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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Der Preußische Staatsschatz.
Von einem annectirten Neupreußen.

Die große Frage des preußischen Staatsschatzes ist von dem Abgeordneten-
Hause in Berlin verhandelt. Die Abstimmung hat mit einem Siege der Re¬
gierung geendet. Die bewegte Verhandlung war nicht ohne dramatische Momente,
der wirksamste, das unerwartete Erscheinen des Ministerpräsidenten. Ein großer
Theil unsrer Freunde von der Fortschrittspartei hat bei dieser Frage eine pa¬
triotische Selbstverläugnung bewiesen, welche sehr erfreulich war. Die Frage
ist aber mit der letzten Abstimmung nicht für immer beantwortet, und es ist
von Interesse, sie auch in der Presse zu debattiren.

Ich gehöre einem der von Preußen neuerdings annectirten Territorien an.
Man kann mir daher sagen, es sei Anmaßung, wenn ein zwar nicht an Jahren,
aber doch an preußischem Staatsbürgerthum noch blutjunger Mann -- ein
Neupreuße neuesten Datums -- aburtheilen wolle über einen altpreußischen
Gegenstand von solcher Complication und solcher Tragweite, daß nur jemand,
der Jahrzehnte lang in und mit Preußen, in und mit der preußischen Verfas¬
sung gelebt habe, ihn beurtheilen könne. Ich will nicht behaupten, daß ein
solcher Vorwurf grundlos ist; wir Annectirten haben ja allerdings für das
nächste Jahr officisll noch nicht mitzusprechen, sondern leben unter der könig¬
lichen Dictatur. wogegen wir auch gar nichts zu erinnern haben, vorausgesetzt,
daß der eiserne Besen des Königs kräftig benutzt wird, um den Augiasstall der
Kleinstaaterei zu reinigen von jenen schätzbaren Eigenthümlichkeiten des Patri-
monial- und Domanialstaates, welche, wenn man sie beibehält, die neu erwor¬
benen Provinzen für die preußische Monarchie nicht blos werthlos, -- nein,
zu einer mit Neben- und Contreregierungen behafteten Last machen würden.


Grenzboten IV. 18VK. 6
Der Preußische Staatsschatz.
Von einem annectirten Neupreußen.

Die große Frage des preußischen Staatsschatzes ist von dem Abgeordneten-
Hause in Berlin verhandelt. Die Abstimmung hat mit einem Siege der Re¬
gierung geendet. Die bewegte Verhandlung war nicht ohne dramatische Momente,
der wirksamste, das unerwartete Erscheinen des Ministerpräsidenten. Ein großer
Theil unsrer Freunde von der Fortschrittspartei hat bei dieser Frage eine pa¬
triotische Selbstverläugnung bewiesen, welche sehr erfreulich war. Die Frage
ist aber mit der letzten Abstimmung nicht für immer beantwortet, und es ist
von Interesse, sie auch in der Presse zu debattiren.

Ich gehöre einem der von Preußen neuerdings annectirten Territorien an.
Man kann mir daher sagen, es sei Anmaßung, wenn ein zwar nicht an Jahren,
aber doch an preußischem Staatsbürgerthum noch blutjunger Mann — ein
Neupreuße neuesten Datums — aburtheilen wolle über einen altpreußischen
Gegenstand von solcher Complication und solcher Tragweite, daß nur jemand,
der Jahrzehnte lang in und mit Preußen, in und mit der preußischen Verfas¬
sung gelebt habe, ihn beurtheilen könne. Ich will nicht behaupten, daß ein
solcher Vorwurf grundlos ist; wir Annectirten haben ja allerdings für das
nächste Jahr officisll noch nicht mitzusprechen, sondern leben unter der könig¬
lichen Dictatur. wogegen wir auch gar nichts zu erinnern haben, vorausgesetzt,
daß der eiserne Besen des Königs kräftig benutzt wird, um den Augiasstall der
Kleinstaaterei zu reinigen von jenen schätzbaren Eigenthümlichkeiten des Patri-
monial- und Domanialstaates, welche, wenn man sie beibehält, die neu erwor¬
benen Provinzen für die preußische Monarchie nicht blos werthlos, — nein,
zu einer mit Neben- und Contreregierungen behafteten Last machen würden.


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[0053] Der Preußische Staatsschatz. Von einem annectirten Neupreußen. Die große Frage des preußischen Staatsschatzes ist von dem Abgeordneten- Hause in Berlin verhandelt. Die Abstimmung hat mit einem Siege der Re¬ gierung geendet. Die bewegte Verhandlung war nicht ohne dramatische Momente, der wirksamste, das unerwartete Erscheinen des Ministerpräsidenten. Ein großer Theil unsrer Freunde von der Fortschrittspartei hat bei dieser Frage eine pa¬ triotische Selbstverläugnung bewiesen, welche sehr erfreulich war. Die Frage ist aber mit der letzten Abstimmung nicht für immer beantwortet, und es ist von Interesse, sie auch in der Presse zu debattiren. Ich gehöre einem der von Preußen neuerdings annectirten Territorien an. Man kann mir daher sagen, es sei Anmaßung, wenn ein zwar nicht an Jahren, aber doch an preußischem Staatsbürgerthum noch blutjunger Mann — ein Neupreuße neuesten Datums — aburtheilen wolle über einen altpreußischen Gegenstand von solcher Complication und solcher Tragweite, daß nur jemand, der Jahrzehnte lang in und mit Preußen, in und mit der preußischen Verfas¬ sung gelebt habe, ihn beurtheilen könne. Ich will nicht behaupten, daß ein solcher Vorwurf grundlos ist; wir Annectirten haben ja allerdings für das nächste Jahr officisll noch nicht mitzusprechen, sondern leben unter der könig¬ lichen Dictatur. wogegen wir auch gar nichts zu erinnern haben, vorausgesetzt, daß der eiserne Besen des Königs kräftig benutzt wird, um den Augiasstall der Kleinstaaterei zu reinigen von jenen schätzbaren Eigenthümlichkeiten des Patri- monial- und Domanialstaates, welche, wenn man sie beibehält, die neu erwor¬ benen Provinzen für die preußische Monarchie nicht blos werthlos, — nein, zu einer mit Neben- und Contreregierungen behafteten Last machen würden. Grenzboten IV. 18VK. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/53>, abgerufen am 02.07.2024.