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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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hauptungen, größtenteils natürlich im besten Glauben vorgebracht, wiederholen
sich bei jedem derartigen Betrug ebenso sicher, wie vor dem Criminalgericht die
Versicherung der Angeschuldigten und ihrer Freunde, daß sie unschuldig sind und
sein müßten. Sehr bestimmt wird behauptet, daß die Fälschungen mindestens nicht
aus dem Jahre 1866 herrühren; Herr Schäffer erwähnt ältere Grabungen aus den
Jahren 1800--1820 und scheint den geäußerten Verdacht mit diesen in Verbindung
zu bringen. Letztere Annahme ist leider unzulässig, da die Fälschungen erst statt¬
gefunden haben nach dem Jahre 1853, in welchem das ncninger Mosaik zum
Vorschein kam, das sie commentiren; ja sogar erst nach dem Jahre 1839, in
welchem ein anderes Mosaik mit dem Namen eines Prätorianertribuns Victo-
rinus in Trier aufgedeckt ward; denn die dritte der falschen Inschriften ist ein
Bastard von dem igeler Denkmal und diesem Mosaik und der Fälscher bleibt auch
hier seiner guten Gewohnheit treu, daß alles bei ihm nicht weit her ist. Die
Fälschungen sind also zwischen 1839 und 1866 gemacht. Im Uebrigen entzieht
sich diese chronologische Frage meiner Competenz,' ebenso wie die ganze archi¬
tektonische und baupolizeiliche Feststellung des Thatbestandes. Ob diese über-
Haupt ein Ergebniß liefern wird, steht dahin; sollten aber auch alle Architekten
der Welt erklären, daß der Stuck und was darauf gemalt ist, antik seien, so
wird dies für jeden Epigraphiker vom Fach nur beweisen, daß der Fälscher mit
Pinsel und Meißel besser umzugehen wußte als mit dem Orelli. Ueberhaupt
ist damit, daß der Dieb nicht entdeckt wird, der Thatbestand des Diebstahls noch
nicht widerlegt.

Es giebt indeß noch einen anderen sowohl kürzeren als auch sichreren Weg,
den Fälscher zu ermitteln, als die Abhörung derjenigen Arbeitsleute, die die
fragliche Wand bloßgelegt haben. Unter den Absurditäten, von denen die In¬
schriften wimmeln, nimmt das unsinnige Abkürzungssystem eine der ersten
Stellen ein, insbesondere die Abkürzung der Geschlechts- und Beinamen --
Kaiser Trajan mit N. II. bezeichnet ist für uns Epigraphiker grade so komisch,
wie wenn Ihre Stadt Leipzig "Seiner Majestät dem König I." eine Bildsäule
setzen würde. Diese Abkürzungen sind der Art, daß sie bei der zweiten Inschrift
jeder rationellen Auflösung spotten, und daß wir deren Sinn nur durch die
dankenswerthe Fürsorge des Fälschers erfahren, die Auflösung ebenfalls mit zu
den Acten gelangen zu lassen, oder vielmehr das Concept, aus dem der Fälscher
willkürlich seinen Stucktext zusammengeschrieben hat. Meine öffentlich an Herrn
Schäffer gerichtete Frage, von wem diese "treffende" Erklärung herrühre, ist
ohne Antwort geblieben; nur ergiebt sich aus dem ganzen Inhalt der Erwiede¬
rung, daß Herr Schäffer als völliger Laie auf diesem Gebiete die Autorschaft
von sich ablehnt. Herr Professor Leonardi, der sonst diese Inschriften vertritt
und auf den Herr Schäffer wegen des weiteren verweist, schweigt über diesen
Punkt ebenfalls oder cippellirt vielmehr an die Möglichkeit glücklicher Divination.


hauptungen, größtenteils natürlich im besten Glauben vorgebracht, wiederholen
sich bei jedem derartigen Betrug ebenso sicher, wie vor dem Criminalgericht die
Versicherung der Angeschuldigten und ihrer Freunde, daß sie unschuldig sind und
sein müßten. Sehr bestimmt wird behauptet, daß die Fälschungen mindestens nicht
aus dem Jahre 1866 herrühren; Herr Schäffer erwähnt ältere Grabungen aus den
Jahren 1800—1820 und scheint den geäußerten Verdacht mit diesen in Verbindung
zu bringen. Letztere Annahme ist leider unzulässig, da die Fälschungen erst statt¬
gefunden haben nach dem Jahre 1853, in welchem das ncninger Mosaik zum
Vorschein kam, das sie commentiren; ja sogar erst nach dem Jahre 1839, in
welchem ein anderes Mosaik mit dem Namen eines Prätorianertribuns Victo-
rinus in Trier aufgedeckt ward; denn die dritte der falschen Inschriften ist ein
Bastard von dem igeler Denkmal und diesem Mosaik und der Fälscher bleibt auch
hier seiner guten Gewohnheit treu, daß alles bei ihm nicht weit her ist. Die
Fälschungen sind also zwischen 1839 und 1866 gemacht. Im Uebrigen entzieht
sich diese chronologische Frage meiner Competenz,' ebenso wie die ganze archi¬
tektonische und baupolizeiliche Feststellung des Thatbestandes. Ob diese über-
Haupt ein Ergebniß liefern wird, steht dahin; sollten aber auch alle Architekten
der Welt erklären, daß der Stuck und was darauf gemalt ist, antik seien, so
wird dies für jeden Epigraphiker vom Fach nur beweisen, daß der Fälscher mit
Pinsel und Meißel besser umzugehen wußte als mit dem Orelli. Ueberhaupt
ist damit, daß der Dieb nicht entdeckt wird, der Thatbestand des Diebstahls noch
nicht widerlegt.

Es giebt indeß noch einen anderen sowohl kürzeren als auch sichreren Weg,
den Fälscher zu ermitteln, als die Abhörung derjenigen Arbeitsleute, die die
fragliche Wand bloßgelegt haben. Unter den Absurditäten, von denen die In¬
schriften wimmeln, nimmt das unsinnige Abkürzungssystem eine der ersten
Stellen ein, insbesondere die Abkürzung der Geschlechts- und Beinamen —
Kaiser Trajan mit N. II. bezeichnet ist für uns Epigraphiker grade so komisch,
wie wenn Ihre Stadt Leipzig „Seiner Majestät dem König I." eine Bildsäule
setzen würde. Diese Abkürzungen sind der Art, daß sie bei der zweiten Inschrift
jeder rationellen Auflösung spotten, und daß wir deren Sinn nur durch die
dankenswerthe Fürsorge des Fälschers erfahren, die Auflösung ebenfalls mit zu
den Acten gelangen zu lassen, oder vielmehr das Concept, aus dem der Fälscher
willkürlich seinen Stucktext zusammengeschrieben hat. Meine öffentlich an Herrn
Schäffer gerichtete Frage, von wem diese „treffende" Erklärung herrühre, ist
ohne Antwort geblieben; nur ergiebt sich aus dem ganzen Inhalt der Erwiede¬
rung, daß Herr Schäffer als völliger Laie auf diesem Gebiete die Autorschaft
von sich ablehnt. Herr Professor Leonardi, der sonst diese Inschriften vertritt
und auf den Herr Schäffer wegen des weiteren verweist, schweigt über diesen
Punkt ebenfalls oder cippellirt vielmehr an die Möglichkeit glücklicher Divination.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/444>, abgerufen am 04.07.2024.