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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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sammentreten, welcher drei Viertheile der deutschen Nation in einem großen
Hause vereinigt, und noch ist alles unsicher, was Grundlage für sein Wirken
werden soll: Umfang seiner Competenz, Stellung der Centralgewalt, mit
der er verhandeln soll und die Einordnung der einzelnen Bundesregierungen
in den neuen Organismus. -- Wird die preußische Negierung mit dem Parlament
gewählter Volksvertreter ohne jede Assistenz der Bundesregierungen verhandeln?
Oder werden diese Regierungen ihre Gesandten in eine Art Staatenhaus oder
Bundesversammlung dazu senden? und wenn dies geschieht, wie ist es möglich,
in solcher Dclegirtenvcrsammlung der Regierungen, die ohnehin an Jnstructionen
gebunden wäre, einen Abstimmungsmodus zu finden, der in irgendeiner Art
dem Machtvcrhciltniß zwischen Preußen und den kleinen Staaten entspräche?
Nach gemeinem Urtheil ist seit der Vergrößerung Preußens bei dem beherrschenden
Uebergewicht dieses Staates ein Delegirtenhaus der Regierungen überhaupt eine
irrationale Größe. Und doch, wenn dies ganz wegbleibt, wie wird man mit
dem Widerstand der Bundesregierungen, welche sich bei solcher Weglassung für
mediatisirt halten werden, in den kurzen Wochen bis zum Februar fertig werden?
Für diese unabweisbaren Fragen werden wir ungeduldig die Antwort abwarten,
welche man in Berlin finden, vielleicht im Drange der Stunde mit kurzem
Entschluß improvistren wird. Das Jahr hat uns größere Überraschungen
gebracht als diese Antwort, und wir müssen wie gute Kinder zur Weihnachts¬
zeit hoffen und das Vertrauen auf unser Christkind mit Sack und Ruthe zu
erhalten suchen.

Vielleicht ist möglich, daß es dem Ministerpräsidenten gelingen wird, sich für
diesen ersten Reichstag eine Vollmacht von den Bundesregierungen durch¬
zusetzen, etwa mit der Modification, daß die Beschlüsse des Reichstags einem
zusammentretender Gesandtencollegium zur formellen Bestätigung vorgelegt
werden. Dagegen halten wir für wichtig, daß die Staatsminister der einzelnen
Bundesregierungen dem Vernehmen nach selbst eine Wahl in das Parlament-
erstreben. Diese Taktik könnte uns allerdings die Minister der beiden Mecklen¬
burgs, und sogar Herrn v. Dalwigk in die Reihen der Gegner führen, sie
würde aber aus Thüringen, Oldenburg, Braunschweig eine Anzahl angesehener
und geschäftskundiger Männer dem Reichstag verbinden.

Wer sonst die Bänke des Parlaments besetzen wird, auch das ist noch eine
Frage, auf welche nach achtzehn Jahren zahlloser Landtage und Parlaments¬
reden keine befriedigende Antwort zu finden ist. Das allgemeine Wahlrecht,
welches der Entwurf vom 10. Juni keck in das deutsche Volk geschleudert hat,
macht in vielen Landschaften die Berechnung unsicher. Auch in dieser Hinsicht
sind uns Überraschungen und unerwartete Neubildungen vorbehalten, bei denen
ihr Urheber Veranlassung haben wird, seinem Glück nicht weniger zu vertrauen
als seinem Talent. Nur zweierlei läßt sich voraussagen: Die Wähler werden


sammentreten, welcher drei Viertheile der deutschen Nation in einem großen
Hause vereinigt, und noch ist alles unsicher, was Grundlage für sein Wirken
werden soll: Umfang seiner Competenz, Stellung der Centralgewalt, mit
der er verhandeln soll und die Einordnung der einzelnen Bundesregierungen
in den neuen Organismus. — Wird die preußische Negierung mit dem Parlament
gewählter Volksvertreter ohne jede Assistenz der Bundesregierungen verhandeln?
Oder werden diese Regierungen ihre Gesandten in eine Art Staatenhaus oder
Bundesversammlung dazu senden? und wenn dies geschieht, wie ist es möglich,
in solcher Dclegirtenvcrsammlung der Regierungen, die ohnehin an Jnstructionen
gebunden wäre, einen Abstimmungsmodus zu finden, der in irgendeiner Art
dem Machtvcrhciltniß zwischen Preußen und den kleinen Staaten entspräche?
Nach gemeinem Urtheil ist seit der Vergrößerung Preußens bei dem beherrschenden
Uebergewicht dieses Staates ein Delegirtenhaus der Regierungen überhaupt eine
irrationale Größe. Und doch, wenn dies ganz wegbleibt, wie wird man mit
dem Widerstand der Bundesregierungen, welche sich bei solcher Weglassung für
mediatisirt halten werden, in den kurzen Wochen bis zum Februar fertig werden?
Für diese unabweisbaren Fragen werden wir ungeduldig die Antwort abwarten,
welche man in Berlin finden, vielleicht im Drange der Stunde mit kurzem
Entschluß improvistren wird. Das Jahr hat uns größere Überraschungen
gebracht als diese Antwort, und wir müssen wie gute Kinder zur Weihnachts¬
zeit hoffen und das Vertrauen auf unser Christkind mit Sack und Ruthe zu
erhalten suchen.

Vielleicht ist möglich, daß es dem Ministerpräsidenten gelingen wird, sich für
diesen ersten Reichstag eine Vollmacht von den Bundesregierungen durch¬
zusetzen, etwa mit der Modification, daß die Beschlüsse des Reichstags einem
zusammentretender Gesandtencollegium zur formellen Bestätigung vorgelegt
werden. Dagegen halten wir für wichtig, daß die Staatsminister der einzelnen
Bundesregierungen dem Vernehmen nach selbst eine Wahl in das Parlament-
erstreben. Diese Taktik könnte uns allerdings die Minister der beiden Mecklen¬
burgs, und sogar Herrn v. Dalwigk in die Reihen der Gegner führen, sie
würde aber aus Thüringen, Oldenburg, Braunschweig eine Anzahl angesehener
und geschäftskundiger Männer dem Reichstag verbinden.

Wer sonst die Bänke des Parlaments besetzen wird, auch das ist noch eine
Frage, auf welche nach achtzehn Jahren zahlloser Landtage und Parlaments¬
reden keine befriedigende Antwort zu finden ist. Das allgemeine Wahlrecht,
welches der Entwurf vom 10. Juni keck in das deutsche Volk geschleudert hat,
macht in vielen Landschaften die Berechnung unsicher. Auch in dieser Hinsicht
sind uns Überraschungen und unerwartete Neubildungen vorbehalten, bei denen
ihr Urheber Veranlassung haben wird, seinem Glück nicht weniger zu vertrauen
als seinem Talent. Nur zweierlei läßt sich voraussagen: Die Wähler werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/476>, abgerufen am 04.07.2024.