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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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worauf sie dann noch am selben Abende ihre Demission einstellten. Es galt
noch als staatsmännische Mäßigung, daß man an Schmerlings Stelle den böh¬
mischen Statthalter Graf Belcredi setzte, als ob sein Vorleben, seine Geistes¬
verwandtschaft mit Clam-Martinitz und Leo Thun aller Welt, ein Geheimniß
geblieben. Selbst die Journalisten schrieben sich halb die Finger wund, ihm
eine zeitgemäße Anschauung der Dinge aufzudrängen, ja man erblickte in der
Niederschlagung der noch beHangende" Preßprocesse schon den Morgenstern einer
freisinnigeren Aera, während diese Gunst doch meist den Ultramontanen und
Neactionären zu statten kam.

Die Enttäuschung, wenn es überhaupt für Urtheilsfähige eine gab. ließ
nicht allzulange auf sich warten. Das kaiserliche Manifest vom -20. Sept. 1866
und dessen nachträglich erschienene officielle Erläuterung lüfteten die geheimniß-
volle Decke von den dunklen Plänen, die man fast zwei Monate lang berathen
und ausgearbeitet. Pratobevera hatte schon in der Schlußsitzung des Reichs-
rathcs eine düstere Ahnung davon, indem er sagte: "Ob und in welcher Weise
wir uns in diesem Hause wieder begegnen werden, das ist uns heute wohl noch
ein Räthsel." Er kannte die Atmosphäre aus langjähriger Erfahrung. Von
allen Neichsgrundgesctzen wurde gerade das, welches die constitutionelle Berathung
gemeinsamer Angelegenheiten verbürgte, das Gesetz über die Reichsvertretung,
ja dieses allein Wirt oder richtiger aufgehoben, denn diese sogenannte Sistirung
stützte sich auf den Umstand, daß "die Gesammtheit aller Länder dieses Grund¬
gesetz noch gar nicht als rechtlich giltiges und wirksames Verfassuiigsgesetz an¬
genommen hat." AIs ob das Februarpatcnt, das Octobcrdiplom, die früheren
Verfassungen und deren Widerruf die Giltigkeit ihrer Rechtskraft an die Zu¬
stimmung der Völker geknüpft, als ob der Begriff der Octroyirung diese nicht
selbst ausschlösse! Durch mehr als vier Jahre wurde der Reichsrath vom Kaiser
oder den Erzherzogen an seiner Statt eröffnet und geschlossen, seine Gesetze als
giltig für das ganze Reich veröffentlicht und gehandhabt, die Einsprache der
Ungarn war durch kaiserliches Rescript hintangcwiescn und ihrem Starrsinn
schlechtweg erklärt: "Wir können warten;" nun mit einem Male, als sie all-
mälig mürbe zu werden begannen, lag in dem obligatorisch kundgemachten
Reichsgesetze "eine tiefe Verletzung des legitimen und constitutionellen Rechtes".
Als legitimes Recht galten nunmehr blos die Landesordnungen, als legitime
Vertreter nur die Landtagsabgeordneten. Das bisherige Wirken des Reichs¬
rathes nannte man eine "Nechtsfiction", dem Verfassungsleben fehlte jede "feste
dauernde Grundlage", die Auflassung des Gesetzes über die Reichsvertrctung
galt Ungarn und Kroatien gegenüber als "der allein correcte Standpunkt".
Das klang unverhohlen wie eine Umkehr von der falschen Bahn des Februar¬
patentes, wie eine Sühne für die Mißachtung der "Nechtsbedenken", die einen
großen Theil des Reiches von dem gemeinsamen legislativen Wirken ferne ge-


worauf sie dann noch am selben Abende ihre Demission einstellten. Es galt
noch als staatsmännische Mäßigung, daß man an Schmerlings Stelle den böh¬
mischen Statthalter Graf Belcredi setzte, als ob sein Vorleben, seine Geistes¬
verwandtschaft mit Clam-Martinitz und Leo Thun aller Welt, ein Geheimniß
geblieben. Selbst die Journalisten schrieben sich halb die Finger wund, ihm
eine zeitgemäße Anschauung der Dinge aufzudrängen, ja man erblickte in der
Niederschlagung der noch beHangende» Preßprocesse schon den Morgenstern einer
freisinnigeren Aera, während diese Gunst doch meist den Ultramontanen und
Neactionären zu statten kam.

