Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sie Lübke vertritt, zu thun noch übrig. Sie will allen Gebildeten Einsicht in
die Bedeutung der Kunst für das ganze Culturleben verschaffen: daher wird sie
auch die inneren Beziehungen derselben zu Religion und Staat, zu Gesittung
und Literatur, zum ganzen geistigen und volkswirtschaftlichen Leben der Völker
und Zeiten wenigstens in ihren Hauptfaden verfolgen müssen. Auch dazu sind
nach Schnaases Vorgang Von Lübke tüchtige Anfänge gemacht; doch ist wohl
nach dieser Seite eine weitere Fortbildung der heutigen Kunstwissenschaft wün-
schenswerth. Erst wenn deutlich vor Augen liegt, wie in dem ganzen Cultur¬
gewebe der glänzende Faden der Kunst fest und eng sich mit den übrigen ver¬
schlingt, wie der ideale Ausdruck, den sich in ihr der nationale Geist oder die
Zeitstimmung giebt, sich zu den Formen derselben auf den übrigen Lebens-
gebietcn verhält: erst dann tritt ihre durchgreifende Bedeutung für das ganze
menschliche Dasein auch den weiteren Kreisen ins Bewußtsein. Auch fällt auf
die künstlerische Thätigkeit selber erst durch diese Beachtung des Gegensatzes,
der Verwandtschaft und der Wechselwirkung mit den übrigen Culturfächern ein
volles Licht. Es wird deutlich, wie sie den Inhalt des allgemeinen Lebens mit
einer gewissen Nothwendigkeit in diese oder jene Formen kleidet, wie endlich die
verschiedenen Kunstperioden, in gleichem Laufe mit der geistigen Entwicklung
der Völker, unter sich in einem inneren Zusammenhange stehen. Allerdings
vermag die moderne Kunstgeschichte nur allmälig und durch das Zusammen¬
wirken mehrer Kräfte diesen culturhistorischen Hintergrund in ihr Gemälde her¬
einzuziehen und bestimmter auszuführen. Zudem wird wohl die für das größere
Publikum bestimmte Darstellung immer auf den Entwurf der Hauptzüge sich
beschränken müssen, wie denn auch Lübke mit einem derartigen Versuch, wenig¬
stens die allgemeinsten Umrisse des Culturlebens zu skizziren, in seiner Architektur¬
geschichte begonnen hat.

Ehe indessen die Kunstwissenschaft auf jenem breiteren Fundament ihr Ge¬
bäude aufrichten kann, kommt es vor allem darauf an, die großen Linien der
kunstgeschichtlichen Entwickelung selber, den Charakter der verschiedenen Kunst¬
zweige in den Verschiedenen Zeiten, also der verschiedenen Stile, und dies alles
an den vorzüglichsten Kunstdenkmälern faßlich, bestimmt und anschaulich zu
schildern, so daß es auch dem Laien sich einprägt. Und hierauf versteht sich
Lübke vortrefflich. Er hat in seltenem Grade die Gabe der lebendigen Dar¬
stellung auch der trockensten Materien. Er weiß die sinnliche Erscheinung seines
Gegenstandes in ein inneres Bild umzusetzen, so daß die Phantasie des Lesers
aus diesem wieder jene zu entbinden vermag, und andererseits die allgemeinen
wesentlichen Momente so treffend zusammenzufassen, daß sie im Geiste haften
bleiben. Nur durch die Herrschaft über den Stoff und durch die Ursprünglich¬
keit der eigenen Anschauung ist dies Resultat möglich; die Sicherheit, mit der
sich der Verfasser sein Object zu eigen gemacht hat, theilt sich dem Leser mit


34"

sie Lübke vertritt, zu thun noch übrig. Sie will allen Gebildeten Einsicht in
die Bedeutung der Kunst für das ganze Culturleben verschaffen: daher wird sie
auch die inneren Beziehungen derselben zu Religion und Staat, zu Gesittung
und Literatur, zum ganzen geistigen und volkswirtschaftlichen Leben der Völker
und Zeiten wenigstens in ihren Hauptfaden verfolgen müssen. Auch dazu sind
nach Schnaases Vorgang Von Lübke tüchtige Anfänge gemacht; doch ist wohl
nach dieser Seite eine weitere Fortbildung der heutigen Kunstwissenschaft wün-
schenswerth. Erst wenn deutlich vor Augen liegt, wie in dem ganzen Cultur¬
gewebe der glänzende Faden der Kunst fest und eng sich mit den übrigen ver¬
schlingt, wie der ideale Ausdruck, den sich in ihr der nationale Geist oder die
Zeitstimmung giebt, sich zu den Formen derselben auf den übrigen Lebens-
gebietcn verhält: erst dann tritt ihre durchgreifende Bedeutung für das ganze
menschliche Dasein auch den weiteren Kreisen ins Bewußtsein. Auch fällt auf
die künstlerische Thätigkeit selber erst durch diese Beachtung des Gegensatzes,
der Verwandtschaft und der Wechselwirkung mit den übrigen Culturfächern ein
volles Licht. Es wird deutlich, wie sie den Inhalt des allgemeinen Lebens mit
einer gewissen Nothwendigkeit in diese oder jene Formen kleidet, wie endlich die
verschiedenen Kunstperioden, in gleichem Laufe mit der geistigen Entwicklung
der Völker, unter sich in einem inneren Zusammenhange stehen. Allerdings
vermag die moderne Kunstgeschichte nur allmälig und durch das Zusammen¬
wirken mehrer Kräfte diesen culturhistorischen Hintergrund in ihr Gemälde her¬
einzuziehen und bestimmter auszuführen. Zudem wird wohl die für das größere
Publikum bestimmte Darstellung immer auf den Entwurf der Hauptzüge sich
beschränken müssen, wie denn auch Lübke mit einem derartigen Versuch, wenig¬
stens die allgemeinsten Umrisse des Culturlebens zu skizziren, in seiner Architektur¬
geschichte begonnen hat.

