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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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haft, daß er nickt nur die besten Lehrer, deren sich kein Senators- oder Nitters-
sohn schämen konnte, aufsuchte, sondern auch selbst an Stelle des sonst zu diesem
Zwecke dienenden Pädagvgus oder Gouverneurs den Lehrstunden beiwohnte. Es
gereicht also dem Orbilius zur Ehre, daß der ältere Horatius seinen Sohn ihm
anvertraute und der Dichter nennt unter allen seinen Lehrern grade nur den
Mann aus Benevent. Auch Domitius Marsus. ein bedeutender Epigrammen¬
dichter, genoß seinen Unterricht. Bon Horaz erfahren wir nebenbei, daß Orbilius
Pupillus nach allgemeiner Sitte seinem Unterrichte die lateinische Übersetzung
der Odyssee von dem merkwürdigen Poeten, Schauspieler und Schulmeister
Livius Andronikus zu Grunde legte. Die roh gezimmerten und harten satur¬
nischen Verse derselben wurden den Knaben vorgesprochen n"d dictut, auswendig
gelernt und in singendem Tone stehend wiederholt. Dabei sah der Lehrer nicht
blos auf die Rechtschreibung, auf Grammatik und Metrik, sondern knüpfte auch
an die Erklärung geschichtliche, mythologische, geographische Notizen. Ob Orbi¬
lius das philologische Gebiet überschritt und auch rhetorische Uebungen vornahm,
wissen wir nicht; wenn wir es aber auch annehmen, so waren letztere gewiß
nur propadeutischer Natur und beschränkten sich auf die ersten Versuche im Frei¬
sprechen und Stilisiren.

Trotz des rühmlichen Namens, den sich Orbilius bei den Zeitgenossen er¬
rang, hat ihn die Nachwelt zu einem abschreckenden Beispiel gestempelt, indem
sie sich unter einem Orbilius einen allezeit schlagfertigen, gefühllosen Schul¬
tyrannen dachte. Und allerdings hat Sueton einen Vers von Domitius Marsus
aufbewahrt, welcher lautet:


"Wen Orbilius einst mit Ruth' und Peitsche gezüchtigt",

und noch gravirender ist die Aeußerung von Horaz:


"Nicht als wär' ich ein Feind von des Livius Versen und wünschte
Alles vertilgt, was Orbilius einst unter Schlägen-- noch weiß ich's --
Vordeclnmirt dem Knaben."

Freilich trifft ein guter Theil des Vorwurfs den ganzen römischen Lehrer¬
stand, der sich wie der griechische von dem Gebrauch der Nuthe und sogar der
Peitsche viel zu versprechen pflegte. Prügelten schon die dem Sklavenstande
angehörenden Hofmeister die ihnen anvertrauten Knaben oft bei dem geringsten
Vergehen, so war es in der Schule gradezu Regel, dem Verständniß mit dein
Stocke nachzuhelfen. Quintilian sagt: "Wiewohl es gewöhnlich ist und von
Chrysippus nicht getadelt wird, daß die Lernenden geschlagen werden, so mag
ich doch nichts davon wissen." Seine Gründe drangen jedoch nicht überall
durch. Noch Martial nennt den Stengel des Gertcnkrauts " das Scepter der
Pädagogen" und schilt auf einen neben ihm wohnenden Lehrer, der vom
ersten Hahnenschrei an seine Prügeltrachten auszutheilen Pflegte. Ja, die ein-


haft, daß er nickt nur die besten Lehrer, deren sich kein Senators- oder Nitters-
sohn schämen konnte, aufsuchte, sondern auch selbst an Stelle des sonst zu diesem
Zwecke dienenden Pädagvgus oder Gouverneurs den Lehrstunden beiwohnte. Es
gereicht also dem Orbilius zur Ehre, daß der ältere Horatius seinen Sohn ihm
anvertraute und der Dichter nennt unter allen seinen Lehrern grade nur den
Mann aus Benevent. Auch Domitius Marsus. ein bedeutender Epigrammen¬
dichter, genoß seinen Unterricht. Bon Horaz erfahren wir nebenbei, daß Orbilius
Pupillus nach allgemeiner Sitte seinem Unterrichte die lateinische Übersetzung
der Odyssee von dem merkwürdigen Poeten, Schauspieler und Schulmeister
Livius Andronikus zu Grunde legte. Die roh gezimmerten und harten satur¬
nischen Verse derselben wurden den Knaben vorgesprochen n»d dictut, auswendig
gelernt und in singendem Tone stehend wiederholt. Dabei sah der Lehrer nicht
blos auf die Rechtschreibung, auf Grammatik und Metrik, sondern knüpfte auch
an die Erklärung geschichtliche, mythologische, geographische Notizen. Ob Orbi¬
lius das philologische Gebiet überschritt und auch rhetorische Uebungen vornahm,
wissen wir nicht; wenn wir es aber auch annehmen, so waren letztere gewiß
nur propadeutischer Natur und beschränkten sich auf die ersten Versuche im Frei¬
sprechen und Stilisiren.

Trotz des rühmlichen Namens, den sich Orbilius bei den Zeitgenossen er¬
rang, hat ihn die Nachwelt zu einem abschreckenden Beispiel gestempelt, indem
sie sich unter einem Orbilius einen allezeit schlagfertigen, gefühllosen Schul¬
tyrannen dachte. Und allerdings hat Sueton einen Vers von Domitius Marsus
aufbewahrt, welcher lautet:


„Wen Orbilius einst mit Ruth' und Peitsche gezüchtigt",

und noch gravirender ist die Aeußerung von Horaz:


„Nicht als wär' ich ein Feind von des Livius Versen und wünschte
Alles vertilgt, was Orbilius einst unter Schlägen— noch weiß ich's —
Vordeclnmirt dem Knaben."

Freilich trifft ein guter Theil des Vorwurfs den ganzen römischen Lehrer¬
stand, der sich wie der griechische von dem Gebrauch der Nuthe und sogar der
Peitsche viel zu versprechen pflegte. Prügelten schon die dem Sklavenstande
angehörenden Hofmeister die ihnen anvertrauten Knaben oft bei dem geringsten
Vergehen, so war es in der Schule gradezu Regel, dem Verständniß mit dein
Stocke nachzuhelfen. Quintilian sagt: „Wiewohl es gewöhnlich ist und von
Chrysippus nicht getadelt wird, daß die Lernenden geschlagen werden, so mag
ich doch nichts davon wissen." Seine Gründe drangen jedoch nicht überall
durch. Noch Martial nennt den Stengel des Gertcnkrauts „ das Scepter der
Pädagogen" und schilt auf einen neben ihm wohnenden Lehrer, der vom
ersten Hahnenschrei an seine Prügeltrachten auszutheilen Pflegte. Ja, die ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/110>, abgerufen am 22.12.2024.