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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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als Ncichsminister 1848 diese Gründe als einen Vorzug der preußischen Sol¬
daten deutete und den Wunsch aussprach, die östreichischen möchten auch noch
einmal so weit kommen.*) Aber die verständige Ueberlegung bannt nicht Jahre
lang eingesogene und angesammelte Stimmungen,und es ist begreiflich, daß man
ungern die gemüthlichen Weißjacken vermißt, die um so weniger je etwas übel
nahmen, als sie -- meist "deutsches Bruder" aus den italienischen oder slavi¬
schen Provinzen -- das etwa krumm zu nehmende gar nicht verstanden. Preu¬
ßen, dessen stramme Art den leichtlebigen Mainzern ohnedem nicht allzu sym¬
pathisch ist, wird sich in Einigem vielleicht noch ungünstiger stellen als seither.
Früher ging alles Gehässige, was aus den Festungsverhältnissen floß, auf Rech¬
nung des Bundes, jetzt wird es Preußen verantworten müssen; und anderer¬
seits hat doch auch Preußen, weil nicht zugleich Territvrialmacht. keine Veran¬
lassung, mit eigenen Kosten Dinge ins Leben zu rufen, welch" den Mainzern
sehr erwünscht wären, wie etwa Erweiterung des Stadtareals durch Schleifung
und Verlegung einzelner Festungswerke u. a. in. Indessen -- Mainz ist zu¬
nächst Handelsplatz und man wird nicht so schnell vergessen, wer den Rhein
von den Zöllen befreite; rheinabwärts, insbesondere nach Köln, weisen die wich¬
tigsten Verbindungen, und dem frischen Zug. der durch ein großes Staatsganze
geht, verschließt sich nicht leicht der Mainzer Handelsgeist, welcher seit einer
Reihe von Jahren so großen Aufschwung genommen hat.

Alle die hier kurz skizzirten Verhältnisse werden gekreuzt und mannigfach
variirt durch die confessionellen Zustände. Es ist bekannt, mit welch glühenden
Sympathien die katholische Partei der Sache Oestreichs zugethan war. In
diesen Kreisen vergißt man nicht so schnell, und das Mainzer Journal mit Bei¬
blättern ist Zeugniß für den innerlich fressenden Groll. Auf diese Leute wird
man nie rechnen dürfen, so behende auch der Bischof von Limburg war, die
neue Ordnung der Dinge in einem Hirtenbrief anzuerkennen. Die neupronon-
cirte Haltung des Ultramontanismus hatte aber eine weitere Wirkung; sie warf
naturgemäß die Protestanten auf die Seite der preußischen Sympathien, wenig¬
stens da. wo nach der Gestaltung der Dinge dieselben am meisten Grund hatten,
Fortschritte des Ultramontanismus zu fürchten. In Oberhessen, wo die Katho¬
liken nur ein verschwindender Bruchtheil, fehlte der Factor völlig; in Starken¬
burg, wo die Protestanten bei weitem überwiegen, kam er nicht zum rechten
Bewußtsein; um so stärker aber wirkte er in Rheinhessen, wo -- ebenso wie
in Baden -- die so viel schwächeren Protestanten einer wohlorganisirten katho¬
lischen Partei gegenüberstanden und -- mit oder ohne Grund -- ganz einfach
der Trieb der Selbsterhaltung die politische Ansicht bestimmte. Man erzählt
Aeußerungen, welche zur Zeit, wo noch für Oestreich der Sieg erhofft ward,



") Die interessante Stelle findet sich stenographische Berichte Bd. 1, S. 103.

als Ncichsminister 1848 diese Gründe als einen Vorzug der preußischen Sol¬
daten deutete und den Wunsch aussprach, die östreichischen möchten auch noch
einmal so weit kommen.*) Aber die verständige Ueberlegung bannt nicht Jahre
lang eingesogene und angesammelte Stimmungen,und es ist begreiflich, daß man
ungern die gemüthlichen Weißjacken vermißt, die um so weniger je etwas übel
nahmen, als sie — meist „deutsches Bruder" aus den italienischen oder slavi¬
schen Provinzen — das etwa krumm zu nehmende gar nicht verstanden. Preu¬
ßen, dessen stramme Art den leichtlebigen Mainzern ohnedem nicht allzu sym¬
pathisch ist, wird sich in Einigem vielleicht noch ungünstiger stellen als seither.
Früher ging alles Gehässige, was aus den Festungsverhältnissen floß, auf Rech¬
nung des Bundes, jetzt wird es Preußen verantworten müssen; und anderer¬
seits hat doch auch Preußen, weil nicht zugleich Territvrialmacht. keine Veran¬
lassung, mit eigenen Kosten Dinge ins Leben zu rufen, welch« den Mainzern
sehr erwünscht wären, wie etwa Erweiterung des Stadtareals durch Schleifung
und Verlegung einzelner Festungswerke u. a. in. Indessen — Mainz ist zu¬
nächst Handelsplatz und man wird nicht so schnell vergessen, wer den Rhein
von den Zöllen befreite; rheinabwärts, insbesondere nach Köln, weisen die wich¬
tigsten Verbindungen, und dem frischen Zug. der durch ein großes Staatsganze
geht, verschließt sich nicht leicht der Mainzer Handelsgeist, welcher seit einer
Reihe von Jahren so großen Aufschwung genommen hat.

