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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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trägt einen Theil der Schuld, daß die Deutschen in den letzten Jahren nicht
politisch stärker und weiser geworden sind.

Unterdeß haben die Verhandlungen mit Sachsen aufs neue begonnen. Und
wieder beginnt ein auffallendes Durcheinander unsicherer und widersprechender
Gerüchte. Es ist Grund zu der Annahme, daß vor etwa vierzehn Tagen die
östreichischen und sächsischen Stimmen, welche eine für Sachsen ungewöhnlich
günstige Entscheidung prognosticirten, nichts Unwahrscheinliches meldeten, und
vielleicht wäre von ihnen bei größerer Discretion ein Erfolg erreicht, d. h. der
menschliche Antheil des Königs von Preußen bis zu einer Aeußerung gebracht
worden, deren Consequenz auch Graf Bismarck hätte übernehmen müssen. Die
Briefe aber aus der Umgebung des Königs von Sachsen und dem sächsischen
Heere mögen mit den erstaunten Fragen der Presse wohl eine unerwartete Wir¬
kung gehabt haben, die sächsischen ProPositionen wurden in letzter Instanz für
unannehmbar erklärt, und man mußte sächsischerseits auf die preußischen Aeuße¬
rungen neue Anerbietungen formuliren. Der Punkt, um welchen die Verhand¬
lungen fast ausschließlich schweben, ist die Militärfrage, in ihr liegen, wie man
annimmt, die Hauptschwierigkeiten der Verständigung. Wir vernehmen, daß
man preußischerseits die °von Sachsen angebotene militärische Verpflichtung des
Kronprinzen gegen den Bundesfeldherrn, welche die Integrität des von ihm
zu commandirenden sächsischen Heeres conserviren sollte, zurückgewiesen hat, und
daß man preußischerseits auf einer völligen Einfügung der sächsischen Soldaten
in das preußische Heeressystem besteht. Die neuen Offerten, welche die säch¬
sischen Bevollmächtigten nach Berlin getragen haben, sind unbekannt und werden
es wohl noch einige Zeit bleiben, da man jetzt mit größerer Discretion zu
Werke geht.

Wir werden also wohl noch fernerhin von Gerüchten leben müssen, und es
ist nicht zu verwundern, wenn diese sehr verschieden lauten. Denn ein absolutes
Stillschweigen ist bei einem Geschäft, an welchem Viele leidenschaftlich betheiligt
sind, doch nicht möglich. Die Verhandlungen selbst aber werden in Berlin
keineswegs an einer Stelle gepflogen. Während General v. Fabrice mit dem
Kriegsministerium verhandelt, haben Graf Hohenthal und Herr v. Friesen officiell
mit Herr v. Savigny zu thun und suchen außerdem ihre persönlichen Verbin¬
dungen zu Pflegen und den Antheil, welchen erlauchte Damen dieser Frage
gönnen. Es ist deshalb nicht zu verwundern, wenn auch in Berlin die An¬
sichten über das Wünschenswerthe und Erreichbare weit auseinandergehen, und
ebenso die Auffassung über den Stand der Verhandlungen täglich wechselt.
Hier dringt die Aeußerung einer liebenswürdigen Hofdame, dort die Meinung
eines konservativen Rathes im auswärtigen Amte oder wieder eines Beamten
aus dem Kriegsministerium in die Oeffentlichkeit. Selbst die officiösen Blätter
holen ihre Nachrichten aus solchen Quellen. Und wenn die Zeidlersche Corre-


trägt einen Theil der Schuld, daß die Deutschen in den letzten Jahren nicht
politisch stärker und weiser geworden sind.

Unterdeß haben die Verhandlungen mit Sachsen aufs neue begonnen. Und
wieder beginnt ein auffallendes Durcheinander unsicherer und widersprechender
Gerüchte. Es ist Grund zu der Annahme, daß vor etwa vierzehn Tagen die
östreichischen und sächsischen Stimmen, welche eine für Sachsen ungewöhnlich
günstige Entscheidung prognosticirten, nichts Unwahrscheinliches meldeten, und
vielleicht wäre von ihnen bei größerer Discretion ein Erfolg erreicht, d. h. der
menschliche Antheil des Königs von Preußen bis zu einer Aeußerung gebracht
worden, deren Consequenz auch Graf Bismarck hätte übernehmen müssen. Die
Briefe aber aus der Umgebung des Königs von Sachsen und dem sächsischen
Heere mögen mit den erstaunten Fragen der Presse wohl eine unerwartete Wir¬
kung gehabt haben, die sächsischen ProPositionen wurden in letzter Instanz für
unannehmbar erklärt, und man mußte sächsischerseits auf die preußischen Aeuße¬
rungen neue Anerbietungen formuliren. Der Punkt, um welchen die Verhand¬
lungen fast ausschließlich schweben, ist die Militärfrage, in ihr liegen, wie man
annimmt, die Hauptschwierigkeiten der Verständigung. Wir vernehmen, daß
man preußischerseits die °von Sachsen angebotene militärische Verpflichtung des
Kronprinzen gegen den Bundesfeldherrn, welche die Integrität des von ihm
zu commandirenden sächsischen Heeres conserviren sollte, zurückgewiesen hat, und
daß man preußischerseits auf einer völligen Einfügung der sächsischen Soldaten
in das preußische Heeressystem besteht. Die neuen Offerten, welche die säch¬
sischen Bevollmächtigten nach Berlin getragen haben, sind unbekannt und werden
es wohl noch einige Zeit bleiben, da man jetzt mit größerer Discretion zu
Werke geht.

Wir werden also wohl noch fernerhin von Gerüchten leben müssen, und es
ist nicht zu verwundern, wenn diese sehr verschieden lauten. Denn ein absolutes
Stillschweigen ist bei einem Geschäft, an welchem Viele leidenschaftlich betheiligt
sind, doch nicht möglich. Die Verhandlungen selbst aber werden in Berlin
keineswegs an einer Stelle gepflogen. Während General v. Fabrice mit dem
Kriegsministerium verhandelt, haben Graf Hohenthal und Herr v. Friesen officiell
mit Herr v. Savigny zu thun und suchen außerdem ihre persönlichen Verbin¬
dungen zu Pflegen und den Antheil, welchen erlauchte Damen dieser Frage
gönnen. Es ist deshalb nicht zu verwundern, wenn auch in Berlin die An¬
sichten über das Wünschenswerthe und Erreichbare weit auseinandergehen, und
ebenso die Auffassung über den Stand der Verhandlungen täglich wechselt.
Hier dringt die Aeußerung einer liebenswürdigen Hofdame, dort die Meinung
eines konservativen Rathes im auswärtigen Amte oder wieder eines Beamten
aus dem Kriegsministerium in die Oeffentlichkeit. Selbst die officiösen Blätter
holen ihre Nachrichten aus solchen Quellen. Und wenn die Zeidlersche Corre-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/96>, abgerufen am 02.07.2024.