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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Aufenthalt, ohne Rast und Ruh, nach der Residenz Bibrich, wo indessen die
Wahl leider nicht minder liberal ausgefallen war.

Wenn Herzog Adolph sich zum rückhaltlosen Anschluß an die einheitlich-
nationale Gestaltung der Dinge in Deutschland jemals entschließen und einen
unbefangenen Rückblick aus die traurige Vergangenheit gewinnen könnte, in
welcher er, von bösen Hetzern aufgestachelt, als -"vröv re/^o-^loof sein Land
und noch mehr sich selbst plagte, er würde sich als deutscher Lord erster Classe,
als hochgeehrtes Mitglied eines deutschen Oberhauses ohne Zweifel freuen,
jenem wahrhaft unerträglichen Zustande entronnen zu sein und mit dem Psal-
misten intoniren: "Sei gepriesen, der du mich erlöset hast aus den Schlingen
der Jäger."

Gute Psychologen waren allerdings die Leiter der letzten nassauischen Po¬
litik. Die von Haus aus arglose Seele des Herzogs lag vor ihnen ausgebreitet
wie eine Generalstabskarte. Sie wußten die Pässe zu schließen und die Höhen
zu überwachen. Der verstorbene Herzog Wilhelm war ein geistreicher Mann,
allein zwei Ursachen hatten ihn in eine sehr unglückliche Richtung gedrängt.
Einmal der verhängnißvolle Domänenstreit, in welchem er mit seinem Lande
lag, und der, wie der Hydra statt des abgeschlagenen stets wieder ein neuer
Kopf wächst, wenn man ihn zum fünften und sechsten Male für immer todt-
geschlagen glaubte, sich zum sieben und achten Male wieder erneuerte, -- der
selbst jetzt, nachdem die Dynastie aufgehört hat zu regieren, seine finsteren alten
Schatten in die helle neue Zeit hinübcrwirft. Und dann die Erinnerung an den
General Uork, der 181.3 bei der Besetzung Wiesbadens die nassauischen Wachen
entfernte und dem Offizier, der sich auf einen Befehl des Herzogs berief, gries¬
grämig antwortete: "Herzog? -- Nheinbundsfürst! -- giebts nicht mehr!"
Diese Furcht und jener Groll ließen den Herzog Wilhelm in dem Fürsten
Metternich und seinem Pseudocvnscrvatismus den Ausbund aller Weisheit und
die alleinige Garantie der Zukunft erblicken. Er ließ daher seinen Sohn Adolph
in Wien nach damaliger von den ?ä.trss "x S. -s. approbirter wiener Unterrichts¬
methode erziehen. Die mächtigen Eindrücke, welche die geräuschvolle Kaiserstadt
und ihr glänzender Hof auf seine weiche Seele und seinen receptiven Geist
machten, waren maßgebend für sein ganzes Leben, auch in den Dingen, worin
er selbst einer ganz andern Richtung anzugehören glaubte. So z. B. versicherte
er stets, er sei ein glaubensstarker und eifriger Protestant; und es liegt nicht
der geringste Grund vor, an der Aufrichtigkeit dieser Versicherung zu zweifeln.
Gleichwohl hat kein protestantischer Fürst in einem deutschen Lande die prote¬
stantische Kirche mehr beschädigt als er, indem er sie in dem Zustande der Ab¬
hängigkeit, Rechtlosigkeit und Unfreiheit erhielt während er dem katholischen
Klerus weitgehende Privilegien einräumte, u. a. das Recht der Beaufsichtigung
der Staats- und Communalschulen, die Befugniß, Klöster und sonstige geistliche


Aufenthalt, ohne Rast und Ruh, nach der Residenz Bibrich, wo indessen die
Wahl leider nicht minder liberal ausgefallen war.

Wenn Herzog Adolph sich zum rückhaltlosen Anschluß an die einheitlich-
nationale Gestaltung der Dinge in Deutschland jemals entschließen und einen
unbefangenen Rückblick aus die traurige Vergangenheit gewinnen könnte, in
welcher er, von bösen Hetzern aufgestachelt, als -«vröv re/^o-^loof sein Land
und noch mehr sich selbst plagte, er würde sich als deutscher Lord erster Classe,
als hochgeehrtes Mitglied eines deutschen Oberhauses ohne Zweifel freuen,
jenem wahrhaft unerträglichen Zustande entronnen zu sein und mit dem Psal-
misten intoniren: „Sei gepriesen, der du mich erlöset hast aus den Schlingen
der Jäger."

