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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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und daß durch das neue Zusammenstehen in großer Genossenschaft uns Privat¬
menschen. Bureaubeamten, Salonpolitikcrn nicht nur das Urtheil berichtigt, auch
der politische Charakter viel mächtiger beeinflußt wurde, als bei einem Volk mit
altem Verfassungsleben möglich ist. Wer den großen Abklärungsproceß des
Jahres 1848 unbefangen gewürdigt hat, der durste schon seit jenem Jahre
stolz behaupten, daß uns eine große politische Zukunft vorbehalten sei; denn in
einziger Weise überwand der Deutsche schon damals auf der Tribüne die unge¬
sunden Richtungen seines Schwächezustandcs, während dem fast alles aus den
Fugen gekommen war, und beinahe nur noch die Familie und die Moral des
Privatlebens unangezwcifelt feststanden. Nicht allein gewissenhaft und ehrlich
erwies sich die große Majorität der Abgeordneten in jenem Jahr, auch gescheidt
und keineswegs unpraktisch, und es war nicht ihre Schuld, daß der Widerstand
des alten Bestehenden übermächtig wurde.

Der schwersten Prüfung wurde das preußische Verfassungsleben unter¬
worfen, als das gegenwärtige Ministerium trotz dem Widerstand des preußischen
Volkes und seiner gewählten Vertreter durch Königswillen und Herrenhaus im
Amte gehalten ward. Jetzt in der Freude über große Erfolge Übersicht der
Preuße gern das Unrecht, welches ihm selbst in vergangnen Jahren zugefügt
worden, und es ist echt deutsch, wenn auch der Liberale hier und da mit schärferer
Kritik die Schwächen der eigenen Partei mustert, als das Unrecht der Gegner.
Und doch hat grade die Opposition dieser letzten Jahre bewiesen, wie vortrefflich
der Stoff unsres Volkes ist. Die damals in das Parlament kamen, waren in
der Mehrzahl Männer aus kleinen Kreisen des bürgerlichen Lebens, wie ihre
Wähler tief erbittert über das herrische Wesen und die Willkür der Regierung.
Und sie haben durch vier Jahre ihren Kampf geführt mit zäher Ausdauer und
strenger Gesetzlichkeit. Es war ihnen nicht immer vergönnt, den höchsten poli¬
tischen Gesichtspunkt bei Beurtheilung herber Gegensätze festzuhalten, aber ihre
Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit, und in den meisten Fragen die bessere Ein¬
sicht in die innern Bedürfnisse des Staates soll ihnen niemand abstreiten. Sie
wurden gereizt und gequält, durch kleine Mittel verfolgt, wie nur je eine Oppo¬
sition. Das unablässige Reiben und fruchtlose Protcstiren war gewiß nicht an¬
gethan, der Nation die Eindrücke eines großen Kampfes zu geben, auch von
liberaler Seite wurde behauptet, daß die Kammer arm an Talenten sei. Aber
nicht die Talente waren klein, sondern die Kampfweise, die ihnen aufgenöthigt
wurde. In Wahrheit haben auch diese Jahre nicht verhindert, daß neue Männer
wie Tochter, Michaelis. Forckcnbeck, nicht zuletzt Schulze-Delitzsch als Speciali¬
täten, durch die Energie und Lauterkeit ihrer Gesinnung zu parlamenta¬
rischen Größen wurden. Wir könnten neben ihnen noch eine Reihe anderer
nennen, deren geschäftliche Tüchtigkeit jeder nationalen Versammlung zur Zierde
gereichen muss, und die sich jetzt als Abgeordnete für die höchsten Aemter des


und daß durch das neue Zusammenstehen in großer Genossenschaft uns Privat¬
menschen. Bureaubeamten, Salonpolitikcrn nicht nur das Urtheil berichtigt, auch
der politische Charakter viel mächtiger beeinflußt wurde, als bei einem Volk mit
altem Verfassungsleben möglich ist. Wer den großen Abklärungsproceß des
Jahres 1848 unbefangen gewürdigt hat, der durste schon seit jenem Jahre
stolz behaupten, daß uns eine große politische Zukunft vorbehalten sei; denn in
einziger Weise überwand der Deutsche schon damals auf der Tribüne die unge¬
sunden Richtungen seines Schwächezustandcs, während dem fast alles aus den
Fugen gekommen war, und beinahe nur noch die Familie und die Moral des
Privatlebens unangezwcifelt feststanden. Nicht allein gewissenhaft und ehrlich
erwies sich die große Majorität der Abgeordneten in jenem Jahr, auch gescheidt
und keineswegs unpraktisch, und es war nicht ihre Schuld, daß der Widerstand
des alten Bestehenden übermächtig wurde.

Der schwersten Prüfung wurde das preußische Verfassungsleben unter¬
worfen, als das gegenwärtige Ministerium trotz dem Widerstand des preußischen
Volkes und seiner gewählten Vertreter durch Königswillen und Herrenhaus im
Amte gehalten ward. Jetzt in der Freude über große Erfolge Übersicht der
Preuße gern das Unrecht, welches ihm selbst in vergangnen Jahren zugefügt
worden, und es ist echt deutsch, wenn auch der Liberale hier und da mit schärferer
Kritik die Schwächen der eigenen Partei mustert, als das Unrecht der Gegner.
Und doch hat grade die Opposition dieser letzten Jahre bewiesen, wie vortrefflich
der Stoff unsres Volkes ist. Die damals in das Parlament kamen, waren in
der Mehrzahl Männer aus kleinen Kreisen des bürgerlichen Lebens, wie ihre
Wähler tief erbittert über das herrische Wesen und die Willkür der Regierung.
Und sie haben durch vier Jahre ihren Kampf geführt mit zäher Ausdauer und
strenger Gesetzlichkeit. Es war ihnen nicht immer vergönnt, den höchsten poli¬
tischen Gesichtspunkt bei Beurtheilung herber Gegensätze festzuhalten, aber ihre
Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit, und in den meisten Fragen die bessere Ein¬
sicht in die innern Bedürfnisse des Staates soll ihnen niemand abstreiten. Sie
wurden gereizt und gequält, durch kleine Mittel verfolgt, wie nur je eine Oppo¬
sition. Das unablässige Reiben und fruchtlose Protcstiren war gewiß nicht an¬
gethan, der Nation die Eindrücke eines großen Kampfes zu geben, auch von
liberaler Seite wurde behauptet, daß die Kammer arm an Talenten sei. Aber
nicht die Talente waren klein, sondern die Kampfweise, die ihnen aufgenöthigt
wurde. In Wahrheit haben auch diese Jahre nicht verhindert, daß neue Männer
wie Tochter, Michaelis. Forckcnbeck, nicht zuletzt Schulze-Delitzsch als Speciali¬
täten, durch die Energie und Lauterkeit ihrer Gesinnung zu parlamenta¬
rischen Größen wurden. Wir könnten neben ihnen noch eine Reihe anderer
nennen, deren geschäftliche Tüchtigkeit jeder nationalen Versammlung zur Zierde
gereichen muss, und die sich jetzt als Abgeordnete für die höchsten Aemter des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/12>, abgerufen am 03.07.2024.