Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.sehr viele neue Männer in den Reichstag senden, und die gegenwärtige Stellung Wie sich aber auch der Reichstag im Einzelnen zusammensetze, an ihm sehr viele neue Männer in den Reichstag senden, und die gegenwärtige Stellung Wie sich aber auch der Reichstag im Einzelnen zusammensetze, an ihm <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286625"/> <p xml:id="ID_1417" prev="#ID_1416"> sehr viele neue Männer in den Reichstag senden, und die gegenwärtige Stellung<lb/> der Parteien wird durch das Parlament wesentlich geändert werden. In dem<lb/> östlichen Theile Preuße.us wird die Mehrzahl der Wahlen von den Landleuten<lb/> und deshalb nach den Ereignissen dieses Jahres von Landräthen und Guts¬<lb/> herren abhängen, und wohl ein Drittheil des Parlaments wird ans sehr con-<lb/> servativen Preußen bestehen; in Posen und am Rhein wird die katholische<lb/> Geistlichkeit allgemeine Wahlen stark beeinflussen, in den annecttrten Provinzen<lb/> wird wohl die größere Hälfte der Gewählten aus Separatisten bestehen, in den<lb/> übrigen Bundesstaaten, Sachsen eingeschlossen, im Ganzen genommen ebenfalls<lb/> die Hälfte aus Particularisten. Eine Minorität der Preußen und die kleinere<lb/> Hälfte der NichtPreußen werden die liberal- und nationalgesinnte Partei bilden.<lb/> Es ist also möglich, daß wir unter 300 Abgeordneten drei ziemlich gleich starke<lb/> Parteien erhalten, wenn wir voraussetzen, daß Ultramontane, Großdeutsche und<lb/> die übrigen Separatisten in wichtigen Fragen zusammengehen. Dies Verhältniß<lb/> erscheint ungünstiger, als es in Wirklichkeit ist. Wenn unsere näheren Freunde<lb/> auch nur ein Drittheil der Abgeordneten darstellen sollten, sie werden als ein<lb/> Keil zwischen den preußischen Conservativen und den Gegnern eingeschoben, in<lb/> allen großen Fragen den Ausschlag geben und dem Interesse der preußischen<lb/> Regierung eine Zweidrittelmajorität sichern. In dieser liberalen Partei selbst<lb/> aber wird sich eine Neubildung der Fraktionen vollziehen; die Führer der alten<lb/> preußischen Opposition werden mit Bennigsen, Braun, Fries, Oetker, Wiggers<lb/> und vielen andern guten Namen gesellt, die frische Unbefangenheit und die<lb/> Wärme der preußisch Gesinnten, welche außerhalb der alten Fehden mit der<lb/> Preußischen Negierung gestandest haben, in sich ausnehmen. Bei solcher Zu¬<lb/> sammensetzung darf man auch hoffen, daß der Reichstag eine Schule für<lb/> die preußischen Conservativen sein wird; sie müssen manche ihrer Junker-<lb/> velleitäten dort zurücklassen. Endlich die Zahl der geheimen Gegner des<lb/> Preußischen Bundesstaates wird kein schwerwiegendes Leiden sein, denn diese<lb/> Unberechenbaren haben kein anderes Band als ihr Mißbehagen an der neuen<lb/> Zeit, und die Bundesgenossenschaft von Socialdemokraten, Großdeutschen,<lb/> Ultramontanen, eifrigen Saxonen, mecklenburgischen Junkern und Polen ist<lb/> nicht dauerhaft.</p><lb/> <p xml:id="ID_1418" next="#ID_1419"> Wie sich aber auch der Reichstag im Einzelnen zusammensetze, an ihm<lb/> wird es nicht liegen, wenn der Plan des norddeutschen Staates vereitelt werden<lb/> sollte. Daß die Deutschen nicht mit hochgespannter Begeisterung zu der neuen<lb/> Versammlung sich rüsten, ist kein Schaden, sie werden doch wacker und in gutem<lb/> Vertrauen ihre Pflicht thun. Manchen werthen Mann werden wir in der<lb/> großen Versammlung missen und manchen unbehilflichen Thoren zu ertragen<lb/> haben, aber darüber kann man sicher sein, sie wird dem Auslande zeigen, daß<lb/> wir in den letzten achtzehn Jahren gelernt haben, und daß unser Land sehr</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0477]
