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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Sahe weiß er, daß seiner Aufstellung eine gründliche Untersuchung voranging,
bei jedem Urtheile empfängt er die Gewißheit, daß es sich auf die sorgfältigste
Erwägung stützt. Das Wort flüchtig kennt das Lexikon des Autors nicht, der
Begriff "unbedeutend" in dem Sinne, als ob dabei minder gewissenhaft verfahren
werden könne, ist ihm fremd. Man sieht es jeder Zeile an, daß der Verfasser
das ganze Material sowohl der Masse wie dem kritischen Verständnisse nach
beherrscht, und daß, wenn er eine Sache für abgeschlossen'erklärt, diese es in
der That auch ist. Von einem so ehrlichen und festen Führer läßt man sich
gern geleiten, die unbedingte Hingabe des ganzen Mannes an sein Werkimponirt
und fesselt zugleich.

Im kleinen Nahmen wiederholen die biographischen und musikalischen Auf¬
sätze, mit welchen Jahr in diesem Jahre seine zahlreichen Freunde erfreut hat,
die Vorzüge seines großen Mozartbuches. Wir beobachten auch hier wieder
den sorgsamen Fleiß, der auch das Kleinste nicht vergißt, die strenge Methode
in der Sichtung des Stoffes, den gründlichen, sicheren Aufbau der einzelnen
wohlgeprüften Werkstücke zum geschlossenen Ganzen und neben diesen philolo¬
gischen Kerneigenschaften die gediegene künstlerische Anschauung, die ernste Be¬
geisterung und feine Empfindung für die idealen Schöpfungen der Phantasie.

Die beiden uns vorliegenden Bände kleiner Schriften umfassen einen
mannigfachen Inhalt. Winckelmaim und Goethe in Leipzig schreiten an uns
vorüber, wir lernen des Autors Fachgenossen Gottfried Hermann und Ludwig
Roß. seinen Landsmann, den kieler Musikdirector Apel und seinen leipziger
Freund Danzcl kennen, wir werden in die Werkstätte Ludwig Richters einge¬
führt, wohnen den Musikaufführungen in Leipzig und Düsseldorf bei, werden
über Mendelssohns Oratorien auf die liebenswürdigste, über Berlioz und Richard
Wagners musikalisches Treiben auf die ergötzlichste Weise unterrichtet und zum
Schluß (in dem Aufsatze: Beethoven und die Ausgabe seiner Werke) mit einer
Fülle treffender Apercus über Beethovens Werke beschenkt. Ueber die musikalischen
Aufsätze Jahns hat die Kritik kein Wort übrig. Er ist im Fache der musika¬
lischen Wissenschaft eine so allgemein anerkannte Autorität, daß man ihm im¬
mer nur als Lernender und Empfangender gegenübersteht. Läßt sich demnach
eine Prüfung seiner Abhandlungen auf ihre Nichtigkeit hin kaum vornehmen,
so gewinnt man dagegen durch ihre erneuerte Lectüre die Einsicht, wie Jahr
allmälig zu einer unerschütterlichen Autorität in der musikalischen Kritik empor¬
stieg. Ueberaus lehrreich sind in dieser Hinsicht die Aufsätze über Wagners
Tannhäuser und Lohengrin. Als Jahr dieselben (1863 und 1854) schrieb,
stand er in starkem Widerspruche mit dem in den Tagesblättern gepredigten
Evangelium. Daß ihn die wagnersche Clique mit Schmähungen überhäuft,
,se selbstverständlich. Aber auch dem Parteitreiben fern Stehende fanden doch Zahns
Kritik allzu rigoros, sein Urtheil durch übertriebene Verehrung drr alten Clas-


Sahe weiß er, daß seiner Aufstellung eine gründliche Untersuchung voranging,
bei jedem Urtheile empfängt er die Gewißheit, daß es sich auf die sorgfältigste
Erwägung stützt. Das Wort flüchtig kennt das Lexikon des Autors nicht, der
Begriff „unbedeutend" in dem Sinne, als ob dabei minder gewissenhaft verfahren
werden könne, ist ihm fremd. Man sieht es jeder Zeile an, daß der Verfasser
das ganze Material sowohl der Masse wie dem kritischen Verständnisse nach
beherrscht, und daß, wenn er eine Sache für abgeschlossen'erklärt, diese es in
der That auch ist. Von einem so ehrlichen und festen Führer läßt man sich
gern geleiten, die unbedingte Hingabe des ganzen Mannes an sein Werkimponirt
und fesselt zugleich.

Im kleinen Nahmen wiederholen die biographischen und musikalischen Auf¬
sätze, mit welchen Jahr in diesem Jahre seine zahlreichen Freunde erfreut hat,
die Vorzüge seines großen Mozartbuches. Wir beobachten auch hier wieder
den sorgsamen Fleiß, der auch das Kleinste nicht vergißt, die strenge Methode
in der Sichtung des Stoffes, den gründlichen, sicheren Aufbau der einzelnen
wohlgeprüften Werkstücke zum geschlossenen Ganzen und neben diesen philolo¬
gischen Kerneigenschaften die gediegene künstlerische Anschauung, die ernste Be¬
geisterung und feine Empfindung für die idealen Schöpfungen der Phantasie.

