Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wozu der Poet bewegt in Prosa hinzusetzt, daß er kein gleich rührendes Erzeugniß
des menschlichen Geistes kenne wie dies Epitaphium der Julia Alpinula aus
Avenches. Vielleicht wissen Sie aber nicht, daß Sie diesen denkwürdigen Stein
in meiner Sammlung der schweizer Inschriften als Ur. Is der falschen nachlesen
können und daß der Verfertiger desselben Paul van Merle hieß und dasselbe Hand¬
werk im sechzehnten Jahrhundert trieb, von dessen heutigen Vertretern -- denen
übrigens Merles Latein zu wünschen wäre -- ich Ihnen noch zu sprechen
haben werde. -- Und noch ein anderes, wenn auch nicht ganz gleichartiges Seiten¬
stück. Haben Sie je einmal das schöne kärntner Land durchzogen, so sind Sie
gewiß auch vor dem alten ehrwürdigen Herzogsstuhl auf dem Zollfelde bei
Klagenfurt stillgestanden, wo einst, als es noch Herzöge von Kärnten gab, dit
nicht in der Hofburg residirten, diese auf freiem Felde erst den Backenstreich
und sodann die Huldigung von dem Bauer entgegennahmen. Unserem Jahr¬
hundert war es vorbehalten zu entdecken, daß an diesem Hcrzogssiuhl eine In¬
schrift steht, die den doppelten Vorzug hat sowohl gottselig als slavisch zu sein;
sie lautet "ins, Snell vsri" und, sagt Bädeker und sagte vor ihm Herr Davon"
Terstenjock in Laibach und andere große und kleine Propheten dieses jüngsten
Culturvolkes, es beißt dies in irgendeinem (oder auch keinem) slavischen Dialekt
"er hat den heiligen Glauben"; was gewiß sehr passend als Etikette auf der
Stuhllehne der neuen Hoheit vermerkt wurde. Leider ist diese slavische Kaaba-
inschrift nicht einmal falsch, wie die gefeierten Palladien des czechischen Sla¬
vismus, sondern die, auf gut slowakisch dem rechtmäßigen Eigenthümer ent¬
fremdete, sehr unbedeutende, aber ganz ehrliche und einfältige lateinische Grabschrift
des Virunensers Uasuetius Verus; welcher Inschrift selbst die kürzlich vorge¬
nommene, von dem Alterthumsverein zu Klagenfurt nach Verdienst öffentlich
gebrandmarkte, slavische Uebermeißelung den schönen Schriftcharalter der guten
Kaiserzeit nicht hat rauben, obwohl allerdings den Stein mit dem hinter um
mangelnden Punkte nachträglich versehen können. -- Dies, lieber Freund, sind
einige der kleinen Genüsse, die unsere einsamen Pfade erheitern. Was man
wohl von guten Geschichten zu sagen Pflegt, sie seien zu schön, um wahr zu
sein, das ist leider bei den Inschriften buchstäblich richtig; wenn Ihnen eine
besonders gefällt, dann seien Sie vorsichtig: die echte Inschrift ist langweilig
und macht kein Glück.