Die Enttäuschung, wenn es überhaupt für Urtheilsfähige eine gab. ließ
nicht allzulange auf sich warten. Das kaiserliche Manifest vom -20. Sept. 1866
und dessen nachträglich erschienene officielle Erläuterung lüfteten die geheimniß-
volle Decke von den dunklen Plänen, die man fast zwei Monate lang berathen
und ausgearbeitet. Pratobevera hatte schon in der Schlußsitzung des Reichs-
rathcs eine düstere Ahnung davon, indem er sagte: „Ob und in welcher Weise
wir uns in diesem Hause wieder begegnen werden, das ist uns heute wohl noch
ein Räthsel." Er kannte die Atmosphäre aus langjähriger Erfahrung. Von
allen Neichsgrundgesctzen wurde gerade das, welches die constitutionelle Berathung
gemeinsamer Angelegenheiten verbürgte, das Gesetz über die Reichsvertretung,
ja dieses allein Wirt oder richtiger aufgehoben, denn diese sogenannte Sistirung
stützte sich auf den Umstand, daß „die Gesammtheit aller Länder dieses Grund¬
gesetz noch gar nicht als rechtlich giltiges und wirksames Verfassuiigsgesetz an¬
genommen hat." AIs ob das Februarpatcnt, das Octobcrdiplom, die früheren
Verfassungen und deren Widerruf die Giltigkeit ihrer Rechtskraft an die Zu¬
stimmung der Völker geknüpft, als ob der Begriff der Octroyirung diese nicht
selbst ausschlösse! Durch mehr als vier Jahre wurde der Reichsrath vom Kaiser
oder den Erzherzogen an seiner Statt eröffnet und geschlossen, seine Gesetze als
giltig für das ganze Reich veröffentlicht und gehandhabt, die Einsprache der
Ungarn war durch kaiserliches Rescript hintangcwiescn und ihrem Starrsinn
schlechtweg erklärt: „Wir können warten;" nun mit einem Male, als sie all-
mälig mürbe zu werden begannen, lag in dem obligatorisch kundgemachten
Reichsgesetze „eine tiefe Verletzung des legitimen und constitutionellen Rechtes".
Als legitimes Recht galten nunmehr blos die Landesordnungen, als legitime
Vertreter nur die Landtagsabgeordneten. Das bisherige Wirken des Reichs¬
rathes nannte man eine „Nechtsfiction", dem Verfassungsleben fehlte jede „feste
dauernde Grundlage", die Auflassung des Gesetzes über die Reichsvertrctung
galt Ungarn und Kroatien gegenüber als „der allein correcte Standpunkt".
Das klang unverhohlen wie eine Umkehr von der falschen Bahn des Februar¬
patentes, wie eine Sühne für die Mißachtung der „Nechtsbedenken", die einen
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[0432] worauf sie dann noch am selben Abende ihre Demission einstellten. Es galt noch als staatsmännische Mäßigung, daß man an Schmerlings Stelle den böh¬ mischen Statthalter Graf Belcredi setzte, als ob sein Vorleben, seine Geistes¬ verwandtschaft mit Clam-Martinitz und Leo Thun aller Welt, ein Geheimniß geblieben. Selbst die Journalisten schrieben sich halb die Finger wund, ihm eine zeitgemäße Anschauung der Dinge aufzudrängen, ja man erblickte in der Niederschlagung der noch beHangende» Preßprocesse schon den Morgenstern einer freisinnigeren Aera, während diese Gunst doch meist den Ultramontanen und Neactionären zu statten kam. Die Enttäuschung, wenn es überhaupt für Urtheilsfähige eine gab. ließ nicht allzulange auf sich warten. Das kaiserliche Manifest vom -20. Sept. 1866 und dessen nachträglich erschienene officielle Erläuterung lüfteten die geheimniß- volle Decke von den dunklen Plänen, die man fast zwei Monate lang berathen und ausgearbeitet. Pratobevera hatte schon in der Schlußsitzung des Reichs- rathcs eine düstere Ahnung davon, indem er sagte: „Ob und in welcher Weise wir uns in diesem Hause wieder begegnen werden, das ist uns heute wohl noch ein Räthsel." Er kannte die Atmosphäre aus langjähriger Erfahrung. Von allen Neichsgrundgesctzen wurde gerade das, welches die constitutionelle Berathung gemeinsamer Angelegenheiten verbürgte, das Gesetz über die Reichsvertretung, ja dieses allein Wirt oder richtiger aufgehoben, denn diese sogenannte Sistirung stützte sich auf den Umstand, daß „die Gesammtheit aller Länder dieses Grund¬ gesetz noch gar nicht als rechtlich giltiges und wirksames Verfassuiigsgesetz an¬ genommen hat." AIs ob das Februarpatcnt, das Octobcrdiplom, die früheren Verfassungen und deren Widerruf die Giltigkeit ihrer Rechtskraft an die Zu¬ stimmung der Völker geknüpft, als ob der Begriff der Octroyirung diese nicht selbst ausschlösse! Durch mehr als vier Jahre wurde der Reichsrath vom Kaiser oder den Erzherzogen an seiner Statt eröffnet und geschlossen, seine Gesetze als giltig für das ganze Reich veröffentlicht und gehandhabt, die Einsprache der Ungarn war durch kaiserliches Rescript hintangcwiescn und ihrem Starrsinn schlechtweg erklärt: „Wir können warten;" nun mit einem Male, als sie all- mälig mürbe zu werden begannen, lag in dem obligatorisch kundgemachten Reichsgesetze „eine tiefe Verletzung des legitimen und constitutionellen Rechtes". Als legitimes Recht galten nunmehr blos die Landesordnungen, als legitime Vertreter nur die Landtagsabgeordneten. Das bisherige Wirken des Reichs¬ rathes nannte man eine „Nechtsfiction", dem Verfassungsleben fehlte jede „feste dauernde Grundlage", die Auflassung des Gesetzes über die Reichsvertrctung galt Ungarn und Kroatien gegenüber als „der allein correcte Standpunkt". Das klang unverhohlen wie eine Umkehr von der falschen Bahn des Februar¬ patentes, wie eine Sühne für die Mißachtung der „Nechtsbedenken", die einen großen Theil des Reiches von dem gemeinsamen legislativen Wirken ferne ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/432>, abgerufen am 30.06.2024.