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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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fügung in das lebendige Getriebe des allgemeinen deutschen Verkehrs, läßt sich
auch überall gleichsam g, priori das Verhältniß der Volksmundart bestimmen.
Wer ein Auge für solche scheinbar gleichgiltige Dinge hat, vermag schon an
dem Mobiliar, was sich in den Stuben der Leute aus dem eigentlichen Volke
findet, zu schließen, wie weit die gebildete Sprache durchgedrungen ist. Wo sich
ein Sopha, wenn auch in bescheidenster Gestalt, schon als nothwendiges Requisit
an der Stelle der altherkömmlichen Bank oder des Großvaterstuhls eingebürgert
hat, darf man darauf rechnen, daß die, die sich darauf von ihrer harten Arbeit
ausruhen, mit einiger Geläufigkeit in der Sprache derjenigen sich auszudrücken
wissen, die früher allein das Monopol eines solchen Luxusgegenstandes besaßen.
So wenig aber unsere romantischen Verfechter der alten Schlichtheit des täg¬
lichen Lebens das Sopha wieder wegdisputiren werden, wie sie ja selbst auch,
so viel wir sie kennen, am wenigsten geneigt wären auf diese Behaglichkeit zu
verzichten, so wenig werden auch jene ander" Romantiker das Hochdeutsche aus
dem Volksmunde wegschaffen, zumal da sie selbst nur Hochdeutsch denken und
sprechen gelernt haben. Keine menschliche Voraussicht kann aber bestimmen,
wie lange unsere Volksmundarten noch Widerstand leisten. Auf der einen
Seite scheint es, als wenn sie sehr rasch dem Untergang entgegeneilten. Wenn
ihr Zerstörungsproceß nur in derselben Progression wie seit fünfzig Jahren
fortgeht, so möchte nach weiteren fünfzig Jahren wenig mehr von ihnen übrig
sein. Da sich aber höchst wahrscheinlich die Wucht der Kräfte, die für die
Schriftsprache kämpfen, immer mehr verstärkt, so könnte man glauben, daß selbst
diese Frist, noch zu lange gesteckt wäre. Doch ist auf der andern Seite nicht
zu übersehen, daß sich die Widerstandskraft der zähen Beschlossenheit mancher
Theile des deutschen Volkes gar nicht berechnen läßt. . Die bäuerlichen Classen
sind bis jetzt trotz des Äsers der ländlichen Volksbildner auf der Kanzel und
in der Schule noch wenig von der Sprache der Bildung berührt, viel mehr
schon das ländliche Proletariat, die besitzlosen, nicht an die Heimath- gefesselten,
nicht an die engen Schranken eines einförmigen, in steter Regelrechtigkeit sich
abspinnenden Berufes, wie es der bäuerliche ist. gebundenen Leute. Das alte
Bauernthum verschwindet allerdings mehr und mehr und damit auch die Hei¬
math, des Dialektes, aber es giebt doch auch große Landstriche, in denen es-
geschützt durch allerlei natürliche oder unnatürliche Verhältnisse noch aus lange
hinaus eine Zukunft hat und mit ihm auch seine Sprache. Verbindet sich da¬
mit etwa auch noch ein confessivnelles Element, etwa der künstlich wieder an¬
gefachte katholische Fanatismus-, der leider viel tiefer in das Volk eingepfropft
worden ist. als unsere optimistischen Beurtheiler der deutschen Zustände Wort
haben wollen, so muß natürlich seine Widerstandskraft noch mehr wachsen
oder noch zäher, werden. Sie wird es zwar niemals auf sprachlichem Gebiete
zu einer so scheußlichen Reaction der dumpfen particularistischen Elemente bringen,


Grenzboten IV. 18KK. 9

fügung in das lebendige Getriebe des allgemeinen deutschen Verkehrs, läßt sich
auch überall gleichsam g, priori das Verhältniß der Volksmundart bestimmen.
Wer ein Auge für solche scheinbar gleichgiltige Dinge hat, vermag schon an
dem Mobiliar, was sich in den Stuben der Leute aus dem eigentlichen Volke
findet, zu schließen, wie weit die gebildete Sprache durchgedrungen ist. Wo sich
ein Sopha, wenn auch in bescheidenster Gestalt, schon als nothwendiges Requisit
an der Stelle der altherkömmlichen Bank oder des Großvaterstuhls eingebürgert
hat, darf man darauf rechnen, daß die, die sich darauf von ihrer harten Arbeit
ausruhen, mit einiger Geläufigkeit in der Sprache derjenigen sich auszudrücken
wissen, die früher allein das Monopol eines solchen Luxusgegenstandes besaßen.
So wenig aber unsere romantischen Verfechter der alten Schlichtheit des täg¬
lichen Lebens das Sopha wieder wegdisputiren werden, wie sie ja selbst auch,
so viel wir sie kennen, am wenigsten geneigt wären auf diese Behaglichkeit zu
verzichten, so wenig werden auch jene ander» Romantiker das Hochdeutsche aus
dem Volksmunde wegschaffen, zumal da sie selbst nur Hochdeutsch denken und
sprechen gelernt haben. Keine menschliche Voraussicht kann aber bestimmen,
wie lange unsere Volksmundarten noch Widerstand leisten. Auf der einen
Seite scheint es, als wenn sie sehr rasch dem Untergang entgegeneilten. Wenn
ihr Zerstörungsproceß nur in derselben Progression wie seit fünfzig Jahren
fortgeht, so möchte nach weiteren fünfzig Jahren wenig mehr von ihnen übrig
sein. Da sich aber höchst wahrscheinlich die Wucht der Kräfte, die für die
Schriftsprache kämpfen, immer mehr verstärkt, so könnte man glauben, daß selbst
diese Frist, noch zu lange gesteckt wäre. Doch ist auf der andern Seite nicht
zu übersehen, daß sich die Widerstandskraft der zähen Beschlossenheit mancher
Theile des deutschen Volkes gar nicht berechnen läßt. . Die bäuerlichen Classen
sind bis jetzt trotz des Äsers der ländlichen Volksbildner auf der Kanzel und
in der Schule noch wenig von der Sprache der Bildung berührt, viel mehr
schon das ländliche Proletariat, die besitzlosen, nicht an die Heimath- gefesselten,
nicht an die engen Schranken eines einförmigen, in steter Regelrechtigkeit sich
abspinnenden Berufes, wie es der bäuerliche ist. gebundenen Leute. Das alte
Bauernthum verschwindet allerdings mehr und mehr und damit auch die Hei¬
math, des Dialektes, aber es giebt doch auch große Landstriche, in denen es-
geschützt durch allerlei natürliche oder unnatürliche Verhältnisse noch aus lange
hinaus eine Zukunft hat und mit ihm auch seine Sprache. Verbindet sich da¬
mit etwa auch noch ein confessivnelles Element, etwa der künstlich wieder an¬
gefachte katholische Fanatismus-, der leider viel tiefer in das Volk eingepfropft
worden ist. als unsere optimistischen Beurtheiler der deutschen Zustände Wort
haben wollen, so muß natürlich seine Widerstandskraft noch mehr wachsen
oder noch zäher, werden. Sie wird es zwar niemals auf sprachlichem Gebiete
zu einer so scheußlichen Reaction der dumpfen particularistischen Elemente bringen,


Grenzboten IV. 18KK. 9
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/77>, abgerufen am 02.07.2024.