Ehe indessen die Kunstwissenschaft auf jenem breiteren Fundament ihr Ge¬
bäude aufrichten kann, kommt es vor allem darauf an, die großen Linien der
kunstgeschichtlichen Entwickelung selber, den Charakter der verschiedenen Kunst¬
zweige in den Verschiedenen Zeiten, also der verschiedenen Stile, und dies alles
an den vorzüglichsten Kunstdenkmälern faßlich, bestimmt und anschaulich zu
schildern, so daß es auch dem Laien sich einprägt. Und hierauf versteht sich
Lübke vortrefflich. Er hat in seltenem Grade die Gabe der lebendigen Dar¬
stellung auch der trockensten Materien. Er weiß die sinnliche Erscheinung seines
Gegenstandes in ein inneres Bild umzusetzen, so daß die Phantasie des Lesers
aus diesem wieder jene zu entbinden vermag, und andererseits die allgemeinen
wesentlichen Momente so treffend zusammenzufassen, daß sie im Geiste haften
bleiben. Nur durch die Herrschaft über den Stoff und durch die Ursprünglich¬
keit der eigenen Anschauung ist dies Resultat möglich; die Sicherheit, mit der
sich der Verfasser sein Object zu eigen gemacht hat, theilt sich dem Leser mit


34"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0289" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286437"/>
          <p xml:id="ID_832" prev="#ID_831"> sie Lübke vertritt, zu thun noch übrig. Sie will allen Gebildeten Einsicht in<lb/>
die Bedeutung der Kunst für das ganze Culturleben verschaffen: daher wird sie<lb/>
auch die inneren Beziehungen derselben zu Religion und Staat, zu Gesittung<lb/>
und Literatur, zum ganzen geistigen und volkswirtschaftlichen Leben der Völker<lb/>
und Zeiten wenigstens in ihren Hauptfaden verfolgen müssen. Auch dazu sind<lb/>
nach Schnaases Vorgang Von Lübke tüchtige Anfänge gemacht; doch ist wohl<lb/>
nach dieser Seite eine weitere Fortbildung der heutigen Kunstwissenschaft wün-<lb/>
schenswerth. Erst wenn deutlich vor Augen liegt, wie in dem ganzen Cultur¬<lb/>
gewebe der glänzende Faden der Kunst fest und eng sich mit den übrigen ver¬<lb/>
schlingt, wie der ideale Ausdruck, den sich in ihr der nationale Geist oder die<lb/>
Zeitstimmung giebt, sich zu den Formen derselben auf den übrigen Lebens-<lb/>
gebietcn verhält: erst dann tritt ihre durchgreifende Bedeutung für das ganze<lb/>
menschliche Dasein auch den weiteren Kreisen ins Bewußtsein. Auch fällt auf<lb/>
die künstlerische Thätigkeit selber erst durch diese Beachtung des Gegensatzes,<lb/>
der Verwandtschaft und der Wechselwirkung mit den übrigen Culturfächern ein<lb/>
volles Licht. Es wird deutlich, wie sie den Inhalt des allgemeinen Lebens mit<lb/>
einer gewissen Nothwendigkeit in diese oder jene Formen kleidet, wie endlich die<lb/>
verschiedenen Kunstperioden, in gleichem Laufe mit der geistigen Entwicklung<lb/>
der Völker, unter sich in einem inneren Zusammenhange stehen. Allerdings<lb/>
vermag die moderne Kunstgeschichte nur allmälig und durch das Zusammen¬<lb/>
wirken mehrer Kräfte diesen culturhistorischen Hintergrund in ihr Gemälde her¬<lb/>
einzuziehen und bestimmter auszuführen. Zudem wird wohl die für das größere<lb/>
Publikum bestimmte Darstellung immer auf den Entwurf der Hauptzüge sich<lb/>
beschränken müssen, wie denn auch Lübke mit einem derartigen Versuch, wenig¬<lb/>
stens die allgemeinsten Umrisse des Culturlebens zu skizziren, in seiner Architektur¬<lb/>
geschichte begonnen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_833" next="#ID_834"> Ehe indessen die Kunstwissenschaft auf jenem breiteren Fundament ihr Ge¬<lb/>
bäude aufrichten kann, kommt es vor allem darauf an, die großen Linien der<lb/>
kunstgeschichtlichen Entwickelung selber, den Charakter der verschiedenen Kunst¬<lb/>
zweige in den Verschiedenen Zeiten, also der verschiedenen Stile, und dies alles<lb/>
an den vorzüglichsten Kunstdenkmälern faßlich, bestimmt und anschaulich zu<lb/>
schildern, so daß es auch dem Laien sich einprägt. Und hierauf versteht sich<lb/>