Gute Psychologen waren allerdings die Leiter der letzten nassauischen Po¬
litik. Die von Haus aus arglose Seele des Herzogs lag vor ihnen ausgebreitet
wie eine Generalstabskarte. Sie wußten die Pässe zu schließen und die Höhen
zu überwachen. Der verstorbene Herzog Wilhelm war ein geistreicher Mann,
allein zwei Ursachen hatten ihn in eine sehr unglückliche Richtung gedrängt.
Einmal der verhängnißvolle Domänenstreit, in welchem er mit seinem Lande
lag, und der, wie der Hydra statt des abgeschlagenen stets wieder ein neuer
Kopf wächst, wenn man ihn zum fünften und sechsten Male für immer todt-
geschlagen glaubte, sich zum sieben und achten Male wieder erneuerte, — der
selbst jetzt, nachdem die Dynastie aufgehört hat zu regieren, seine finsteren alten
Schatten in die helle neue Zeit hinübcrwirft. Und dann die Erinnerung an den
General Uork, der 181.3 bei der Besetzung Wiesbadens die nassauischen Wachen
entfernte und dem Offizier, der sich auf einen Befehl des Herzogs berief, gries¬
grämig antwortete: „Herzog? — Nheinbundsfürst! — giebts nicht mehr!"
Diese Furcht und jener Groll ließen den Herzog Wilhelm in dem Fürsten
Metternich und seinem Pseudocvnscrvatismus den Ausbund aller Weisheit und
die alleinige Garantie der Zukunft erblicken. Er ließ daher seinen Sohn Adolph
in Wien nach damaliger von den ?ä.trss «x S. -s. approbirter wiener Unterrichts¬
methode erziehen. Die mächtigen Eindrücke, welche die geräuschvolle Kaiserstadt
und ihr glänzender Hof auf seine weiche Seele und seinen receptiven Geist
machten, waren maßgebend für sein ganzes Leben, auch in den Dingen, worin
er selbst einer ganz andern Richtung anzugehören glaubte. So z. B. versicherte
er stets, er sei ein glaubensstarker und eifriger Protestant; und es liegt nicht
der geringste Grund vor, an der Aufrichtigkeit dieser Versicherung zu zweifeln.
Gleichwohl hat kein protestantischer Fürst in einem deutschen Lande die prote¬
stantische Kirche mehr beschädigt als er, indem er sie in dem Zustande der Ab¬
hängigkeit, Rechtlosigkeit und Unfreiheit erhielt während er dem katholischen
Klerus weitgehende Privilegien einräumte, u. a. das Recht der Beaufsichtigung
der Staats- und Communalschulen, die Befugniß, Klöster und sonstige geistliche


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[0351] Aufenthalt, ohne Rast und Ruh, nach der Residenz Bibrich, wo indessen die Wahl leider nicht minder liberal ausgefallen war. Wenn Herzog Adolph sich zum rückhaltlosen Anschluß an die einheitlich- nationale Gestaltung der Dinge in Deutschland jemals entschließen und einen unbefangenen Rückblick aus die traurige Vergangenheit gewinnen könnte, in welcher er, von bösen Hetzern aufgestachelt, als -«vröv re/^o-^loof sein Land und noch mehr sich selbst plagte, er würde sich als deutscher Lord erster Classe, als hochgeehrtes Mitglied eines deutschen Oberhauses ohne Zweifel freuen, jenem wahrhaft unerträglichen Zustande entronnen zu sein und mit dem Psal- misten intoniren: „Sei gepriesen, der du mich erlöset hast aus den Schlingen der Jäger." Gute Psychologen waren allerdings die Leiter der letzten nassauischen Po¬ litik. Die von Haus aus arglose Seele des Herzogs lag vor ihnen ausgebreitet wie eine Generalstabskarte. Sie wußten die Pässe zu schließen und die Höhen zu überwachen. Der verstorbene Herzog Wilhelm war ein geistreicher Mann, allein zwei Ursachen hatten ihn in eine sehr unglückliche Richtung gedrängt. Einmal der verhängnißvolle Domänenstreit, in welchem er mit seinem Lande lag, und der, wie der Hydra statt des abgeschlagenen stets wieder ein neuer Kopf wächst, wenn man ihn zum fünften und sechsten Male für immer todt- geschlagen glaubte, sich zum sieben und achten Male wieder erneuerte, — der selbst jetzt, nachdem die Dynastie aufgehört hat zu regieren, seine finsteren alten Schatten in die helle neue Zeit hinübcrwirft. Und dann die Erinnerung an den General Uork, der 181.3 bei der Besetzung Wiesbadens die nassauischen Wachen entfernte und dem Offizier, der sich auf einen Befehl des Herzogs berief, gries¬ grämig antwortete: „Herzog? — Nheinbundsfürst! — giebts nicht mehr!" Diese Furcht und jener Groll ließen den Herzog Wilhelm in dem Fürsten Metternich und seinem Pseudocvnscrvatismus den Ausbund aller Weisheit und die alleinige Garantie der Zukunft erblicken. Er ließ daher seinen Sohn Adolph in Wien nach damaliger von den ?ä.trss «x S. -s. approbirter wiener Unterrichts¬ methode erziehen. Die mächtigen Eindrücke, welche die geräuschvolle Kaiserstadt und ihr glänzender Hof auf seine weiche Seele und seinen receptiven Geist machten, waren maßgebend für sein ganzes Leben, auch in den Dingen, worin er selbst einer ganz andern Richtung anzugehören glaubte. So z. B. versicherte er stets, er sei ein glaubensstarker und eifriger Protestant; und es liegt nicht der geringste Grund vor, an der Aufrichtigkeit dieser Versicherung zu zweifeln. Gleichwohl hat kein protestantischer Fürst in einem deutschen Lande die prote¬ stantische Kirche mehr beschädigt als er, indem er sie in dem Zustande der Ab¬ hängigkeit, Rechtlosigkeit und Unfreiheit erhielt während er dem katholischen Klerus weitgehende Privilegien einräumte, u. a. das Recht der Beaufsichtigung der Staats- und Communalschulen, die Befugniß, Klöster und sonstige geistliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/351>, abgerufen am 04.07.2024.