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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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geschmeidig und sich gegenseitig erklärend, vermittelnd oder steigernd ineinander¬
fließen.

Grade gegenüber der französischen Malerei von David bis zu den Roman¬
tikern Pflegen wir uns in Deutschland viel zu sehr bei allgemeinen Beurthei-
lungs-, oder richtiger Verurtheilungsformeln zu beruhigen. Die physiognomische
Mannigfaltigkeit der hierher gehörenden Künstler, die Details ihrer Leistungen,
die Genesis ihrer Entwickelung ist uns über Gebühr aus den Augen gekommen.
Deshalb scheint uns das erste Verdienst des vorliegenden Buches darin zu be-
stehen, daß es. indem es uns der Fülle der Erscheinungen näher führt, die
Verwandtschaften. Verschiedenheiten, Abfolgen erkennbar macht, welche aus der
Ferne gesehen verschwimmen. Die David, Girodet, G6rard. die Gros, Dela-
croix. G6ricault, Robert-Fleury u. s. w. sind in Gefahr, bei dem verhältnißmäßig
geringen Interesse, das gemeinhin auf sie gewendet wird, in eine generelle
Masse zu verschmelzen. Julius Meyer hat ihre Namen, unterstützt durch die
beigegebenen Abbildungen, wieder zu Individualitäten herausgestaltet, denen
seine frische und beredte Darstellungsweise auch beim großen Kunstpublikum neues
Verständniß vermittelt. Und vermöge der geistvollen Beleuchtung mitwirkender
und mitbestimmender Einflüsse und Gleichzeitigkeiten des ganzen Umfanges der
Culturatmosphäre gelingt es ihm andererseits in hohem Grade, das wechselnde
Kommen und Gehen. Erscheinen und Verschwinden, das die Zeitgenossen der
Schaffenden verwirrt, für uns zum genießbaren , antheilheischenden Werden zu
ordnen.

Auf diese Weise trägt das Buch dazu bei, daß Zeitalter mit Zeitalter in
den hier berührten Interessen gleichsam Zwiesprache mit einander führen, sich
gegenseitig verstehen und auseinandersetzen lernen. Wenn der Verfasser durch
seine Rückblicke auf deutsche Kunst ab und zu der französischen zu günstiges
Relief zu geben scheint, so mag das Entschuldigung finden, wenn man sich klar
macht, wie lebhaft grade beim Studium der Franzosen die Mängel empfunden
werden, welche unserer heimischen Kunst den wohlverdienten populären Auf¬
schwung gestört haben. Ueberdies glauben wir die Ansichten des Verfassers
genau genug zu kennen, um ihn von der hieraus etwa zu argwöhnender Ein¬
seitigkeit völlig frei zu sprechen. Sö möge sein Buch, dessen Verbreitung wir
ungern unter der Mißgunst der jüngsten Zeitverhältnisse leiden sahen, aufs neue
N. ^. herzlich empfohlen sein.




geschmeidig und sich gegenseitig erklärend, vermittelnd oder steigernd ineinander¬
fließen.

Grade gegenüber der französischen Malerei von David bis zu den Roman¬
tikern Pflegen wir uns in Deutschland viel zu sehr bei allgemeinen Beurthei-
lungs-, oder richtiger Verurtheilungsformeln zu beruhigen. Die physiognomische
Mannigfaltigkeit der hierher gehörenden Künstler, die Details ihrer Leistungen,
die Genesis ihrer Entwickelung ist uns über Gebühr aus den Augen gekommen.
Deshalb scheint uns das erste Verdienst des vorliegenden Buches darin zu be-
stehen, daß es. indem es uns der Fülle der Erscheinungen näher führt, die
Verwandtschaften. Verschiedenheiten, Abfolgen erkennbar macht, welche aus der
Ferne gesehen verschwimmen. Die David, Girodet, G6rard. die Gros, Dela-
croix. G6ricault, Robert-Fleury u. s. w. sind in Gefahr, bei dem verhältnißmäßig
geringen Interesse, das gemeinhin auf sie gewendet wird, in eine generelle
Masse zu verschmelzen. Julius Meyer hat ihre Namen, unterstützt durch die
beigegebenen Abbildungen, wieder zu Individualitäten herausgestaltet, denen
seine frische und beredte Darstellungsweise auch beim großen Kunstpublikum neues
Verständniß vermittelt. Und vermöge der geistvollen Beleuchtung mitwirkender
und mitbestimmender Einflüsse und Gleichzeitigkeiten des ganzen Umfanges der
Culturatmosphäre gelingt es ihm andererseits in hohem Grade, das wechselnde
Kommen und Gehen. Erscheinen und Verschwinden, das die Zeitgenossen der
Schaffenden verwirrt, für uns zum genießbaren , antheilheischenden Werden zu
ordnen.