Lübke vortrefflich. Er hat in seltenem Grade die Gabe der lebendigen Dar¬<lb/>
stellung auch der trockensten Materien. Er weiß die sinnliche Erscheinung seines<lb/>
Gegenstandes in ein inneres Bild umzusetzen, so daß die Phantasie des Lesers<lb/>
aus diesem wieder jene zu entbinden vermag, und andererseits die allgemeinen<lb/>
wesentlichen Momente so treffend zusammenzufassen, daß sie im Geiste haften<lb/>
bleiben. Nur durch die Herrschaft über den Stoff und durch die Ursprünglich¬<lb/>
keit der eigenen Anschauung ist dies Resultat möglich; die Sicherheit, mit der<lb/>
sich der Verfasser sein Object zu eigen gemacht hat, theilt sich dem Leser mit</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 34"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0289] sie Lübke vertritt, zu thun noch übrig. Sie will allen Gebildeten Einsicht in die Bedeutung der Kunst für das ganze Culturleben verschaffen: daher wird sie auch die inneren Beziehungen derselben zu Religion und Staat, zu Gesittung und Literatur, zum ganzen geistigen und volkswirtschaftlichen Leben der Völker und Zeiten wenigstens in ihren Hauptfaden verfolgen müssen. Auch dazu sind nach Schnaases Vorgang Von Lübke tüchtige Anfänge gemacht; doch ist wohl nach dieser Seite eine weitere Fortbildung der heutigen Kunstwissenschaft wün- schenswerth. Erst wenn deutlich vor Augen liegt, wie in dem ganzen Cultur¬ gewebe der glänzende Faden der Kunst fest und eng sich mit den übrigen ver¬ schlingt, wie der ideale Ausdruck, den sich in ihr der nationale Geist oder die Zeitstimmung giebt, sich zu den Formen derselben auf den übrigen Lebens- gebietcn verhält: erst dann tritt ihre durchgreifende Bedeutung für das ganze menschliche Dasein auch den weiteren Kreisen ins Bewußtsein. Auch fällt auf die künstlerische Thätigkeit selber erst durch diese Beachtung des Gegensatzes, der Verwandtschaft und der Wechselwirkung mit den übrigen Culturfächern ein volles Licht. Es wird deutlich, wie sie den Inhalt des allgemeinen Lebens mit einer gewissen Nothwendigkeit in diese oder jene Formen kleidet, wie endlich die verschiedenen Kunstperioden, in gleichem Laufe mit der geistigen Entwicklung der Völker, unter sich in einem inneren Zusammenhange stehen. Allerdings vermag die moderne Kunstgeschichte nur allmälig und durch das Zusammen¬ wirken mehrer Kräfte diesen culturhistorischen Hintergrund in ihr Gemälde her¬ einzuziehen und bestimmter auszuführen. Zudem wird wohl die für das größere Publikum bestimmte Darstellung immer auf den Entwurf der Hauptzüge sich beschränken müssen, wie denn auch Lübke mit einem derartigen Versuch, wenig¬ stens die allgemeinsten Umrisse des Culturlebens zu skizziren, in seiner Architektur¬ geschichte begonnen hat. Ehe indessen die Kunstwissenschaft auf jenem breiteren Fundament ihr Ge¬ bäude aufrichten kann, kommt es vor allem darauf an, die großen Linien der kunstgeschichtlichen Entwickelung selber, den Charakter der verschiedenen Kunst¬ zweige in den Verschiedenen Zeiten, also der verschiedenen Stile, und dies alles an den vorzüglichsten Kunstdenkmälern faßlich, bestimmt und anschaulich zu schildern, so daß es auch dem Laien sich einprägt. Und hierauf versteht sich Lübke vortrefflich. Er hat in seltenem Grade die Gabe der lebendigen Dar¬ stellung auch der trockensten Materien. Er weiß die sinnliche Erscheinung seines Gegenstandes in ein inneres Bild umzusetzen, so daß die Phantasie des Lesers aus diesem wieder jene zu entbinden vermag, und andererseits die allgemeinen wesentlichen Momente so treffend zusammenzufassen, daß sie im Geiste haften bleiben. Nur durch die Herrschaft über den Stoff und durch die Ursprünglich¬ keit der eigenen Anschauung ist dies Resultat möglich; die Sicherheit, mit der sich der Verfasser sein Object zu eigen gemacht hat, theilt sich dem Leser mit 34"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/289
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/289>, abgerufen am 04.07.2024.