Aber ich wollte Ihnen ja getreu berichten über die Inschriften von Nennig,
die allerdings, wenigstens in ihrer nächsten Heimath, Glück gemacht haben und die
denn freilich auch falsch sind. Die öffentlichen Blätter haben in der letzten Zeit
oft genug davon gesprochen, so daß Ihren Lesern damit gedient sein mag. den
Thatbestand im Zusammenhang zu erfahren. Die schönen Zeiten, wo der denk,
sche Gelehrte an seine Brust schlug und dem heiligen Mercurius dafür dankte,
daß in seiner Heimath nicht, wie von den spanischen und neapolitanischen Lotter-


wozu der Poet bewegt in Prosa hinzusetzt, daß er kein gleich rührendes Erzeugniß
des menschlichen Geistes kenne wie dies Epitaphium der Julia Alpinula aus
Avenches. Vielleicht wissen Sie aber nicht, daß Sie diesen denkwürdigen Stein
in meiner Sammlung der schweizer Inschriften als Ur. Is der falschen nachlesen
können und daß der Verfertiger desselben Paul van Merle hieß und dasselbe Hand¬
werk im sechzehnten Jahrhundert trieb, von dessen heutigen Vertretern — denen
übrigens Merles Latein zu wünschen wäre — ich Ihnen noch zu sprechen
haben werde. — Und noch ein anderes, wenn auch nicht ganz gleichartiges Seiten¬
stück. Haben Sie je einmal das schöne kärntner Land durchzogen, so sind Sie
gewiß auch vor dem alten ehrwürdigen Herzogsstuhl auf dem Zollfelde bei
Klagenfurt stillgestanden, wo einst, als es noch Herzöge von Kärnten gab, dit
nicht in der Hofburg residirten, diese auf freiem Felde erst den Backenstreich
und sodann die Huldigung von dem Bauer entgegennahmen. Unserem Jahr¬
hundert war es vorbehalten zu entdecken, daß an diesem Hcrzogssiuhl eine In¬
schrift steht, die den doppelten Vorzug hat sowohl gottselig als slavisch zu sein;
sie lautet „ins, Snell vsri" und, sagt Bädeker und sagte vor ihm Herr Davon»
Terstenjock in Laibach und andere große und kleine Propheten dieses jüngsten
Culturvolkes, es beißt dies in irgendeinem (oder auch keinem) slavischen Dialekt
„er hat den heiligen Glauben"; was gewiß sehr passend als Etikette auf der
Stuhllehne der neuen Hoheit vermerkt wurde. Leider ist diese slavische Kaaba-
inschrift nicht einmal falsch, wie die gefeierten Palladien des czechischen Sla¬
vismus, sondern die, auf gut slowakisch dem rechtmäßigen Eigenthümer ent¬
fremdete, sehr unbedeutende, aber ganz ehrliche und einfältige lateinische Grabschrift
des Virunensers Uasuetius Verus; welcher Inschrift selbst die kürzlich vorge¬
nommene, von dem Alterthumsverein zu Klagenfurt nach Verdienst öffentlich
gebrandmarkte, slavische Uebermeißelung den schönen Schriftcharalter der guten
Kaiserzeit nicht hat rauben, obwohl allerdings den Stein mit dem hinter um
mangelnden Punkte nachträglich versehen können. — Dies, lieber Freund, sind
einige der kleinen Genüsse, die unsere einsamen Pfade erheitern. Was man
wohl von guten Geschichten zu sagen Pflegt, sie seien zu schön, um wahr zu
sein, das ist leider bei den Inschriften buchstäblich richtig; wenn Ihnen eine
besonders gefällt, dann seien Sie vorsichtig: die echte Inschrift ist langweilig
und macht kein Glück.

