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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Die französische Unterjochung seit dem Jahre 1807 hatte nicht nur in jedem
Preußen den Willen wachgerufen, mit Daransetzung des eigenen Guts und
Bluts die Befreiung des Vaterlands zu erstreiten, sondern auch die allgemeine
Stimme, die verschiedenen Vereine und alle hervorragenden Männer hatten die
Erhebung des ganzen Volks als einziges Mittel erkannt, den übermächtigen
Gegner zu vertreiben. Wer zuerst diesen Gedanken gehabt hat. ist vielfach be¬
stritten worden, grade darum, weil der Gedanke ein allgemeiner war und überall
zum Vorschein kam. Als die Jahre 1813 und 14 die Richtigkeit desselben be-
wiesen und als das Jahr 1815 zeigte, daß Preußen zur Behauptung seiner
Machtstellung auch ferner der Bewaffnung des ganzen Volks bedürfe, da erst
wurde die allgemeine Wehrpflicht ein lebensfähiges Staatsgesetz und bürgerte
sich ein in der Zeit normaler Lebenszustände, welche dem Kriege folgten.

Je höher aber die Cultur stieg und je mehr der Werth des intelligenten
und gebildeten Mannes, ja selbst der einfachen Arbeitskraft im täglichen Leben
wog, je mehr wurde auch die Last dieser Pflicht empfunden. Die Dienstzeit
wurde von drei auf zwei Jahre vermindert, die Zahl der einjährigen Frei¬
willigen mehrte sich von Jahr zu Jahr, die Zahl der mehr wie die andern in
Anspruch genommenen Landwehrosfiziere dagegen minderte sich, und die summa¬
rische Dienstpflicht nahm ab, weil die Bevölkerung stieg, die Stärke des Heeres
aber dieselbe blieb. -- Da traten die Ereignisse des Jahres 1848 ein. Europa
sah wieder größere Kriege, die staatlichen Machtverhältnisse kamen zu neuer
Geltung. Wollte Preußen seine Stellung behaupten, so mußte es seine mili¬
tärischen Organisationen neu beleben. Der jetzige König brachte deshalb das
alte Gesetz wieder zur vollen Geltung. Die Folge war ein großer Conflict
zwischen König und Land, in welchem, wie bekannt, zeitweise sogar innerhalb
der Negierung der Rath laut wurde, die Stellvertretung einzuführen. Daß dies
nicht durchdrang, lag einerseits darin, daß in der Armee der Werth der allge¬
meinen Dienstpflicht für ihre Tüchtigkeit nicht unterschätzt wurde, und daß an¬
drerseits bei der demokratischen Richtung unsrer Zeit das Volk selbst dem
widerstrebte. Die allgemeine Dienstpflicht liegt wieder voll auf dem Lande und
wird auch wieder voll empfunden; der Kampf um Erleichterung dieser Last ist
noch nicht beendet.

In dem Lande also, in welchem diese Pflicht seit fünfzig Jahren, mithin
in der ganzen lebenden Generation besteht, wo sie sich mit allen Verhältnissen
verbunden hat und mit der ganzen Existenz verwachsen ist, wird unaus¬
gesetzt mit ihr gerungen; darf man daher erwarten, daß ihre Einführung in
andern Ländern, wo nur die Nützlichkeit, nicht unmittelbare Nöthigung vorliegt,
ohne innere Kämpfe erfolgen kann? Man muß es bezweifeln. Der ganze be¬
sitzende und deshalb doch mehr oder minder herrschende Theil des Volkes wird
sich gegen das Soldatwerden, was in seinen Augen weit furchtbarer ist als in


Die französische Unterjochung seit dem Jahre 1807 hatte nicht nur in jedem
Preußen den Willen wachgerufen, mit Daransetzung des eigenen Guts und
Bluts die Befreiung des Vaterlands zu erstreiten, sondern auch die allgemeine
Stimme, die verschiedenen Vereine und alle hervorragenden Männer hatten die
Erhebung des ganzen Volks als einziges Mittel erkannt, den übermächtigen
Gegner zu vertreiben. Wer zuerst diesen Gedanken gehabt hat. ist vielfach be¬
stritten worden, grade darum, weil der Gedanke ein allgemeiner war und überall
zum Vorschein kam. Als die Jahre 1813 und 14 die Richtigkeit desselben be-
wiesen und als das Jahr 1815 zeigte, daß Preußen zur Behauptung seiner
Machtstellung auch ferner der Bewaffnung des ganzen Volks bedürfe, da erst
wurde die allgemeine Wehrpflicht ein lebensfähiges Staatsgesetz und bürgerte
sich ein in der Zeit normaler Lebenszustände, welche dem Kriege folgten.