sehr viele neue Männer in den Reichstag senden, und die gegenwärtige Stellung
der Parteien wird durch das Parlament wesentlich geändert werden. In dem
östlichen Theile Preuße.us wird die Mehrzahl der Wahlen von den Landleuten
und deshalb nach den Ereignissen dieses Jahres von Landräthen und Guts¬
herren abhängen, und wohl ein Drittheil des Parlaments wird ans sehr con-
servativen Preußen bestehen; in Posen und am Rhein wird die katholische
Geistlichkeit allgemeine Wahlen stark beeinflussen, in den annecttrten Provinzen
wird wohl die größere Hälfte der Gewählten aus Separatisten bestehen, in den
übrigen Bundesstaaten, Sachsen eingeschlossen, im Ganzen genommen ebenfalls
die Hälfte aus Particularisten. Eine Minorität der Preußen und die kleinere
Hälfte der NichtPreußen werden die liberal- und nationalgesinnte Partei bilden.
Es ist also möglich, daß wir unter 300 Abgeordneten drei ziemlich gleich starke
Parteien erhalten, wenn wir voraussetzen, daß Ultramontane, Großdeutsche und
die übrigen Separatisten in wichtigen Fragen zusammengehen. Dies Verhältniß
erscheint ungünstiger, als es in Wirklichkeit ist. Wenn unsere näheren Freunde
auch nur ein Drittheil der Abgeordneten darstellen sollten, sie werden als ein
Keil zwischen den preußischen Conservativen und den Gegnern eingeschoben, in
allen großen Fragen den Ausschlag geben und dem Interesse der preußischen
Regierung eine Zweidrittelmajorität sichern. In dieser liberalen Partei selbst
aber wird sich eine Neubildung der Fraktionen vollziehen; die Führer der alten
preußischen Opposition werden mit Bennigsen, Braun, Fries, Oetker, Wiggers
und vielen andern guten Namen gesellt, die frische Unbefangenheit und die
Wärme der preußisch Gesinnten, welche außerhalb der alten Fehden mit der
Preußischen Negierung gestandest haben, in sich ausnehmen. Bei solcher Zu¬
sammensetzung darf man auch hoffen, daß der Reichstag eine Schule für
die preußischen Conservativen sein wird; sie müssen manche ihrer Junker-
velleitäten dort zurücklassen. Endlich die Zahl der geheimen Gegner des
Preußischen Bundesstaates wird kein schwerwiegendes Leiden sein, denn diese
Unberechenbaren haben kein anderes Band als ihr Mißbehagen an der neuen
Zeit, und die Bundesgenossenschaft von Socialdemokraten, Großdeutschen,
Ultramontanen, eifrigen Saxonen, mecklenburgischen Junkern und Polen ist
nicht dauerhaft.
Wie sich aber auch der Reichstag im Einzelnen zusammensetze, an ihm
wird es nicht liegen, wenn der Plan des norddeutschen Staates vereitelt werden
sollte. Daß die Deutschen nicht mit hochgespannter Begeisterung zu der neuen
Versammlung sich rüsten, ist kein Schaden, sie werden doch wacker und in gutem
Vertrauen ihre Pflicht thun. Manchen werthen Mann werden wir in der
großen Versammlung missen und manchen unbehilflichen Thoren zu ertragen
haben, aber darüber kann man sicher sein, sie wird dem Auslande zeigen, daß
wir in den letzten achtzehn Jahren gelernt haben, und daß unser Land sehr
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