Die beiden uns vorliegenden Bände kleiner Schriften umfassen einen
mannigfachen Inhalt. Winckelmaim und Goethe in Leipzig schreiten an uns
vorüber, wir lernen des Autors Fachgenossen Gottfried Hermann und Ludwig
Roß. seinen Landsmann, den kieler Musikdirector Apel und seinen leipziger
Freund Danzcl kennen, wir werden in die Werkstätte Ludwig Richters einge¬
führt, wohnen den Musikaufführungen in Leipzig und Düsseldorf bei, werden
über Mendelssohns Oratorien auf die liebenswürdigste, über Berlioz und Richard
Wagners musikalisches Treiben auf die ergötzlichste Weise unterrichtet und zum
Schluß (in dem Aufsatze: Beethoven und die Ausgabe seiner Werke) mit einer
Fülle treffender Apercus über Beethovens Werke beschenkt. Ueber die musikalischen
Aufsätze Jahns hat die Kritik kein Wort übrig. Er ist im Fache der musika¬
lischen Wissenschaft eine so allgemein anerkannte Autorität, daß man ihm im¬
mer nur als Lernender und Empfangender gegenübersteht. Läßt sich demnach
eine Prüfung seiner Abhandlungen auf ihre Nichtigkeit hin kaum vornehmen,
so gewinnt man dagegen durch ihre erneuerte Lectüre die Einsicht, wie Jahr
allmälig zu einer unerschütterlichen Autorität in der musikalischen Kritik empor¬
stieg. Ueberaus lehrreich sind in dieser Hinsicht die Aufsätze über Wagners
Tannhäuser und Lohengrin. Als Jahr dieselben (1863 und 1854) schrieb,
stand er in starkem Widerspruche mit dem in den Tagesblättern gepredigten
Evangelium. Daß ihn die wagnersche Clique mit Schmähungen überhäuft,
,se selbstverständlich. Aber auch dem Parteitreiben fern Stehende fanden doch Zahns
Kritik allzu rigoros, sein Urtheil durch übertriebene Verehrung drr alten Clas-


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[0544] Sahe weiß er, daß seiner Aufstellung eine gründliche Untersuchung voranging, bei jedem Urtheile empfängt er die Gewißheit, daß es sich auf die sorgfältigste Erwägung stützt. Das Wort flüchtig kennt das Lexikon des Autors nicht, der Begriff „unbedeutend" in dem Sinne, als ob dabei minder gewissenhaft verfahren werden könne, ist ihm fremd. Man sieht es jeder Zeile an, daß der Verfasser das ganze Material sowohl der Masse wie dem kritischen Verständnisse nach beherrscht, und daß, wenn er eine Sache für abgeschlossen'erklärt, diese es in der That auch ist. Von einem so ehrlichen und festen Führer läßt man sich gern geleiten, die unbedingte Hingabe des ganzen Mannes an sein Werkimponirt und fesselt zugleich. Im kleinen Nahmen wiederholen die biographischen und musikalischen Auf¬ sätze, mit welchen Jahr in diesem Jahre seine zahlreichen Freunde erfreut hat, die Vorzüge seines großen Mozartbuches. Wir beobachten auch hier wieder den sorgsamen Fleiß, der auch das Kleinste nicht vergißt, die strenge Methode in der Sichtung des Stoffes, den gründlichen, sicheren Aufbau der einzelnen wohlgeprüften Werkstücke zum geschlossenen Ganzen und neben diesen philolo¬ gischen Kerneigenschaften die gediegene künstlerische Anschauung, die ernste Be¬ geisterung und feine Empfindung für die idealen Schöpfungen der Phantasie. Die beiden uns vorliegenden Bände kleiner Schriften umfassen einen mannigfachen Inhalt. Winckelmaim und Goethe in Leipzig schreiten an uns vorüber, wir lernen des Autors Fachgenossen Gottfried Hermann und Ludwig Roß. seinen Landsmann, den kieler Musikdirector Apel und seinen leipziger Freund Danzcl kennen, wir werden in die Werkstätte Ludwig Richters einge¬ führt, wohnen den Musikaufführungen in Leipzig und Düsseldorf bei, werden über Mendelssohns Oratorien auf die liebenswürdigste, über Berlioz und Richard Wagners musikalisches Treiben auf die ergötzlichste Weise unterrichtet und zum Schluß (in dem Aufsatze: Beethoven und die Ausgabe seiner Werke) mit einer Fülle treffender Apercus über Beethovens Werke beschenkt. Ueber die musikalischen Aufsätze Jahns hat die Kritik kein Wort übrig. Er ist im Fache der musika¬ lischen Wissenschaft eine so allgemein anerkannte Autorität, daß man ihm im¬ mer nur als Lernender und Empfangender gegenübersteht. Läßt sich demnach eine Prüfung seiner Abhandlungen auf ihre Nichtigkeit hin kaum vornehmen, so gewinnt man dagegen durch ihre erneuerte Lectüre die Einsicht, wie Jahr allmälig zu einer unerschütterlichen Autorität in der musikalischen Kritik empor¬ stieg. Ueberaus lehrreich sind in dieser Hinsicht die Aufsätze über Wagners Tannhäuser und Lohengrin. Als Jahr dieselben (1863 und 1854) schrieb, stand er in starkem Widerspruche mit dem in den Tagesblättern gepredigten Evangelium. Daß ihn die wagnersche Clique mit Schmähungen überhäuft, ,se selbstverständlich. Aber auch dem Parteitreiben fern Stehende fanden doch Zahns Kritik allzu rigoros, sein Urtheil durch übertriebene Verehrung drr alten Clas-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/544>, abgerufen am 02.07.2024.