Je höher aber die Cultur stieg und je mehr der Werth des intelligenten
und gebildeten Mannes, ja selbst der einfachen Arbeitskraft im täglichen Leben
wog, je mehr wurde auch die Last dieser Pflicht empfunden. Die Dienstzeit
wurde von drei auf zwei Jahre vermindert, die Zahl der einjährigen Frei¬
willigen mehrte sich von Jahr zu Jahr, die Zahl der mehr wie die andern in
Anspruch genommenen Landwehrosfiziere dagegen minderte sich, und die summa¬
rische Dienstpflicht nahm ab, weil die Bevölkerung stieg, die Stärke des Heeres
aber dieselbe blieb. — Da traten die Ereignisse des Jahres 1848 ein. Europa
sah wieder größere Kriege, die staatlichen Machtverhältnisse kamen zu neuer
Geltung. Wollte Preußen seine Stellung behaupten, so mußte es seine mili¬
tärischen Organisationen neu beleben. Der jetzige König brachte deshalb das
alte Gesetz wieder zur vollen Geltung. Die Folge war ein großer Conflict
zwischen König und Land, in welchem, wie bekannt, zeitweise sogar innerhalb
der Negierung der Rath laut wurde, die Stellvertretung einzuführen. Daß dies
nicht durchdrang, lag einerseits darin, daß in der Armee der Werth der allge¬
meinen Dienstpflicht für ihre Tüchtigkeit nicht unterschätzt wurde, und daß an¬
drerseits bei der demokratischen Richtung unsrer Zeit das Volk selbst dem
widerstrebte. Die allgemeine Dienstpflicht liegt wieder voll auf dem Lande und
wird auch wieder voll empfunden; der Kampf um Erleichterung dieser Last ist
noch nicht beendet.

In dem Lande also, in welchem diese Pflicht seit fünfzig Jahren, mithin
in der ganzen lebenden Generation besteht, wo sie sich mit allen Verhältnissen
verbunden hat und mit der ganzen Existenz verwachsen ist, wird unaus¬
gesetzt mit ihr gerungen; darf man daher erwarten, daß ihre Einführung in
andern Ländern, wo nur die Nützlichkeit, nicht unmittelbare Nöthigung vorliegt,
ohne innere Kämpfe erfolgen kann? Man muß es bezweifeln. Der ganze be¬
sitzende und deshalb doch mehr oder minder herrschende Theil des Volkes wird
sich gegen das Soldatwerden, was in seinen Augen weit furchtbarer ist als in


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[0482] Die französische Unterjochung seit dem Jahre 1807 hatte nicht nur in jedem Preußen den Willen wachgerufen, mit Daransetzung des eigenen Guts und Bluts die Befreiung des Vaterlands zu erstreiten, sondern auch die allgemeine Stimme, die verschiedenen Vereine und alle hervorragenden Männer hatten die Erhebung des ganzen Volks als einziges Mittel erkannt, den übermächtigen Gegner zu vertreiben. Wer zuerst diesen Gedanken gehabt hat. ist vielfach be¬ stritten worden, grade darum, weil der Gedanke ein allgemeiner war und überall zum Vorschein kam. Als die Jahre 1813 und 14 die Richtigkeit desselben be- wiesen und als das Jahr 1815 zeigte, daß Preußen zur Behauptung seiner Machtstellung auch ferner der Bewaffnung des ganzen Volks bedürfe, da erst wurde die allgemeine Wehrpflicht ein lebensfähiges Staatsgesetz und bürgerte sich ein in der Zeit normaler Lebenszustände, welche dem Kriege folgten. Je höher aber die Cultur stieg und je mehr der Werth des intelligenten und gebildeten Mannes, ja selbst der einfachen Arbeitskraft im täglichen Leben wog, je mehr wurde auch die Last dieser Pflicht empfunden. Die Dienstzeit wurde von drei auf zwei Jahre vermindert, die Zahl der einjährigen Frei¬ willigen mehrte sich von Jahr zu Jahr, die Zahl der mehr wie die andern in Anspruch genommenen Landwehrosfiziere dagegen minderte sich, und die summa¬ rische Dienstpflicht nahm ab, weil die Bevölkerung stieg, die Stärke des Heeres aber dieselbe blieb. — Da traten die Ereignisse des Jahres 1848 ein. Europa sah wieder größere Kriege, die staatlichen Machtverhältnisse kamen zu neuer Geltung. Wollte Preußen seine Stellung behaupten, so mußte es seine mili¬ tärischen Organisationen neu beleben. Der jetzige König brachte deshalb das alte Gesetz wieder zur vollen Geltung. Die Folge war ein großer Conflict zwischen König und Land, in welchem, wie bekannt, zeitweise sogar innerhalb der Negierung der Rath laut wurde, die Stellvertretung einzuführen. Daß dies nicht durchdrang, lag einerseits darin, daß in der Armee der Werth der allge¬ meinen Dienstpflicht für ihre Tüchtigkeit nicht unterschätzt wurde, und daß an¬ drerseits bei der demokratischen Richtung unsrer Zeit das Volk selbst dem widerstrebte. Die allgemeine Dienstpflicht liegt wieder voll auf dem Lande und wird auch wieder voll empfunden; der Kampf um Erleichterung dieser Last ist noch nicht beendet. In dem Lande also, in welchem diese Pflicht seit fünfzig Jahren, mithin in der ganzen lebenden Generation besteht, wo sie sich mit allen Verhältnissen verbunden hat und mit der ganzen Existenz verwachsen ist, wird unaus¬ gesetzt mit ihr gerungen; darf man daher erwarten, daß ihre Einführung in andern Ländern, wo nur die Nützlichkeit, nicht unmittelbare Nöthigung vorliegt, ohne innere Kämpfe erfolgen kann? Man muß es bezweifeln. Der ganze be¬ sitzende und deshalb doch mehr oder minder herrschende Theil des Volkes wird sich gegen das Soldatwerden, was in seinen Augen weit furchtbarer ist als in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/482>, abgerufen am 24.06.2024.