Auf diese Weise trägt das Buch dazu bei, daß Zeitalter mit Zeitalter in
den hier berührten Interessen gleichsam Zwiesprache mit einander führen, sich
gegenseitig verstehen und auseinandersetzen lernen. Wenn der Verfasser durch
seine Rückblicke auf deutsche Kunst ab und zu der französischen zu günstiges
Relief zu geben scheint, so mag das Entschuldigung finden, wenn man sich klar
macht, wie lebhaft grade beim Studium der Franzosen die Mängel empfunden
werden, welche unserer heimischen Kunst den wohlverdienten populären Auf¬
schwung gestört haben. Ueberdies glauben wir die Ansichten des Verfassers
genau genug zu kennen, um ihn von der hieraus etwa zu argwöhnender Ein¬
seitigkeit völlig frei zu sprechen. Sö möge sein Buch, dessen Verbreitung wir
ungern unter der Mißgunst der jüngsten Zeitverhältnisse leiden sahen, aufs neue
N. ^. herzlich empfohlen sein.




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[0423] geschmeidig und sich gegenseitig erklärend, vermittelnd oder steigernd ineinander¬ fließen. Grade gegenüber der französischen Malerei von David bis zu den Roman¬ tikern Pflegen wir uns in Deutschland viel zu sehr bei allgemeinen Beurthei- lungs-, oder richtiger Verurtheilungsformeln zu beruhigen. Die physiognomische Mannigfaltigkeit der hierher gehörenden Künstler, die Details ihrer Leistungen, die Genesis ihrer Entwickelung ist uns über Gebühr aus den Augen gekommen. Deshalb scheint uns das erste Verdienst des vorliegenden Buches darin zu be- stehen, daß es. indem es uns der Fülle der Erscheinungen näher führt, die Verwandtschaften. Verschiedenheiten, Abfolgen erkennbar macht, welche aus der Ferne gesehen verschwimmen. Die David, Girodet, G6rard. die Gros, Dela- croix. G6ricault, Robert-Fleury u. s. w. sind in Gefahr, bei dem verhältnißmäßig geringen Interesse, das gemeinhin auf sie gewendet wird, in eine generelle Masse zu verschmelzen. Julius Meyer hat ihre Namen, unterstützt durch die beigegebenen Abbildungen, wieder zu Individualitäten herausgestaltet, denen seine frische und beredte Darstellungsweise auch beim großen Kunstpublikum neues Verständniß vermittelt. Und vermöge der geistvollen Beleuchtung mitwirkender und mitbestimmender Einflüsse und Gleichzeitigkeiten des ganzen Umfanges der Culturatmosphäre gelingt es ihm andererseits in hohem Grade, das wechselnde Kommen und Gehen. Erscheinen und Verschwinden, das die Zeitgenossen der Schaffenden verwirrt, für uns zum genießbaren , antheilheischenden Werden zu ordnen. Auf diese Weise trägt das Buch dazu bei, daß Zeitalter mit Zeitalter in den hier berührten Interessen gleichsam Zwiesprache mit einander führen, sich gegenseitig verstehen und auseinandersetzen lernen. Wenn der Verfasser durch seine Rückblicke auf deutsche Kunst ab und zu der französischen zu günstiges Relief zu geben scheint, so mag das Entschuldigung finden, wenn man sich klar macht, wie lebhaft grade beim Studium der Franzosen die Mängel empfunden werden, welche unserer heimischen Kunst den wohlverdienten populären Auf¬ schwung gestört haben. Ueberdies glauben wir die Ansichten des Verfassers genau genug zu kennen, um ihn von der hieraus etwa zu argwöhnender Ein¬ seitigkeit völlig frei zu sprechen. Sö möge sein Buch, dessen Verbreitung wir ungern unter der Mißgunst der jüngsten Zeitverhältnisse leiden sahen, aufs neue N. ^. herzlich empfohlen sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/423>, abgerufen am 30.06.2024.