Aber ich wollte Ihnen ja getreu berichten über die Inschriften von Nennig,
die allerdings, wenigstens in ihrer nächsten Heimath, Glück gemacht haben und die
denn freilich auch falsch sind. Die öffentlichen Blätter haben in der letzten Zeit
oft genug davon gesprochen, so daß Ihren Lesern damit gedient sein mag. den
Thatbestand im Zusammenhang zu erfahren. Die schönen Zeiten, wo der denk,
sche Gelehrte an seine Brust schlug und dem heiligen Mercurius dafür dankte,
daß in seiner Heimath nicht, wie von den spanischen und neapolitanischen Lotter-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286586"/>
          <p xml:id="ID_1296" prev="#ID_1295"> wozu der Poet bewegt in Prosa hinzusetzt, daß er kein gleich rührendes Erzeugniß<lb/>
des menschlichen Geistes kenne wie dies Epitaphium der Julia Alpinula aus<lb/>
Avenches. Vielleicht wissen Sie aber nicht, daß Sie diesen denkwürdigen Stein<lb/>
in meiner Sammlung der schweizer Inschriften als Ur. Is der falschen nachlesen<lb/>
können und daß der Verfertiger desselben Paul van Merle hieß und dasselbe Hand¬<lb/>
werk im sechzehnten Jahrhundert trieb, von dessen heutigen Vertretern &#x2014; denen<lb/>
übrigens Merles Latein zu wünschen wäre &#x2014; ich Ihnen noch zu sprechen<lb/>
haben werde. &#x2014; Und noch ein anderes, wenn auch nicht ganz gleichartiges Seiten¬<lb/>
stück. Haben Sie je einmal das schöne kärntner Land durchzogen, so sind Sie<lb/>
gewiß auch vor dem alten ehrwürdigen Herzogsstuhl auf dem Zollfelde bei<lb/>
Klagenfurt stillgestanden, wo einst, als es noch Herzöge von Kärnten gab, dit<lb/>
nicht in der Hofburg residirten, diese auf freiem Felde erst den Backenstreich<lb/>
und sodann die Huldigung von dem Bauer entgegennahmen. Unserem Jahr¬<lb/>
hundert war es vorbehalten zu entdecken, daß an diesem Hcrzogssiuhl eine In¬<lb/>
schrift steht, die den doppelten Vorzug hat sowohl gottselig als slavisch zu sein;<lb/>
sie lautet &#x201E;ins, Snell vsri" und, sagt Bädeker und sagte vor ihm Herr Davon»<lb/>
Terstenjock in Laibach und andere große und kleine Propheten dieses jüngsten<lb/>
Culturvolkes, es beißt dies in irgendeinem (oder auch keinem) slavischen Dialekt<lb/>
&#x201E;er hat den heiligen Glauben"; was gewiß sehr passend als Etikette auf der<lb/>
Stuhllehne der neuen Hoheit vermerkt wurde. Leider ist diese slavische Kaaba-<lb/>
inschrift nicht einmal falsch, wie die gefeierten Palladien des czechischen Sla¬<lb/>
vismus, sondern die, auf gut slowakisch dem rechtmäßigen Eigenthümer ent¬<lb/>
fremdete, sehr unbedeutende, aber ganz ehrliche und einfältige lateinische Grabschrift<lb/>
des Virunensers Uasuetius Verus; welcher Inschrift selbst die kürzlich vorge¬<lb/>
nommene, von dem Alterthumsverein zu Klagenfurt nach Verdienst öffentlich<lb/>
gebrandmarkte, slavische Uebermeißelung den schönen Schriftcharalter der guten<lb/>
Kaiserzeit nicht hat rauben, obwohl allerdings den Stein mit dem hinter um<lb/>
mangelnden Punkte nachträglich versehen können. &#x2014; Dies, lieber Freund, sind<lb/>
einige der kleinen Genüsse, die unsere einsamen Pfade erheitern. Was man<lb/>
wohl von guten Geschichten zu sagen Pflegt, sie seien zu schön, um wahr zu<lb/>
sein, das ist leider bei den Inschriften buchstäblich richtig; wenn Ihnen eine<lb/>
besonders gefällt, dann seien Sie vorsichtig: die echte Inschrift ist langweilig<lb/>
und macht kein Glück.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1297" next="#ID_1298"> Aber ich wollte Ihnen ja getreu berichten über die Inschriften von Nennig,<lb/>
die allerdings, wenigstens in ihrer nächsten Heimath, Glück gemacht haben und die<lb/>
