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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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von katholischer Seite fielen, und diese lassen begreiflich erscheinen, wie zur Zeit
jener ersten östreichischen Siegesnachrichten mancher protestantische Familienvater
mit den Seinen bange die Nacht durchwachte. Und wenn auch vieles von all
dem übertrieben sein mag, so ist es doch schon an sich ein gewichtiges Zeichen
der herrschenden Stimmung, des Gefühls der Unsicherheit. Grade darin liegt
Wohl auch der Grund, daß, wo in Rheinhessen und Baden preußenfreundliche
Gesinnung besteht, diese viel energischer ist als in der hessischen Provinz
Starkenburg, und daß dort die "Volkspartei" nicht gedeihen kann. Was dahin
neigt, fallt sogleich der kräftigeren Partei des Ultramontanismus anheim, und
nur in dem der Hauptsache nach protestantischen Würtemberg können, unterstützt
durch besondere Stammeseigenthümlichkeiten, die Gesinnungsgenossen der "Neuen
deutschen Zeitung" sich als geschlossene politische Partei constituiren. --

Obige Skizze mag ein übersichtliches Bild der Stimmungen geben, mit
welchen der norddeutsche Bund und Preußen zu rechnen haben wird. Es ist
nicht überall erfreulich. Eine gewisse Unklarheit und Verdrossenheit befängt
überdies die Gemüther. Dennoch läßt sich sagen, daß von den dauernden Partei-
gruvvirungen nur die prcußenfreundliche ein positives Programm hat. Hierin
liegt ihre Stärke gegenüber den Gegnern, die nur einig sind in der Verneinung.
Neben ehrenwerthen Trümmern der altliberalen Partei, die sich in die neuen
Verhältnisse nicht finden können und an den Idealen früherer Jahre hangen,
findet sich der vaterlandslose Ultramontanismus, der abstracte oder sentimentale
Legitimismus und der sich in seinen engen Verhältnissen wohlfühlende Parti-
cularismus; die eigentliche "Volkspartei", deren Stuttgarter Organ bereits be¬
haglich in die Zeiten sieht, wo Frankreich sich mit Oestreich verbindet und die
Frage, ob Süddeutschland dem norddeutschen Bund helfen soll, erst noch zu
einer offenen macht, ist, Gott sei Dank, verschwindend klein.

Von der Partei der Regierung habe ich noch nicht gesprochen; es ist die
Frage, ob -- was die äußere Politik betrifft -- eine solche besteht, dennnn
dieser Hinsicht sind die Zielpunkte der Regierung selbst unklar. Herr v. Dal-
wigk ist geblieben; Herr v. Reuse, mit dessen Ministerposten der Kaiserstaat
damals schon stark in den Wehen lag, hat ihm Vor einigen Wochen einen Be¬
such gemacht, dessen blos private Natur stark angezweifelt ward. Die Darm¬
städter Zeitung, dies ossiciöse Organ, bringt immer noch mit besonderer Vor¬
liebe legitimistische Artikel und Beispiele specifisch östreichischer Edelherzigkeit;
im Uebrigen schickt sie sich in die Zeit, wohl wissend, daß es eine böse Zeit ist.
Um so gehässiger Hetzen die hessischen Volksblätter, denen Unterstützung Seitens
der Negierung, jedenfalls Seitens der Regierungspartei, nachgesagt wird; man
greift sich beim Lesen manchmal unwillkürlich an die Stirne, ob man denn
wirklich schon dadurch, daß man das Unglück hat, Preuße zu sein, unbedingt
ehrlos wird. Daß der Großherzog persönlich die eingetretene Aenderung nur


von katholischer Seite fielen, und diese lassen begreiflich erscheinen, wie zur Zeit
jener ersten östreichischen Siegesnachrichten mancher protestantische Familienvater
mit den Seinen bange die Nacht durchwachte. Und wenn auch vieles von all
dem übertrieben sein mag, so ist es doch schon an sich ein gewichtiges Zeichen
der herrschenden Stimmung, des Gefühls der Unsicherheit. Grade darin liegt
Wohl auch der Grund, daß, wo in Rheinhessen und Baden preußenfreundliche
Gesinnung besteht, diese viel energischer ist als in der hessischen Provinz
Starkenburg, und daß dort die „Volkspartei" nicht gedeihen kann. Was dahin
neigt, fallt sogleich der kräftigeren Partei des Ultramontanismus anheim, und
nur in dem der Hauptsache nach protestantischen Würtemberg können, unterstützt
durch besondere Stammeseigenthümlichkeiten, die Gesinnungsgenossen der „Neuen
deutschen Zeitung" sich als geschlossene politische Partei constituiren. —

Obige Skizze mag ein übersichtliches Bild der Stimmungen geben, mit
welchen der norddeutsche Bund und Preußen zu rechnen haben wird. Es ist
nicht überall erfreulich. Eine gewisse Unklarheit und Verdrossenheit befängt
überdies die Gemüther. Dennoch läßt sich sagen, daß von den dauernden Partei-
gruvvirungen nur die prcußenfreundliche ein positives Programm hat. Hierin
liegt ihre Stärke gegenüber den Gegnern, die nur einig sind in der Verneinung.
Neben ehrenwerthen Trümmern der altliberalen Partei, die sich in die neuen
Verhältnisse nicht finden können und an den Idealen früherer Jahre hangen,
findet sich der vaterlandslose Ultramontanismus, der abstracte oder sentimentale
Legitimismus und der sich in seinen engen Verhältnissen wohlfühlende Parti-
cularismus; die eigentliche „Volkspartei", deren Stuttgarter Organ bereits be¬
haglich in die Zeiten sieht, wo Frankreich sich mit Oestreich verbindet und die
Frage, ob Süddeutschland dem norddeutschen Bund helfen soll, erst noch zu
einer offenen macht, ist, Gott sei Dank, verschwindend klein.

Von der Partei der Regierung habe ich noch nicht gesprochen; es ist die
Frage, ob — was die äußere Politik betrifft — eine solche besteht, dennnn
dieser Hinsicht sind die Zielpunkte der Regierung selbst unklar. Herr v. Dal-
wigk ist geblieben; Herr v. Reuse, mit dessen Ministerposten der Kaiserstaat
damals schon stark in den Wehen lag, hat ihm Vor einigen Wochen einen Be¬
such gemacht, dessen blos private Natur stark angezweifelt ward. Die Darm¬
städter Zeitung, dies ossiciöse Organ, bringt immer noch mit besonderer Vor¬
liebe legitimistische Artikel und Beispiele specifisch östreichischer Edelherzigkeit;
im Uebrigen schickt sie sich in die Zeit, wohl wissend, daß es eine böse Zeit ist.
Um so gehässiger Hetzen die hessischen Volksblätter, denen Unterstützung Seitens
der Negierung, jedenfalls Seitens der Regierungspartei, nachgesagt wird; man
greift sich beim Lesen manchmal unwillkürlich an die Stirne, ob man denn
wirklich schon dadurch, daß man das Unglück hat, Preuße zu sein, unbedingt
ehrlos wird. Daß der Großherzog persönlich die eingetretene Aenderung nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/335>, abgerufen am 04.07.2024.