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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Truppen von ehedem und von jetzt gezogen und dabei die Worte gebraucht:
"Ich stelle die Lorbeeren von Waterloo über die von Oberlahi'stein." An der
Schlacht bei Waterloo hatte bekanntlich das nassauische Contingent einen nicht
unrühmlichen Antheil genommen. Mit den Lorbeeren von Oberlahnstein ver¬
hält es sich dagegen so: Am 23. Juli 1865 hatten sich einige Trümmer des
preußischen Abgeordnetenfestes, das bekanntlich in Köln unterdrückt wurde, nach
Oberlahnstein zurückgezogen, um dort unbehelligt einige Stunden in zwangloser
Unterhaltung zubringen zu können. Dies wurde nach Wiesbaden gemeldet.
Der Herzog befiehlt sofortiges militärisches Einschreiten gegen die preußischen
Abgeordneten, besonders deshalb, weil er mit Recht vermuthete, es hätten sich
einige liberale Mitglieder der nassauischen Ständeversammlung jenen angeschlossen.
Der Herzog betrieb in Höchsteigner Person mit großem Eifer die Vollstreckung
des Befehls. Aus der Garnison von Wiesbaden wurden die Unteroffiziere und
Soldaten, welche man für besonders "treu" hielt, einzeln ausgesucht, im Ganzen
etwa zweihundert Mann. An ihre Spitze stellte man den genannten Haupt¬
mann Vogler und gab ihm als Civilcommissär einen Polizeinssessor bei, welcher
sich, bei den Wahlen als brauchbares Werkzeug Werrens empfohlen hatte.

Diese Executionsmannschaft, welche durch einen Extrazug von Wiesbaden
nach Lahnstein befördert wurde, kam indeß trotz alles persönlichen Drängens
und Treibens des Herzogs zu spät. Die Locomotive mußte leider zuvor geheizt
werden; und überdies konnte doch auch ein militärischer Extrazug nicht riskiren,
die gewöhnlichen regelmäßigen bürgerlichen Züge in Grund zu bohren, ohne
sich und sein Militär der äußersten Gefahr zu exponiren. Der Herzog war über
diese Verzögerung wüthend. Aber es half nichts. Die Gesetze der Mechanik
sind stärker als die Befehle eines Fürsten. Als die Expedition endlich gegen
Abend nach Oberlahnstein kam, waren die Abgeordneten bereits fort. Der
Hauptmann Vogler ließ die Truppen scharf laden und hielt ihnen eine napo¬
leonische Ansprache. Die Soldaten waren auch wüthend. Man hatte ihnen
gesagt, die Preußen seien in Lahnstein eingefallen, um dem Herzog sein Land
wegzunehmen. Nun saßen in Lahnstein, einem sehr besuchten Vergnügungsorte,
noch Fremde in den Wirthsgärten. Dem Commissär wollte es bedünken, als
habe dieses Publikum "eine provokante Haltung"; er erklärte dasselbe für auf¬
gelöst, und da das betreffende Local nicht sofort geräumt wurde, so sprach der
Assessor zum Commandanten der Executionsarmee: "Ich hab' das Meinige ge¬
than, thun Sie das Ihrige. Herr Hauptmann." Ein Mainzer Bürger erhielt
einen Bajonnetstich ins Gesicht; ein Kaufmann aus Langenberg und dessen
in London etablirter Sohn wurden durch Kolbenstöße von den Gartenstühlen
heruntergeworfen. Der letztere wurde außerdem durch einen Kolbenschlag aus
den Kopf verwundet, so daß ihm das Blut über das Gesicht strömte. Auch
diese waren wüthend, und schließlich müssen es sogar Flaschen und Gläser eben-


Truppen von ehedem und von jetzt gezogen und dabei die Worte gebraucht:
„Ich stelle die Lorbeeren von Waterloo über die von Oberlahi'stein." An der
Schlacht bei Waterloo hatte bekanntlich das nassauische Contingent einen nicht
unrühmlichen Antheil genommen. Mit den Lorbeeren von Oberlahnstein ver¬
hält es sich dagegen so: Am 23. Juli 1865 hatten sich einige Trümmer des
preußischen Abgeordnetenfestes, das bekanntlich in Köln unterdrückt wurde, nach
Oberlahnstein zurückgezogen, um dort unbehelligt einige Stunden in zwangloser
Unterhaltung zubringen zu können. Dies wurde nach Wiesbaden gemeldet.
Der Herzog befiehlt sofortiges militärisches Einschreiten gegen die preußischen
Abgeordneten, besonders deshalb, weil er mit Recht vermuthete, es hätten sich
einige liberale Mitglieder der nassauischen Ständeversammlung jenen angeschlossen.
Der Herzog betrieb in Höchsteigner Person mit großem Eifer die Vollstreckung
des Befehls. Aus der Garnison von Wiesbaden wurden die Unteroffiziere und
Soldaten, welche man für besonders „treu" hielt, einzeln ausgesucht, im Ganzen
etwa zweihundert Mann. An ihre Spitze stellte man den genannten Haupt¬
mann Vogler und gab ihm als Civilcommissär einen Polizeinssessor bei, welcher
sich, bei den Wahlen als brauchbares Werkzeug Werrens empfohlen hatte.

Diese Executionsmannschaft, welche durch einen Extrazug von Wiesbaden
nach Lahnstein befördert wurde, kam indeß trotz alles persönlichen Drängens
und Treibens des Herzogs zu spät. Die Locomotive mußte leider zuvor geheizt
werden; und überdies konnte doch auch ein militärischer Extrazug nicht riskiren,
die gewöhnlichen regelmäßigen bürgerlichen Züge in Grund zu bohren, ohne
sich und sein Militär der äußersten Gefahr zu exponiren. Der Herzog war über
diese Verzögerung wüthend. Aber es half nichts. Die Gesetze der Mechanik
sind stärker als die Befehle eines Fürsten. Als die Expedition endlich gegen
Abend nach Oberlahnstein kam, waren die Abgeordneten bereits fort. Der
Hauptmann Vogler ließ die Truppen scharf laden und hielt ihnen eine napo¬
leonische Ansprache. Die Soldaten waren auch wüthend. Man hatte ihnen
gesagt, die Preußen seien in Lahnstein eingefallen, um dem Herzog sein Land
wegzunehmen. Nun saßen in Lahnstein, einem sehr besuchten Vergnügungsorte,
noch Fremde in den Wirthsgärten. Dem Commissär wollte es bedünken, als
habe dieses Publikum „eine provokante Haltung"; er erklärte dasselbe für auf¬
gelöst, und da das betreffende Local nicht sofort geräumt wurde, so sprach der
Assessor zum Commandanten der Executionsarmee: „Ich hab' das Meinige ge¬
than, thun Sie das Ihrige. Herr Hauptmann." Ein Mainzer Bürger erhielt
einen Bajonnetstich ins Gesicht; ein Kaufmann aus Langenberg und dessen
in London etablirter Sohn wurden durch Kolbenstöße von den Gartenstühlen
heruntergeworfen. Der letztere wurde außerdem durch einen Kolbenschlag aus
den Kopf verwundet, so daß ihm das Blut über das Gesicht strömte. Auch
diese waren wüthend, und schließlich müssen es sogar Flaschen und Gläser eben-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/358>, abgerufen am 04.07.2024.