denn freilich auch falsch sind. Die öffentlichen Blätter haben in der letzten Zeit<lb/>
oft genug davon gesprochen, so daß Ihren Lesern damit gedient sein mag. den<lb/>
Thatbestand im Zusammenhang zu erfahren. Die schönen Zeiten, wo der denk,<lb/>
sche Gelehrte an seine Brust schlug und dem heiligen Mercurius dafür dankte,<lb/>
daß in seiner Heimath nicht, wie von den spanischen und neapolitanischen Lotter-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0438] wozu der Poet bewegt in Prosa hinzusetzt, daß er kein gleich rührendes Erzeugniß des menschlichen Geistes kenne wie dies Epitaphium der Julia Alpinula aus Avenches. Vielleicht wissen Sie aber nicht, daß Sie diesen denkwürdigen Stein in meiner Sammlung der schweizer Inschriften als Ur. Is der falschen nachlesen können und daß der Verfertiger desselben Paul van Merle hieß und dasselbe Hand¬ werk im sechzehnten Jahrhundert trieb, von dessen heutigen Vertretern — denen übrigens Merles Latein zu wünschen wäre — ich Ihnen noch zu sprechen haben werde. — Und noch ein anderes, wenn auch nicht ganz gleichartiges Seiten¬ stück. Haben Sie je einmal das schöne kärntner Land durchzogen, so sind Sie gewiß auch vor dem alten ehrwürdigen Herzogsstuhl auf dem Zollfelde bei Klagenfurt stillgestanden, wo einst, als es noch Herzöge von Kärnten gab, dit nicht in der Hofburg residirten, diese auf freiem Felde erst den Backenstreich und sodann die Huldigung von dem Bauer entgegennahmen. Unserem Jahr¬ hundert war es vorbehalten zu entdecken, daß an diesem Hcrzogssiuhl eine In¬ schrift steht, die den doppelten Vorzug hat sowohl gottselig als slavisch zu sein; sie lautet „ins, Snell vsri" und, sagt Bädeker und sagte vor ihm Herr Davon» Terstenjock in Laibach und andere große und kleine Propheten dieses jüngsten Culturvolkes, es beißt dies in irgendeinem (oder auch keinem) slavischen Dialekt „er hat den heiligen Glauben"; was gewiß sehr passend als Etikette auf der Stuhllehne der neuen Hoheit vermerkt wurde. Leider ist diese slavische Kaaba- inschrift nicht einmal falsch, wie die gefeierten Palladien des czechischen Sla¬ vismus, sondern die, auf gut slowakisch dem rechtmäßigen Eigenthümer ent¬ fremdete, sehr unbedeutende, aber ganz ehrliche und einfältige lateinische Grabschrift des Virunensers Uasuetius Verus; welcher Inschrift selbst die kürzlich vorge¬ nommene, von dem Alterthumsverein zu Klagenfurt nach Verdienst öffentlich gebrandmarkte, slavische Uebermeißelung den schönen Schriftcharalter der guten Kaiserzeit nicht hat rauben, obwohl allerdings den Stein mit dem hinter um mangelnden Punkte nachträglich versehen können. — Dies, lieber Freund, sind einige der kleinen Genüsse, die unsere einsamen Pfade erheitern. Was man wohl von guten Geschichten zu sagen Pflegt, sie seien zu schön, um wahr zu sein, das ist leider bei den Inschriften buchstäblich richtig; wenn Ihnen eine besonders gefällt, dann seien Sie vorsichtig: die echte Inschrift ist langweilig und macht kein Glück. Aber ich wollte Ihnen ja getreu berichten über die Inschriften von Nennig, die allerdings, wenigstens in ihrer nächsten Heimath, Glück gemacht haben und die denn freilich auch falsch sind. Die öffentlichen Blätter haben in der letzten Zeit oft genug davon gesprochen, so daß Ihren Lesern damit gedient sein mag. den Thatbestand im Zusammenhang zu erfahren. Die schönen Zeiten, wo der denk, sche Gelehrte an seine Brust schlug und dem heiligen Mercurius dafür dankte, daß in seiner Heimath nicht, wie von den spanischen und neapolitanischen Lotter-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/438
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/438>, abgerufen am 04.07.2024.