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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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die Erbach, obgleich protestantisch, in extremster Weise östreichisch sind und immer
und immer wieder ihre Söhne in den Dienst des Kaiserhauses schicken. Eine
indifferentere Stellung nehmen die Mwburg ein, deren Besitzungen auch theil¬
weise sowohl links als rechts des Mains liegen. Erst jüngst ist unter ihnen
eine entschiedene Ueberneignng nach Oestreich eingetreten, indem der katholisch
gewordene Eidprinz von Birstein, Gemahl einer Toscana, seinem Vater succe-
dirte und so diese Linie des altprotestantischen Hauses Uscnburg zu einer katho¬
lischen machte.'

Hiermit betreten wir bereits dasGebiet der Provinz Starkenburg, die das
Gelände rechts des Rheins und links des Mains umfaßt. Geographische Ver¬
hältnisse, welche nach Norden zögen, liegen hier nicht vor. Auch die erst 1803
und 1806 von Kurmainz, Kurpfalz, verschiedenen Reichsgrafen, wie den Er¬
bach u. s. w. erworbenen Gebiete hängen unter der unmittelbaren Einwirkung
der in dieser Provinz gelegenen Residenz dem "angestammten" Herrscherhaus
an, wie die althessischem Gebiete; sie haben durch die Aenderung nur gewon¬
nen. Durch die Massen zieht jener Particularismus. der nicht sowohl einen
positiven Gehalt hat, als vielmehr in der Ablehnung jeder Aenderung besteht,
welche Opfer erfordert. Die Einsicht der Nothwendigkeit des Anschlusses an
Preußen ist fast nur Eigenthum bestimmter Kreise des städtischen Bürgerthums,
insbesondere des Handclsstandcs. Nirgends ist dies so ausgeprägt, wie in
Offenbach. Diese Stadt verdankt ihre Bedeutung der freircichsstädtischen Eng¬
herzigkeit Frankfurts. Ein freidenkender und wohlwollender Graf Uscnburg
nahm die Reformirten in seinem Gebiete auf, die in Frankfurt zurückgewiesen
worden waren, und dies wurde die Grundlage der heutigen Bedeutung Offen¬
bachs. Während in Frankfurt noch vor wenigen Jahren das Zunftwesen in
vollster Blüthe stand, so daß kein Kloben in die Zimmerwand eingeschlagen wer¬
den konnte, ohne drei verschiedene Gewerke in Bewegung zu setzen, während
die Erwerbung des Bürgerrechts den schwierigsten Voraussehungen unterlag,
schritt Offenbach, wenn nicht unter dem rechtlichen Bestand, so doch unter einer
weitgehenden Praxis der Freizügigkeit und Gewerbefreiheit rasch voran. Die
Zunahme der Bevölkerung war hier ebenso überraschend groß*), als dort über¬
raschend klein. Dem Emporkömmling unter den Mainstädten stand keine histo¬
rische Ueberlieferung hemmend im Wege, und es ist wohl begreiflich, daß --
sehr im Gegensatz zur altehrwürdigen Nachbarstadt -- Offenbach einen entschie¬
den wahlverwandtschaftlichen Zug zu Preußen fühlt, dem es denn auch stets
unverhohlen Ausdruck verliehen hat.

Am eigenthümlichsten liegen die Verhältnisse in Rheinhessen. Die fran¬
zösische Revolution und die französische Herrschaft haben dort im Großen und



*) 1816--1834 Wachsthum fast S2,1834--1861 77 Procent; 13S8: 14.863, 1861: 16,636
und 1864: 19,320 Einwohner!

die Erbach, obgleich protestantisch, in extremster Weise östreichisch sind und immer
und immer wieder ihre Söhne in den Dienst des Kaiserhauses schicken. Eine
indifferentere Stellung nehmen die Mwburg ein, deren Besitzungen auch theil¬
weise sowohl links als rechts des Mains liegen. Erst jüngst ist unter ihnen
eine entschiedene Ueberneignng nach Oestreich eingetreten, indem der katholisch
gewordene Eidprinz von Birstein, Gemahl einer Toscana, seinem Vater succe-
dirte und so diese Linie des altprotestantischen Hauses Uscnburg zu einer katho¬
lischen machte.'