Alle die hier kurz skizzirten Verhältnisse werden gekreuzt und mannigfach
variirt durch die confessionellen Zustände. Es ist bekannt, mit welch glühenden
Sympathien die katholische Partei der Sache Oestreichs zugethan war. In
diesen Kreisen vergißt man nicht so schnell, und das Mainzer Journal mit Bei¬
blättern ist Zeugniß für den innerlich fressenden Groll. Auf diese Leute wird
man nie rechnen dürfen, so behende auch der Bischof von Limburg war, die
neue Ordnung der Dinge in einem Hirtenbrief anzuerkennen. Die neupronon-
cirte Haltung des Ultramontanismus hatte aber eine weitere Wirkung; sie warf
naturgemäß die Protestanten auf die Seite der preußischen Sympathien, wenig¬
stens da. wo nach der Gestaltung der Dinge dieselben am meisten Grund hatten,
Fortschritte des Ultramontanismus zu fürchten. In Oberhessen, wo die Katho¬
liken nur ein verschwindender Bruchtheil, fehlte der Factor völlig; in Starken¬
burg, wo die Protestanten bei weitem überwiegen, kam er nicht zum rechten
Bewußtsein; um so stärker aber wirkte er in Rheinhessen, wo — ebenso wie
in Baden — die so viel schwächeren Protestanten einer wohlorganisirten katho¬
lischen Partei gegenüberstanden und — mit oder ohne Grund — ganz einfach
der Trieb der Selbsterhaltung die politische Ansicht bestimmte. Man erzählt
Aeußerungen, welche zur Zeit, wo noch für Oestreich der Sieg erhofft ward,



") Die interessante Stelle findet sich stenographische Berichte Bd. 1, S. 103.
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[0334] als Ncichsminister 1848 diese Gründe als einen Vorzug der preußischen Sol¬ daten deutete und den Wunsch aussprach, die östreichischen möchten auch noch einmal so weit kommen.*) Aber die verständige Ueberlegung bannt nicht Jahre lang eingesogene und angesammelte Stimmungen,und es ist begreiflich, daß man ungern die gemüthlichen Weißjacken vermißt, die um so weniger je etwas übel nahmen, als sie — meist „deutsches Bruder" aus den italienischen oder slavi¬ schen Provinzen — das etwa krumm zu nehmende gar nicht verstanden. Preu¬ ßen, dessen stramme Art den leichtlebigen Mainzern ohnedem nicht allzu sym¬ pathisch ist, wird sich in Einigem vielleicht noch ungünstiger stellen als seither. Früher ging alles Gehässige, was aus den Festungsverhältnissen floß, auf Rech¬ nung des Bundes, jetzt wird es Preußen verantworten müssen; und anderer¬ seits hat doch auch Preußen, weil nicht zugleich Territvrialmacht. keine Veran¬ lassung, mit eigenen Kosten Dinge ins Leben zu rufen, welch« den Mainzern sehr erwünscht wären, wie etwa Erweiterung des Stadtareals durch Schleifung und Verlegung einzelner Festungswerke u. a. in. Indessen — Mainz ist zu¬ nächst Handelsplatz und man wird nicht so schnell vergessen, wer den Rhein von den Zöllen befreite; rheinabwärts, insbesondere nach Köln, weisen die wich¬ tigsten Verbindungen, und dem frischen Zug. der durch ein großes Staatsganze geht, verschließt sich nicht leicht der Mainzer Handelsgeist, welcher seit einer Reihe von Jahren so großen Aufschwung genommen hat. Alle die hier kurz skizzirten Verhältnisse werden gekreuzt und mannigfach variirt durch die confessionellen Zustände. Es ist bekannt, mit welch glühenden Sympathien die katholische Partei der Sache Oestreichs zugethan war. In diesen Kreisen vergißt man nicht so schnell, und das Mainzer Journal mit Bei¬ blättern ist Zeugniß für den innerlich fressenden Groll. Auf diese Leute wird man nie rechnen dürfen, so behende auch der Bischof von Limburg war, die neue Ordnung der Dinge in einem Hirtenbrief anzuerkennen. Die neupronon- cirte Haltung des Ultramontanismus hatte aber eine weitere Wirkung; sie warf naturgemäß die Protestanten auf die Seite der preußischen Sympathien, wenig¬ stens da. wo nach der Gestaltung der Dinge dieselben am meisten Grund hatten, Fortschritte des Ultramontanismus zu fürchten. In Oberhessen, wo die Katho¬ liken nur ein verschwindender Bruchtheil, fehlte der Factor völlig; in Starken¬ burg, wo die Protestanten bei weitem überwiegen, kam er nicht zum rechten Bewußtsein; um so stärker aber wirkte er in Rheinhessen, wo — ebenso wie in Baden — die so viel schwächeren Protestanten einer wohlorganisirten katho¬ lischen Partei gegenüberstanden und — mit oder ohne Grund — ganz einfach der Trieb der Selbsterhaltung die politische Ansicht bestimmte. Man erzählt Aeußerungen, welche zur Zeit, wo noch für Oestreich der Sieg erhofft ward, ") Die interessante Stelle findet sich stenographische Berichte Bd. 1, S. 103.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/334>, abgerufen am 04.07.2024.