen an das Buch heran. Der Titel, die ominöse Bavaria, wobei manchem manches einfällt, was zu den minder erfreulichen Seiten des deutschen Lebens gehört, kann noch verdaut werden, wenn man billig erwägt, daß es auf seine möglichst kurze und wuchtige Fassung ankam. Die Glosse „Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern" ist als solche untadelhaft, wäre aber unpassend als eigentlicher Rufname. Der weitere Zusatz „bearbeitet von einem Kreise bayerischer Gelehrter" kann nur Ver¬ trauen erwecken, denn selbstverständlich müssen die Landeseingebornen oder Landes- eingescssenen — der Herausgeber zal'le ja auch nur zu der letzten Kategorie und hat sich seine Andacht zum bayerischen Volksthum erst anerworben — die ge¬ eignetsten Kräfte zu solcher Arbeit liefern, vorausgesetzt, daß sie überhaupt Kräfte, wie man sie dazu braucht, zu liefern im Stande sind. Der bekannte Separatlitel „herausgegeben auf Veranlassung und mit Unter¬ stützung Seiner Majestät des Königs von Bayern Maximilian des Zweiten" kann als allgemein giltige Empfehlung dienen. Jedermann weiß, welche statt¬ liche Reihe der trefflichsten Arbeiten aus dem Bereiche der deutschen Geschichts- kunde diese selbe bescheiden-stolze Aufschrift trägt. Einiges Mittelgut läuft frei- lich auch zwischen durch, aber wenigstens zweierlei höchst wünschenswerthe 17*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/141>, abgerufen am 22.12.2024.