Hiermit betreten wir bereits dasGebiet der Provinz Starkenburg, die das
Gelände rechts des Rheins und links des Mains umfaßt. Geographische Ver¬
hältnisse, welche nach Norden zögen, liegen hier nicht vor. Auch die erst 1803
und 1806 von Kurmainz, Kurpfalz, verschiedenen Reichsgrafen, wie den Er¬
bach u. s. w. erworbenen Gebiete hängen unter der unmittelbaren Einwirkung
der in dieser Provinz gelegenen Residenz dem „angestammten" Herrscherhaus
an, wie die althessischem Gebiete; sie haben durch die Aenderung nur gewon¬
nen. Durch die Massen zieht jener Particularismus. der nicht sowohl einen
positiven Gehalt hat, als vielmehr in der Ablehnung jeder Aenderung besteht,
welche Opfer erfordert. Die Einsicht der Nothwendigkeit des Anschlusses an
Preußen ist fast nur Eigenthum bestimmter Kreise des städtischen Bürgerthums,
insbesondere des Handclsstandcs. Nirgends ist dies so ausgeprägt, wie in
Offenbach. Diese Stadt verdankt ihre Bedeutung der freircichsstädtischen Eng¬
herzigkeit Frankfurts. Ein freidenkender und wohlwollender Graf Uscnburg
nahm die Reformirten in seinem Gebiete auf, die in Frankfurt zurückgewiesen
worden waren, und dies wurde die Grundlage der heutigen Bedeutung Offen¬
bachs. Während in Frankfurt noch vor wenigen Jahren das Zunftwesen in
vollster Blüthe stand, so daß kein Kloben in die Zimmerwand eingeschlagen wer¬
den konnte, ohne drei verschiedene Gewerke in Bewegung zu setzen, während
die Erwerbung des Bürgerrechts den schwierigsten Voraussehungen unterlag,
schritt Offenbach, wenn nicht unter dem rechtlichen Bestand, so doch unter einer
weitgehenden Praxis der Freizügigkeit und Gewerbefreiheit rasch voran. Die
Zunahme der Bevölkerung war hier ebenso überraschend groß*), als dort über¬
raschend klein. Dem Emporkömmling unter den Mainstädten stand keine histo¬
rische Ueberlieferung hemmend im Wege, und es ist wohl begreiflich, daß —
sehr im Gegensatz zur altehrwürdigen Nachbarstadt — Offenbach einen entschie¬
den wahlverwandtschaftlichen Zug zu Preußen fühlt, dem es denn auch stets
unverhohlen Ausdruck verliehen hat.

Am eigenthümlichsten liegen die Verhältnisse in Rheinhessen. Die fran¬
zösische Revolution und die französische Herrschaft haben dort im Großen und



*) 1816—1834 Wachsthum fast S2,1834—1861 77 Procent; 13S8: 14.863, 1861: 16,636
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[0332] die Erbach, obgleich protestantisch, in extremster Weise östreichisch sind und immer und immer wieder ihre Söhne in den Dienst des Kaiserhauses schicken. Eine indifferentere Stellung nehmen die Mwburg ein, deren Besitzungen auch theil¬ weise sowohl links als rechts des Mains liegen. Erst jüngst ist unter ihnen eine entschiedene Ueberneignng nach Oestreich eingetreten, indem der katholisch gewordene Eidprinz von Birstein, Gemahl einer Toscana, seinem Vater succe- dirte und so diese Linie des altprotestantischen Hauses Uscnburg zu einer katho¬ lischen machte.' Hiermit betreten wir bereits dasGebiet der Provinz Starkenburg, die das Gelände rechts des Rheins und links des Mains umfaßt. Geographische Ver¬ hältnisse, welche nach Norden zögen, liegen hier nicht vor. Auch die erst 1803 und 1806 von Kurmainz, Kurpfalz, verschiedenen Reichsgrafen, wie den Er¬ bach u. s. w. erworbenen Gebiete hängen unter der unmittelbaren Einwirkung der in dieser Provinz gelegenen Residenz dem „angestammten" Herrscherhaus an, wie die althessischem Gebiete; sie haben durch die Aenderung nur gewon¬ nen. Durch die Massen zieht jener Particularismus. der nicht sowohl einen positiven Gehalt hat, als vielmehr in der Ablehnung jeder Aenderung besteht, welche Opfer erfordert. Die Einsicht der Nothwendigkeit des Anschlusses an Preußen ist fast nur Eigenthum bestimmter Kreise des städtischen Bürgerthums, insbesondere des Handclsstandcs. Nirgends ist dies so ausgeprägt, wie in Offenbach. Diese Stadt verdankt ihre Bedeutung der freircichsstädtischen Eng¬ herzigkeit Frankfurts. Ein freidenkender und wohlwollender Graf Uscnburg nahm die Reformirten in seinem Gebiete auf, die in Frankfurt zurückgewiesen worden waren, und dies wurde die Grundlage der heutigen Bedeutung Offen¬ bachs. Während in Frankfurt noch vor wenigen Jahren das Zunftwesen in vollster Blüthe stand, so daß kein Kloben in die Zimmerwand eingeschlagen wer¬ den konnte, ohne drei verschiedene Gewerke in Bewegung zu setzen, während die Erwerbung des Bürgerrechts den schwierigsten Voraussehungen unterlag, schritt Offenbach, wenn nicht unter dem rechtlichen Bestand, so doch unter einer weitgehenden Praxis der Freizügigkeit und Gewerbefreiheit rasch voran. Die Zunahme der Bevölkerung war hier ebenso überraschend groß*), als dort über¬ raschend klein. Dem Emporkömmling unter den Mainstädten stand keine histo¬ rische Ueberlieferung hemmend im Wege, und es ist wohl begreiflich, daß — sehr im Gegensatz zur altehrwürdigen Nachbarstadt — Offenbach einen entschie¬ den wahlverwandtschaftlichen Zug zu Preußen fühlt, dem es denn auch stets unverhohlen Ausdruck verliehen hat. Am eigenthümlichsten liegen die Verhältnisse in Rheinhessen. Die fran¬ zösische Revolution und die französische Herrschaft haben dort im Großen und *) 1816—1834 Wachsthum fast S2,1834—1861 77 Procent; 13S8: 14.863, 1861: 16,636 und 1864: 19,320 Einwohner!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/332>, abgerufen am 04.07.2024.